Manch einer fürchtet vor allem die Nadel. Auf Ängste wie diese sollte laut Experten im Rahmen von Beratung eingegangen werden.

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Wien – Parallel zu den derzeit sinkenden Corona-Infektionszahlen nimmt in Österreich auch die Bereitschaft ab, sich gegen das Virus impfen zu lassen. Besonders zurückhaltend sind dabei jene Menschen, die eine Immunisierung besonders brauchen würden: die bis dato Ungeimpften, die immer noch rund 25 Prozent der Bevölkerung umfassen. Am Donnerstag, dem 21. April etwa wurden bundesweit genau 150 Erstimpfungen durchgeführt.

Laut einhelliger Einschätzung von Expertinnen und Experten jedoch tragen die Ungeimpften das höchste Risiko, im Fall einer Infektion massiv zu erkranken. Um bis in den Herbst, für den spätestens eine weitere Corona-Welle befürchtet wird, durch drei Stiche einigermaßen geschützt zu sein, müssten sie spätestens jetzt mit der Erstimmunisierung beginnen.

Zweieinhalb Millionen Menschen ungeimpft

Die beschlossene, aber ausgesetzte Impfpflicht hat das ablehnende Bevölkerungsviertel bis dato nicht zum Umdenken gebracht. Was also tun, um unter diesen rund zweieinhalb Millionen Menschen so viele wie möglich doch noch zum Impfen zu motivieren – von jenen vielleicht abgesehen, die aus Anlass der Corona-Impfung komplett in die Welt der Verschwörungstheorien abgeglitten sind?

Dazu müsse man näher auf die individuellen, psychologischen Gründe ihrer Haltung eingehen, sagt der Psychoanalytiker und Traumatologe Klaus Ottomeyer. Bei vielen nämlich sei Impfangst im Spiel, eine Furcht vor einem Stich in den Körper, dem man sich ausgeliefert fühle – bis hin zu Bildern von Fernsteuerung durch missgünstige Autoritäten oder gar einer Vergewaltigung. Die realistische Befürchtung, als ungeimpfte Person schwer an Covid-19 zu erkranken, werde so übertönt.

Schlägt eine Impfkampagne vor, die Befürchtungen anspricht: Psychoanalytiker Klaus Ottomeyer.
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Kickl und die Psychologie

Nicht zufällig habe etwa der rednerisch versierte Herbert Kickl, Chef der Corona-impfkritischen FPÖ, in einer Reaktion auf 3G am Arbeitsplatz von der Immunisierung als "Vergewaltigung" gesprochen, schreibt Ottomeyer in seinem vor kurzem erschienenen Buch "Angst und Politik". "Für mich ist das ein zulässiges Bild dafür, dass einem Menschen mit dieser Impfung eine Form von Gewalt und Verletzung körperlicher Unversehrtheit widerfährt. Dieser Zwang kann ja auch psychologisch sein", habe Kickl den Ausdruck in der Folge rechtfertigt.

Damit spreche der FPÖ-Chef bei seinem Publikum "unbewusste, kindliche Ängste" an und verstärke sie, sagt Ottomeyer. Um derlei Befürchtungen im Gegenteil zu schwächen, brauche es versierte Beratung, in deren Rahmen derlei Ängste auch angesprochen werden können, etwa durch Sozialarbeiter und Ärztinnen.

Kampagne gegen die Angst

Sinnvoll wäre aber auch eine neuerliche Informationskampagne, die diese Ängste "behutsam anspricht". Bisherige Aktionen seien an der emotionalen Oberfläche geblieben, hätten an die Solidarität der Menschen und den Wunsch nach Rückkehr zur Normalität appelliert. "Was spricht dagegen, wenn die Regierung jetzt Geld für mehr in die Tiefe und auf den Einzelnen eingehende Öffentlichkeitsarbeit nimmt?" – angelehnt etwa an Kampagnen gegen Gewalt und Sexismus, fragt der Psychoanalytiker.

In besserer Beratung sieht auch die Politikwissenschafterin Katharina T. Paul eine Chance auf einen Start in kommende Covid-Wellen mit höheren Durchimpfungsraten. Im Unterschied zu Ottomeyer plädieren sie sowie die Politologin Barbara Prainsack und der Gesundheitsökonom Thomas Czypionka aber für eine Beratungspflicht.

Plädiert für Beratungspflicht: die Politikwissenschafterin Katharina T. Paul.
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Es müssen nicht immer Arzt oder Ärztin beraten

Menschen mit Impfvorbehalten solle Zeit gegeben werden, Expertinnen und Experten "eine Viertelstunde lang alle Fragen zu stellen, die ihnen wichtig sind", sagt die Mitarbeiterin am Austria Corona Panel Project sowie an der Interviewstudie SolPan, die, organisiert an der Uni Wien, seit Pandemiebeginn die Meinungslage zu Corona in der österreichischen Bevölkerung untersuchen.

Wichtig wäre, "dass Beratung und Impfung von zwei verschiedenen Personen gemacht werden", sagt Paul. Als Beratende würden sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der derzeitigen Testboxen anbieten, wie sie etwa in Wien stehen, ebenso Pflegepersonal: "Es muss nicht immer ein Arzt oder eine Ärztin sein" – etwa auch in den Schulen. Dergleichen gelte es, Multiplikatorinnen zu gewinnen, "zum Beispiel Schulpersonal, Hausärztinnen, Arbeitgeber".

Impfen zu etwas "völlig Normalem" machen

Eine rasch startende Beratungsoffensive könnte die durch die Impfpflicht "vergossene Milch" unter Umständen auffangen, sagt die Politikwissenschafterin. Wobei sie nicht die Pflicht an sich, sondern deren "unklare Zielsetzung" als Problem bezeichnet. So wichtig Schutz und Aufrechterhaltung des Gesundheitswesens seien: "Dadurch wird das Impfen nicht zu dem, was es sein sollte: etwas völlig Normalem".

Genau das nämlich sei es in Österreich nicht, was auf "mangelndes Vertrauen zwischen Gesellschaft und Staat" schließen lasse. Der Diskurs um die Corona-Impfung – und vielleicht auch um andere Immunisierungen – sei allseitig von Tabus geprägt. So sei in Österreich etwa zurzeit kein breiter kritischer Blick auf die Pharmaindustrie möglich, der bei allen Meriten notwendig sei – wohl aus Furcht, damit Verschwörungstheorien Vorschub zu leisten. (Irene Brickner, 22.4.2022)