Bei Bewerbungen für eine offene Stelle spielen viele Faktoren eine Rolle für den Erfolg. Beispielsweise werden Bewerberinnen und Bewerber mit attraktiveren Fotos oder mit einheimischen Namen häufiger zu Vorstellungsgesprächen eingeladen als Personen mit weniger attraktiven Fotos oder ausländisch klingenden Namen. Beim Vorstellungsgespräch selbst gelten ein sicheres Auftreten, eine gute Präsentation und die richtige "Chemie" als wichtig.

Ein häufig unterschätzter Faktor ist die Reihenfolge von Vorstellungsgesprächen. Rein theoretisch würde man erwarten, dass die Reihenfolge keinen statistisch signifikanten Einfluss auf den Erfolg einer Bewerbung haben sollte, sondern dass die Qualifikation von Bewerberinnen den Ausschlag für ein Jobangebot geben sollte. In der Praxis sieht das anders aus.

"Ich muss ganz vorn auf die Liste, sonst habe ich schlechtere Karten", meint man oft. Das stimmt so nicht, weiß die Forschung.
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Überraschung im Verlauf

Im Busoni-Klavierwettbewerb in Bozen, den ich vor einigen Jahren analysiert habe, gab es viele Jahre lang jeweils ein Viertelfinale (mit 27 Personen), ein Halbfinale (mit zwölf Personen) und ein Finale (mit sechs Personen; später wurde noch ein Superfinale mit nur mehr drei Personen hinzugefügt). Am Ende jeder Wettbewerbsrunde werden die Bewertungen der Jury eingesammelt, und die besten Personen kommen in die nächste Stufe. Im Finale geht es um die ersten drei Plätze, die etwa mit Konzertverträgen prämiert werden.

Die Auftrittsreihenfolge in den einzelnen Stufen des Wettbewerbs wird zufällig festgelegt. Zuerst wird ein Buchstabe im Alphabet gezogen. Dann wird mit den Nachnamen von diesem Buchstaben weg gestartet bis zu Z und dann wieder von A weiter. Da die Reihenfolge zufällig ist, kann sie nicht mit der Qualität des Klavierspiels zusammenhängen.

Basierend auf Daten von 20 Jahren und von mehr als 500 Personen, die im Viertel- oder Halbfinale und im Finale mitmachten, zeigte sich, dass die Wahrscheinlichkeit, vorn gereiht zu werden, deutlich höher ist, wenn man später in der jeweiligen Stufe vorspielt. Im Viertelfinale wird man um zehn Prozentpunkte weniger wahrscheinlich ins Halbfinale "befördert", wenn man in der ersten Hälfte der Vortragenden spielt. Im Halbfinale ist der Effekt minimal, aber im Finale wird man gar um 20 Prozentpunkte wahrscheinlicher unter die ersten drei (also die Preisträger) gereiht, wenn man am zweiten Tag vorspielt anstatt am ersten.

Über die Gründe für diese starken Reihenfolgeneffekte auf den Ausgang des Wettbewerbs – den man ohne weiteres mit einer Reihe von Vorstellungsgesprächen für eine offene Stelle in Unternehmen vergleichen kann – lässt sich nur spekulieren. Offenbar vergeben die Juroren weniger gute Noten, wenn man früher im Wettbewerb vorspielt. Das ließe sich unter Umständen dadurch erklären, dass man bei den anfänglich gehörten Personen noch keine Bestnoten vergeben möchte, weil ja noch viele folgen. Man lässt sozusagen "Luft nach oben", wenn man die ersten Personen noch nicht mit Bestnoten beurteilt.

Nachteil für die Ersten

Die Datenmuster vom Busoni-Wettbewerb in Bozen ähneln im Übrigen in verblüffender Weise den Ergebnissen, die bereits Victor Ginsburgh und Jan van Ours für den Königin-Elisabeth-Wettbewerb in Brüssel dokumentiert haben. Auch dort wurden die zuerst auftretenden Künstler signifikant schlechter als später auftretende Künstler bewertet. Die Reihenfolge des Auftretens spielt also eine nicht zu unterschätzende Rolle für den Ausgang eines Wettbewerbs.

Kürzlich hat Amelie Schiprowski von der Universität Bonn für die Auswahlverfahren für Stipendien an Universitäten einen anderen wichtigen Reihenfolgeneffekt dokumentiert. Nach einem besonders guten Bewerber wird die unmittelbar nächste Person systematisch schlechter bewertet, als wenn die vorherige Person nicht so gut war. Dieser Effekt trat bei mehr als 29.000 Beurteilungen vor allem am Anfang von Interviews auf, gegen Ende hin flachte er deutlich ab, was wiederum dafür spricht, sich möglichst spät in einem Verfahren vorzustellen. (Matthias Sutter, 25.4.2022)