Ein Teenager will sich über zu viel nackte Haut bei der Regenbogenparade empört haben und sorgte sich angeblich um eine mögliche Anstandsverletzung.

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Wien – "Spuck auf die Demo", schrieb Thomas Oberdorfer (Name geändert, Anm.) am 28. April des Vorjahres unter einen Beitrag im Instagram-Kanal der "Zeit im Bild". Der Beitrag handelte von der Regenbogenparade, deshalb sitzt der Lehrling nun mit dem Vorwurf der Verhetzung vor Richter Daniel Potmesil. Schuldig im Sinne der Anklage sieht sich der Jugendliche nicht, auch sein Verteidiger Joachim Pfeiler plädiert auf Freispruch.

Aus zwei Gründen: Einerseits sei die subjektive Tatseite nicht erfüllt, sein Mandant habe mit dem Posting keinen Hass gegen irgendeine Gruppe schüren wollen. Und zweitens sei der Tatbestand gar nicht erfüllt, zitiert Pfeiler aus einer Entscheidung des Oberlandesgerichts Innsbruck. Die Tiroler Richterinnen und Richter entschieden einst nämlich, dass auch die Sätze "Wieso gibt es in der Türkei keine Samenspender? – Weil die ganzen Wichser bei uns sind" nicht die Kriterien für Verhetzung erfüllen würden.

In Lederkluft vor Kutsche

Dass er den Satz geschrieben hat, streitet der unbescholtene Angeklagte gar nicht ab. "Warum?", will der Richter wissen. "Im Prinzip stört mich an der Veranstaltung, wie sich die Leute dort präsentieren", antwortet Oberdorfer. "Die rennen nackt in der Öffentlichkeit herum, ein paar haben sich auch auf allen Vieren in Lederkleidung vor eine Kutsche spannen lassen. Normalerweise wäre das Anstandsverletzung", brummt der gebürtige Niederösterreicher.

"Wer nimmt denn an der Veranstaltung teil?", will Potmesil von ihm wissen. "Die LGBTQ-Community", weiß der Angeklagte. "Auch Homosexuelle?" – "Das weiß ich nicht", zeigt sich der junge Mann nicht ganz sattelfest, was die Abkürzung betrifft. "Wie würden Sie die LGBTQ-Community beschreiben oder bewerten?", lautet die nächste Frage. "Ich habe mich nicht wirklich damit befasst", gibt Oberdorfer zu. Die ihn empörenden Szenen habe er aber im Internet auf Videos gesehen. "Wenn ich ein Kind hätte, würde mich das stören."

Keine wirkliche Spuckabsicht

Er habe mit seiner Äußerung aber eigentlich "Ich spucke auf die Demo" ausdrücken wollen und nicht pauschal zur Speichelabsonderung aufgefordert, versichert er. "Wenn Sie bei der Regenbogenparade am Straßenrand stehen würden, würden Sie tatsächlich spucken?", interessiert den Richter. "Nein, das war nur eine Redewendung. Ich habe nicht nachgedacht."

Helmut Graupner, der als Privatbeteiligten-Vertreter unter anderem für das Rechtskomitee Lambda hier ist, mag nicht glauben, dass sich Oberdorfer nur an der Demo störte. "Ich habe auf der Parade noch nie einen ganz Nackerten gesehen", hält er dem Angeklagten vor. – "Ich schon. Auf Videos", wiederholt dieser. "Haben Sie das nicht mit einer Nudistendemo verwechselt?", fragt Graupner nach. "Nein", ist sich Oberdorfer sicher.

"Sie haben aber schon generell einen Hang dazu, andere herabzuwürdigen, oder?", bohrt der Privatbeteiligten-Vertreter weiter. "Auf Ihrem Profil habe ich auch den Satz: 'Brunz dem Basti-Spasti ins Gesicht' gefunden", prangert Graupner an. "Ich habe eh aufgehört, so einen Blödsinn zu schreiben", entschuldigt sich der Angeklagte, ehe Graupner sich für seine beiden Mandanten mit einem symbolischen Schadenersatz von jeweils einem Euro anschließt.

Posting in reichweitenstarkem Kanal

In ihren Schlussworten fordern Staatsanwalt Filip Trebuch und Graupner eine Verurteilung. Es könne nicht sein, dass man sich einfach hinsetze und sage: "Ich habe das nicht so gemeint", dann wäre der Verhetzungsparagraf ad absurdum geführt, meint Graupner. Es mache auch einen Unterschied, ob man so etwas in einem reichweitenstarken Kanal wie dem vorliegenden veröffentliche oder ein paar Freunden schreibe.

Verteidiger Pfeiler bleibt dagegen dabei: Oberdorfer wollte nur seinen Unmut über das Erscheinungsbild mancher Demonstranten ausdrücken, das müsse erlaubt sein. "Der Ton der jungen Menschen ist vielleicht ein anderer, als er früher war", erklärt der Rechtsvertreter, aber auch wenn junge Männer zueinander sagen würden "Ich ficke deine Mutter", sei jedem klar, dass kein tatsächlicher Beischlaf angedacht sei. Sein Mandant sei "an sich kein böser Junge" und daher freizusprechen.

Richter Potmesil sieht das auch so. "G'fallen tut mir das nicht", schickt er in seiner Urteilsbegründung voraus. Aber er könne nicht beweisen, dass Oberdorfer tatsächlich zum Hass aufstacheln wollte, was die Höchstgerichte für den Tatbestand verlangen würden. Auch den Vorsatz zur Verletzung der Menschenwürde der Paradenteilnehmer kann er nicht sicher erkennen. Dass es dem Angeklagten aber sehr wohl um einen Angriff auf Homosexuelle und Transgenderpersonen gegangen sei, steht für den Richter fest.

"Üben Sie Kritik, wenn Sie wollen, aber üben Sie sie mit anderen Worten", gibt Potmesil dem Angeklagten dennoch mit auf den Weg. Die Grenze sei schmal, beim nächsten Mal könne es sehr wohl Verhetzung sein. Da der Ankläger keine Erklärung abgibt, ist die Entscheidung nicht rechtskräftig. (Michael Möseneder, 22.4.2022)