Als Komponist war Mingus einer der großen Amerikas: Stark im Blues verwurzelt, war er ein hitziger Modernist, der Hardbop, Third Stream und Freejazz belebte.

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Wien – Am 22. 4. wäre ein Musiker 100 Jahre alt geworden, zu dessen Platten mitunter sein Seelendoktor die Line Notes schrieb. Charles Mingus war eine zerrissene Persönlichkeit, die schon mal freiwillig in eine Anstalt ging, um seine Dämonen zu zügeln. "Die in der Kindheit und im Mannesalter als Mensch und Farbiger erlittenen Leiden sind ausreichend, um ihn mit Bitterkeit, Hass und Verkrampfung zu erfüllen. Er ist sich seiner Gefühle schmerzlich bewusst und will verzweifelt gesund werden", schrieb Doktor Edmund Pollock über seinen 1922 geborenen Patienten.

Als Komponist war Mingus einer der großen Amerikas: Stark im Blues verwurzelt, war er ein hitziger Modernist, der Hardbop, Third Stream und Freejazz belebte. Er schrieb elegante Balladen wie Goodbye Pork Pie Hat oder Ausgelassenes wie das gospelnahe Stück Better Get It In Your Soul. Einen guten Eindruck von Mingus’ Kunst vermittelt auch die nun von Universal wieder veröffentlichte Live-CD: Sie dokumentiert das Paris-Konzert, das am 19. April 1964 im Theatre des Champs-Élysées stattfand.

Lesenswert ist natürlich auch Mingus’ autobiografischer Lebensroman Beneath the Underdog, dessen Titel man etwa mit "Weniger wert als ein Unterdrückter" übersetzen könnte. Im Porgy wiederum gibt es zu hören: Die Eleven Concert Band spielt Mingus (22. 4.), und Gregor Aufmesser und Clemens Salesny konzipierten eine Hommage (23. 4.) für den zarten Wüterich. (Ljubisa Tosic,22.4.2022)