Es war eine Tortur.

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Umsturz in der Gesamtwertung und Triumph an Romain Bardet.

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Auf eine Spritztour mit dem Tirol KTM Rennstall.

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Felix Gall zeigte gewaltig auf.

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Lienz – Eiszapfen aus Rotz pickten vielen Fahrern im Gesicht, manche weinten nicht nur innerlich Tränen ob der Eiseskälte und Regen auf dem Osttiroler Bannberg, andere übergaben sich im Zielbereich und konnten nur mehr gestützt von ihren Betreuern Richtung Teambus wanken. Keine Frage, Radfahren auf höchstem Niveau ist die härteste aller Sportarten. DER STANDARD durfte sich bei der Tour of the Alps hautnah davon überzeugen, als Mitfahrer im Teamwagen des Tirol KTM Cycling Team.

Vier von fünf Etappen präsentierten sich Norditalien und Osttirol in ihrer sonnigsten Pracht, auf der Schlussetappe ging es in teils strömendem Regen und Nebel rauf und runter und wieder rauf und wieder runter. Eine Elegie auf das Leben. Während der der ehemalige Tour de France-Zweite Romain Bardet bewies, dass er immer noch ein Gott auf dem Drahtesel ist und als Etappen-Achter im Finish noch dem Spanier Pelle Bilbao den Gesamtsieg stahl, ragte der Osttiroler Felix Gall als Gesamt-Sechster aus heimischer Sicht heraus. Den Tagessieg holt sich Thibaut Pinot.

Nichts für schwache Nerven

Auf dem Beifahrersitz hat sich der STANDARD öfter mit der Hand am Griff am Dachhimmel festgehalten. Die Sportdirektoren der Radteams könnten auch als Rallyefahrer durchgehen, selbst bei Nebel und steilen Abfahrten wird bei knappstem Abstand auf das Vorderauto durch die Berge gedonnert. Man ist ja die ganze Zeit hinter dem Feld her. Das ist nichts für schwache Nerven. Die Radprofis stürzen sich mit bis zu 80 km/h auf regennasser Fahrbahn im Nebel in die Täler hinunter.

Das Tirol KTM Cycling Team ist ein Ausbildungsteam und fuhr als einziges Continental-Team (dritte Leistungstufe hinter Pro-Continental und World Tour) bei der Tour of the Alps mit. Ein Zwerg im Profigeschäft, aber begehrt als Talenteschmiede. Etablierte Profis wie Patrick Konrad, Marco Haller, Michael Gogl oder Lukas Pöstlberger, sie fuhren alle einmal für die Tiroler.

Auf den Bergen hatte es knapp über Null Grad. Mitleid gibt es nicht. "Alle leiden im Prinzip gleich, aber wenn du hinten nachfährst, leidet der Kopf noch mehr als wenn du vorne dabei bist", sagt Gregor Gazvoda. Der slowenische Ex-Profi ist sportlicher Leiter bei den Tirolern. "Noch 40 Kilometer bis ins Ziel. Nur mehr ein Anstieg. Vergesst nicht, ihr seid alle Helden", funkt Gazvoda seinen Fahrern zu.

Pein und Freude

Jede Etappe ist wie ein Überraschungsei. Der eine Fahrer braucht eine dickere Jacke, friert bitterlich, der andere hat ausgerechnet vor dem letzten 20-prozentigen Anstieg auf den Iselsberg einen Defekt. Das Teamauto rast heran, der Mechaniker wirft dem Unglücklichen das Ersatzrad vom Dach quasi in die Arme und dann heißt es hinterherstrampeln. Jede Stunde werfen sich die Fahrer einen Haufen Kalorien ein in Form von Riegeln, Gels und Reiskuchen. Anders ist so ein Rennen mit Durchschnittsgeschwindigkeiten von bis zu 40 km/h nicht zu packen.

"Wegen dem Geld machst du diesen Sport nicht", sagt Gazvoda. Der Arbeitsaufwand ist beträchtlich. Auch für die besten Fahrer. Felix Gall will ganz hinauf, er hatte die letzte Etappe, die nahe an seinem Elternhaus im malerischen Nussdorf-Debant vorbeiführte, mitgeplant und er hat sich damit auch selbst nicht geschont. Auf seiner Trainingsstrecke nach Stronach büßte er etwas Zeit ein, Michael Storer (AUS/Etappen-7.) und Thymen Arensmann (NED/9.) überholten den Ex-Junioren-Weltmeister und verbesserten sich auf die weiteren Podestplätze.

Gall ist noch keine Maschine, dennoch überwog beim Zwölften der vorangegangenen Baskenland-Rundfahrt (WorldTour) die Freude. "Das Ziel unseres Teams war Top Ten in der Gesamtwertung und ein Etappensieg. Beides haben wir erreicht." Nach einigen Tagen Pause werde er die finale Vorbereitung auf den am 6. Mai in Budapest startenden Giro beginnen. Die Pein, aber auch die Freude in den Gesichtern der Fahrer, die dem Scharfrichter entkommen sind, bleibt unvergesslich. (Florian Vetter aus Lienz, 22.4.2022)

Ergebnisse der zur Rad-ProTour (2. Kategorie) zählenden Tour of the Alps
Endstand nach der 5. Etappe am Freitag in Lienz:

1. Romain Bardet (FRA) Team DSM
2. Michael Storer (AUS) Groupama +0:14 Min.
3. Thymen Arensman (NED) DSM +0:16
4. Pello Bilbao (ESP) Bahrain +0:37
5. Attila Valter (HUN) Groupama +0:49
6. Felix Gall (AUT) AG2R +0:53.

Weiter: 12. Hermann Pernsteiner (AUT) Bahrain +2:20.