Bester Länderpavillon: Sonia Boyce' Soundinstallation "Feeling Her Way" im britischen Pavillon.
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Venedig – Pünktlich zur Eröffnung des größten internationalen Kunstereignisses des Jahres wurden Samstagmittag die diesjährigen Preisträger und Preisträgerinnen der 59. Biennale in Venedig verkündet. Mit dem Goldenen Löwen für den besten Länderpavillon wird Großbritannien mit einer Sound-Video-Installation von Sonia Boyce ausgezeichnet. Eine doch überraschende, wenngleich ins Bild dieser Biennale passenden Entscheidung der Jury. Die 1962 geborene britisch-afro-karibische Künstlerin zählt nicht nur zu den bekanntesten Künstlerinnen Großbritanniens, sondern ist auch die erste Schwarze* Frau, die das Land auf der Venedig Biennale vertritt.

In ihrem Beitrag Feeling Her Way, der von Emma Ridgway kuratiert wurde, bringt Boyce die Stimmen von fünf Schwarzen Musikerinn (Poppy Ajudha, Jacqui Dankworth, Sofia Jernberg, Tanita Tikaram und Komponistin Errollyn Wallen) in einer improvisierten Performance zusammen, spontan reagieren sie auf Vorgaben sowie einander. Mit ihren Stimmen suchen sie eine gemeinsame Melodie und machen den weitläufigen Pavillon in den Giardini zu einer Sound-Bühne, die mit collageartigen Wandtapeten verkleidet ist. Die in allen Räumen angebrachten Bildschirme geben zeitlich versetzte Einblicke in die stimmliche Kollaboration, wodurch ein teils harmonisches Miteinander, teils eine überlagerte Kakophonie aus Lauten entsteht. Auf goldenen geometrischen Körpern darf das Publikum Platz nehmen und dem Reigen lauschen.

Künstlerin Sonia Boyce bei der Verleihung des Goldenen Löwen.
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Preise der Diversität

Die 60-jährige Künstlerin gilt als wichtiges Mitglied der Black Artist Movement in Großbritannien und Vertreterin im Kampf um Anerkennung für Künstlerinnen und gegen Rassismus. Als erstes Werk einer Schwarzen Künstlerin Großbritanniens erwarb die Tate 1987 ein Gemälde von Boyce, 2016 wurde sie in die Royal Academy aufgenommen. Ihr Biennale-Beitrag ist die Weiterführung ihres langjährigen Projekts Devotional, in dem Boyce die versteckte und vergessene Geschichte Schwarzer, britischer Musikerinnen und Sängerinnen beleuchtet. Ihre oft spielerischen Werke untersuchen die Beziehung zwischen Stimme, Sound und Erinnerung.

Den Goldenen Löwen für den besten Beitrag in der großen Hauptausstellung The Milk of Dreams erhielt die US-amerikanische Künstlerin Simone Leigh, die auch den diesjährigen amerikanischen Pavillon bespielte. Ihre monumentale Bronze-Büste Brick House zeigt eine Schwarze, weibliche Figur deren Körper an eine Lehmhütte erinnert und sich gleich am Beginn der Schau im Arsenale befindet. Bekannt wurde diese Skulptur bereits 2019, als sie auf der "High Line" prominent im öffentlichen Raum in New York aufgestellt wurde. Die verlassene Bahntrasse in Manhattan wird mit Kunst bespielt und seit 2011 von Cecilia Alemani geleitet, die auch die Schau der Venedig-Biennale kuratierte.

Simone Leighs überdimensionalen skulpturalen Arbeiten beschäftigen sich mit dem weiblichen Körper, den sie mit künstlerischen Traditionen Afrikas sowie der afrikanischen Diaspora verbindet. In aufwendig oft aus Wachs, Stroh oder Keramik gestalteten Arbeiten verbindet die 1967 geborene Künstlerin die Geschichte Schwarzer Emanzipation mit feministischer Theorie.

Bester Beitrag in Hauptausstellung: Simone Leighs monumentale Skulptur "Brick House" am Beginn von "The Milk of Dreams" im Arsenale.
Foto: APA/AFP/VINCENZO PINTO

Silber und Spezielle Erwähnungen

Außerdem wurden die Goldene Löwen für das Lebenswerk an die deutsche Künstlerin Katharina Fritsch sowie die chilenische Bildhauerin Cecilia Vicuña vergeben. In Hinblick auf nationale Beiträge richtete Biennale-Präsident Roberto Cicutto eine spezielle Erwähnung an den französischen Pavillon, den die Künstlerin Zineb Sedira in eine Filmkulisse inspiriert vom algerischen Kino aus den 1960er- und 1970er-Jahren verwandelte. Weiters hob die Jury den Pavillon von Uganda mit der Textilkünstlerin Acaye Kerunen und dem Maler Collin Sekajugo lobend hervor, das ostafrikanische Land nahm erstmals mit eigenem Pavillon teil.

Spezielle Erwähnungen gingen auch an die indigene Künstlerin Shuvinai Ashoona sowie die US-amerikanische Künstlerin und Filmemacherin Lynn Hershman Leeson. Den Silberner Löwen erhielt der libanesische Video- und Installationskünstler Ali Cherri für seine Position in der Hauptausstellung The Milk of Dreams. (Katharina Rustler, 23.4.2022)