Seit dem Angriff Russlands auf die Ukraine suchen Europas Politikerinnen und Politiker dringend nach neuen Gasquellen – und zwar weltweit. Ein Teil der österreichischen Regierung reiste im März nach Abu Dhabi und Katar, Deutschland sucht in Nigeria nach neuen Gasquellen, auch die USA und Katar sollen Europa aus der Abhängigkeit von russischem Gas befreien, um Putins Kriegskasse nicht weiter zu füllen. Auf Pressekonferenzen ist dabei immer wieder die gleiche Buchstabenkombination zu hören: LNG.

LNG-Tanker (Hintergrund) sollen dabei helfen, nicht länger russisches Kriegsmaterial (Vordergrund) mitzufinanzieren.
Foto: imago images/ITAR-TASS

Die Abkürzung steht für Liquified Natural Gas und ist chemisch nichts anderes als das Erdgas, das derzeit aus Russland zu uns strömt – nur dass es verflüssigt wird und dabei bis zu sechshundertfach komprimiert werden kann. So lässt es sich auch in Schiffen um den Globus transportieren. Einen Gashahn, den jemand einseitig zudrehen kann, gibt es hier nicht. Ideal also, um sich aus dem Griff eines einzelnen Lieferanten zu lösen und die Versorgung zu diversifizieren.

Doch viele Länder Europas haben sich so sehr an Russlands Gas gewöhnt, dass schlicht die Infrastruktur für das Flüssigerdgas fehlt. Einige Staaten, darunter Deutschland oder Estland, wollen deshalb neue Häfen bauen, damit das Gas statt aus dem Osten aus der ganzen Welt nach Europa strömen kann.

Doch vor allem Klimaschützer sehen die Pläne zum LNG-Ausbau kritisch und sehen einen neuen "Lock-in-Effekt", nur dieses Mal eben in das teurere Flüssiggas. Flüssiggas-Terminals sind etwa für 30 Jahre konstruiert – Europa müsste dann schon längst CO2-neutral sein. Greenpeace fordert deshalb einen Komplettstopp von Investitionen in neue Gas-Infrastruktur, auch LNG-Terminals, Tanks und Pipelines.

2040 ist Schluss

Doch wenn Europa und Österreich wirklich unabhängiger von russischem Gas werden wollen, führe an LNG kein Weg vorbei, sagt Günter Pauritsch von der Österreichischen Energieagentur. Schiffe könnten Gas aus den USA, Nigeria oder Katar anlanden, eine russische Pipeline hingegen nur aus Russland. "Eigentlich habe ich bei letzterem Versorgungsweg einen Lock-in-Effekt", sagt er. Trotzdem habe natürlich jede neue LNG-Anlage ein Ablaufdatum, nämlich 2040 – das Jahr, in dem die EU komplett auf fossile Brennstoffe verzichten will.

Doch wertlos werde die Flüssiggas-Infrastruktur deshalb nicht unbedingt. "Österreich und Europa werden auch in einem erneuerbaren Zeitalter Energie importieren müssen", sagt Pauritsch. Österreichs Stromversorgung steht derzeit schon zu rund 80 Prozent auf erneuerbaren Beinen. Doch bei der gesamten hierzulande verbrauchten Energie kommen insgesamt immer noch zwei Drittel aus dem Ausland – vor allem in Form von Öl, Erdgas und Kohle.

In Zukunft könnten erneuerbare Gase wie grüner Wasserstoff eine bedeutende Rolle spielen. Wie beim Erdas und Öl schadet es auch nicht, diesen aus mehreren Quellen zu beziehen, um nicht in die nächste geopolitische Abhängigkeit zu schlittern. Grüner Wasserstoff könnte praktisch überall produziert werden, wo erneuerbarer Strom in großem Mengen erzeugt werden kann, etwa dank Photovoltaik in Wüstengebieten nahe dem Äquator oder in Australien. Schiffe, Häfen oder Pipelines, die heute noch fossiles Gas transportieren, könnten nach einer Umrüstung in Zukunft dabei helfen, erneuerbares Gas zu den Verbrauchern zu bringen.

Gezielter Einsatz

An die heimische Gastherme sollte man dabei aber nicht denken. Denn nicht überall lässt sich jeder Energieträger effizient einsetzen. Weil bei der Umwandlung von Strom in Wasserstoff Energie verlorengeht, sollte er nur dort eingesetzt werden, wo es keine Alternative dazu gibt. "Es ist nicht sinnvoll, ein Gas mit 2000 Grad zu verbrennen, um 20 Grad Zimmertemperatur zu erreichen", sagt Pauritsch.

Zum Heizen gibt es bereits Alternativen zu Gas, etwa Wärmepumpen, Geothermie oder Biomasse. Setzt man das wertvolle erneuerbare Gas – etwa aus Bequemlichkeit – dort ein, fehlt es in anderen Bereichen, die ohne Wasserstoff keine andere Möglichkeit haben, dekarbonisiert zu werden: So werden etwa die industriellen Hochtemperaturprozesse wie beispielsweise die Glasherstellung oder die Eisen- und Stahlerzeugung große Mengen grünen Wasserstoffs benötigen. (pp, 26.4.2022)