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Sektionschef Christian Pilnacek (links) und Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter (rechts) gelten als freundschaftlich verbunden.

Foto: Picturedesk/Schneider

Eine Anzeige wegen einer unterlassenen Anzeige – und das auch noch gegen den suspendierten Sektionschef im Justizministerium Christian Pilnacek. Das war diese Woche eines der zentralen Themen im U-Ausschuss. Das Pikante daran: Die Sachverhaltsdarstellung wurde vom Justizministerium selbst eingebracht, weil Pilnacek es unterlassen habe, Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter anzuzeigen.

Dies ist die neueste Wendung einer merkwürdigen Geschichte rund um eine Postenbesetzung im Jahr 2015. Damals fand im von Brandstetter geführten Justizministerium eine Organisationsreform statt, bei der Abteilungen zusammengelegt und Führungspositionen neu ausgeschrieben wurden. Für eine dieser Stellen bewarb sich der langjährige Personalmanager K., der Brandstetter ein Dorn im Auge gewesen sein soll. Bei seiner Befragung im U-Ausschuss vor drei Wochen meinte der Ex-Minister, es habe "viele Beschwerden darüber gegeben", dass K. "Nichtakademiker einfach von oben herab und schlecht behandelt" habe. K. selbst sieht das naturgemäß anders und verweist darauf, dass er zwei Jahrzehnte lang für rund siebentausend Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zuständig gewesen sei und 2010 sogar noch die Zuständigkeiten für das Personal im Ministerium übertragen bekommen habe.

Plötzlich ein Hearing

Jedenfalls wurde K.s Stelle, die Leitung einer Abteilung in der Präsidialsektion, neu ausgeschrieben. K. und drei weitere Juristen bewarben sich dafür, K. wurde von der Personalkommission an die erste Stelle gereiht. Doch im Gegensatz zu acht anderen Personalentscheidungen wurde in diesem Fall ein Hearing anberaumt. Dort traf K. zu seiner Überraschung nicht nur auf Brandstetter persönlich, sondern auch auf einen Chauffeur aus dem Haus. Zudem hatte der damalige Minister zwei weitere Nichtakademiker in die Hearingskommission geholt, einer davon war relativ neu im Haus.

K. bekam die Stelle wie berichtet nicht und beschwerte sich gegen diese Entscheidung. Drei Jahre später, als K. bereits auf einem gleichwertigen Posten gelandet war, gab ihm das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) Recht: Das Hearing habe als "Feigenblatt für die abweichende Entscheidung gegen den erstgereihten Beschwerdeführer dienen" müssen. Im Verfahren hätten Zeugen "glaubwürdig und schlüssig" dargestellt, dass es zu einer "seltsamen", "an eine Prüfungssituation gemahnenden, möglicherweise gar tribunalartigen" Situation gekommen sei.

Beratung mit Brandstetter

Im Ministerium sorgte die BVwG-Entscheidung für großes Kopfzerbrechen. Die Frage, die sich stellte: Lösten die vom Gericht beschriebenen Vorgänge die Pflicht zur Anzeigeerstattung gegen Brandstetter aus, der mittlerweile Richter am Verfassungsgerichtshof (VfGH) war? Die Fachexperten im Haus sprachen sich in E-Mails an den damaligen Generalsekretär Pilnacek deutlich dafür aus, weil sie einen Anfangsverdacht auf Amtsmissbrauch erkannten.

Auch der schloss zunächst einen Anfangsverdacht nicht aus, wie sich aus einem E-Mail an die Fachexperten vom 14. August 2018 ergibt. Am selben Tag schrieb Pilnacek per Whatsapp an Brandstetter, er müsse "etwas Dringendes" mit ihm besprechen, was "am Telefon nicht geht". Tatsächlich trafen einander die beiden zwei Tage später, wobei Pilnacek "ihm die Entscheidung referiert" hat, wie er später aussagen sollte. Tags darauf bedankte sich der VfGH-Richter und tat seine Meinung zur Entscheidung des BVwG kund: "Bei näherem Hinsehen: gegen derart einseitige, geradezu üble Machwerke, die rechtsstaatliche Grundsätze mit Füßen treten, muss man sich mit allen Mitteln wehren. Das darf man denen nicht durchgehen lassen!" Zudem gab er dem Generalsekretär indirekt einen Tipp: "Wir heben im VfGH laufend Entscheidungen von Verwaltungsgerichten wegen ‘Willkürlichkeit’ auf (…), ohne dass jemand auf die Idee einer Anzeige kommt."

Rechtsmittel trotz Abratens

Was sich in der Zwischenzeit im Ministerium getan hatte: Pilnacek hatte sich wider den Rat der Experten gegen eine Anzeige und für die Einbringung einer außerordentlichen (a.o.) Revision entschieden. Und das, obwohl die Finanzprokuratur, die das Justizministerium in der Sache vertrat, schon Anfang August die Erfolgsaussichten eines solchen Rechtsmittels als "äußerst gering" bezeichnet hatte. Die Einbringung der Revision habe er intern besprochen, schrieb Pilnacek in einer Stellungnahme. Gestützt hat man sich in dem Rechtsmittel unter anderem darauf, dass Brandstetter vom BVwG nicht befragt worden war. Tatsächlich blieb die Revision dann erfolglos.

Angezeigt wurde Brandstetter aber trotzdem – und zwar von K., der sagt, dass er Pilnacek damals, 2018, von diesem seinem Vorhaben erzählt habe. K.s Anzeige stammt vom 21. März 2021. Damals waren gerade Ermittlungen gegen Brandstetter und Pilnacek in anderer Sache ins Laufen gekommen, die Staatsanwaltschaft Innsbruck führt das Verfahren gegen Brandstetter. K. hat dazu im Jänner vor einem Haft- und Rechtsschutzrichter in Innsbruck ausgesagt.

Dass die Causa durch die Anzeige des Justizministeriums nun auch Pilnacek erreicht, enthüllte am Donnerstag Sektionschef Alexander Pirker im U-Ausschuss. Dessen Verhältnis zum ehemaligen Generalsekretär hat sich spätestens bei dessen Suspendierung Anfang 2021 abgekühlt: "Pilnacek hat mir seinen Dienstausweis vor die Füße geworfen", sagte er aus. Für alle Genannten gilt die Unschuldsvermutung. (Renate Graber, Fabian Schmid, 22.4.2022)