Die japanische Realityserie "Old Enough" gibt es jetzt auch auf Netflix zu sehen.

Foto: Netflix

Tokio/Wien – Hiroki steht vor dem größten Abenteuer seines Lebens. Zwei Jahre und neun Monate ist der Japaner alt, doch nun soll er für seine Eltern alleine zum Einkaufen gehen: Blumen für den Hausaltar und ein Currygericht und Fischkuchen. "Pass auf dich auf", ruft ihm die Mutter ein letztes Mal zu, als sich Hiroki auf den Weg macht. Zu sehen sind ausgewählte Folgen des in Japan seit Jahrzehnten erfolgreichen Formats "Hajimete no Otsukai" nun auf Netflix unter dem Titel "Old Enough!".

Kinder im Alter von etwa 3 bis 6 Jahren werden von ihren Eltern auf den Weg geschickt, um erstmals ohne Begleitung etwas zu erledigen. Das läuft natürlich nicht immer glatt ab. Anfangs ist den Kindern mulmig, allein loszugehen. Kein Wunder: Hirokis Weg zum Supermarkt ist einen Kilometer lang. Ein anderes Mal ist ein kleines Mädchen zu sehen, das unter Tränen zur Mutter zurückkehrt, nachdem es sich verlaufen hat. Doch dann macht sich die Kleine erneut auf den Weg.

Mikrofon um den Hals

Die Kinder, von denen nur die Vornamen eingeblendet werden, bekommen eine "Amuletttasche" um den Hals gehängt, an dem sich ein drahtloses Mikrofon befindet. Dadurch können die Zuschauer hören, wenn das Kind mit sich selbst spricht oder eine Melodie summt. Dazu hört man die Stimme des Erzählers und zwischendurch kurzes Studiogelächter, ein für japanische TV-Shows übliches Konzept. Natürlich passiert es schon mal, dass ein Kind vor Aufregung vergisst, was es erledigen soll.

All das ist rührend, auch, wenn ein Kind am Ende stolz auf sich ist, es geschafft zu haben. Ziel der Sendung ist es denn auch zum einen, die Selbstständigkeit der Kinder zu fördern. Zum anderen sollen die Fernsehzuschauer dazu angeregt werden, über die Beziehung zwischen Eltern und Kindern sowie über Kindererziehung nachzudenken.

"Es gibt sicherlich nicht viele Länder wie Japan, in denen es für Kinder sicher ist, in der Stadt herumzulaufen", schrieb der japanische IT-Journalist Munechika Nishida zu den Gründen, warum die Show mit dem Netflix-Deal nun international den Durchbruch erlebt. In Japan dauern die Folgen allerdings viel länger als die bei Netflix: drei Stunden pro Sendung. Nur zwei Mal im Jahr werden sie ausgestrahlt, da die Herstellung der Shows Monate in Anspruch nimmt.

Aufwendiges Auswahlverfahren

Die Kinder werden nach einem aufwendigen Auswahlverfahren ausgesucht. Eltern und Mitarbeiter gehen gemeinsam die Routen ab, um zu prüfen, ob die Straßen sicher sind und es keine verdächtigen Menschen gibt. Das Kamerateam und die Aufpasser bekommen eigens Verstecke zugewiesen. Alle Nachbarn in der Gegend werden über den Ablauf informiert, damit sie nicht aufgeregt die Polizei alarmieren und ein Kind ohne Begleitung melden, das ziellos durch die Straßen irrt.

Seit drei Jahrzehnten erfreut sich das Format großer Beliebtheit: Die Einschaltquoten liegen in Japan durchschnittlich zwischen 15 Prozent und mehr als 20 Prozent. Es gibt laut japanischen Medienberichten sogar Fälle, bei denen Kinder, die in der amüsanten Doku in der Vergangenheit aufgetreten waren, heute selbst Eltern sind und sich nun das gleiche Abenteuer für ihre Kinder wünschen. Ob die für den Deal der Japaner mit Netflix bereitgestellten gekürzten Folgen auf genauso ein begeistertes Echo stoßen werden, bleibt abzuwarten. (APA, 22.4.2022)