David Simon kreidet erneut Missstände in Baltimore an. Die HBO-Serie "We Own This City" ist auf Sky abrufbar.

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Irgendwann kommt es in David Simons Serien zu klaren Aussagen. Immer. In der legendären "Fuck"-Szene von "The Wire" sagten Jimmy McNulty und sein Kollege Bunk nur dieses eine Wort, dafür aber in ständiger Wiederholung. 2010 war es John Goodman, der als zorniger Bürger in einer der Anfangsszenen von "Treme" zu einer Wutrede gegen die skandalösen Missstände nach Hurrikan Katrina in New Orleans ohne Punkt und Beistrich ausholte. In "We Own This City" lässt er Sergeant Wayne Jenkins (Jon Bernthal), Leiter der Gun Trace Task Force, einer Spezialeinheit des Baltimore Police Departement, aufklärende Worte über die Realität der Drogenkriminalität in der Stadt sprechen.

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Dieser vor Kolleginnen und Kollegen gehaltene Vortrag über "Kampf" und "Krieg" auf den Straßen Baltimores leitet die Story ein, wie es 2015 zum Tod des 26-jährigen Schwarzen Freddie Gray in Polizeigewahrsam kommen konnte. Wenn Sergeant Jenkins durch die Straßen von Baltimore patrouilliert, schwingt er den Schlagstock. Allzeit bereit zum Zuschlagen, um den "Krieg" zu gewinnen.

Anklage gegen skandalöse Verhältnisse

Rund 20 Jahre nach dem Start von "The Wire" kehrt der ehemalige Journalist David Simon für "We Own This City" nach Baltimore zurück. Die sechs Folgen sind auf Sky zu sehen und tragen unverkennbar die Handschrift des vielleicht realistischsten Fiktionalisten im Serienbusiness. Wie schon in "Homicide: Life on the Street", "Generation Kill", "Treme", "Show Me a Hero" und zuletzt "The Deuce" über Pornografie und Prostitution im New York der 1970er-Jahre geht es ihm auch in der neuen Serie um die Anklage gegen skandalöse Verhältnisse, dieses Mal eben wieder in Baltimore.

Sein Verständnis vom anwaltschaftlichen Journalismus hat Simon quasi in der DNA. 1960 in Silver Spring, Maryland, geboren, kam er durch seinen Vater, einen ehemaligen Zeitungsmann, schon früh mit Journalismus in Berührung. Simon besuchte die University of Maryland, College Park, wo er für die Schülerzeitung schrieb. Noch während des Studiums begann er bei der "Baltimore Sun", ab 1983 berichtete er als Polizeireporter.

Ein Jahr Mordkommission

Aus den Recherchen daraus entstand 1991 sein erstes Buch "Homicide: A Year on the Killing Streets". Darin beschreibt er ein Jahr bei der Mordkommission des Baltimore Police Department, es diente als Vorlage für die gleichnamige Serie.

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Den Zeitungsjob hängt er 1995 an den Nagel, um gemeinsam mit dem ehemaligen Polizisten Ed Burns "The Corner: A Year in the Life of an Inner-City Neighborhood" zu schreiben, eine schonungslose Darstellung der Drogenkultur in Baltimore. "The Corner" wurde im Jahr 2000 vom Kabelsender Home Box Office (HBO) zu einer Fernseh-Miniserie verarbeitet. Simon agierte als Autor und Produzent und spielte eine Doppelrolle, für die er mit zwei Emmys ausgezeichnet wurde.

Fixstern des "Goldenen Zeitalters des Fernsehens"

2002 folgte, wieder auf HBO, "The Wire". In fünf Staffeln ging es um die kriminellen Methoden verschiedenster Akteure und Systeme in Baltimore – etwa der straff organisierten Drogenkriminalität, Polizeieinheiten im Spannungsfeld von korrupten, kommunalen Strukturen und weiterer Institutionen in Baltimore, darunter das Schulsystem, die politische Maschinerie, die Schifffahrt und die Medien. "The Wire" gehört neben anderen Serien wie "The Sopranos", "Six Feet Under" und "Oz" zu den frühen Vertretern des neuen Qualitätsfernsehens, Fixstern des zweiten "Goldenen Zeitalters des Fernsehens" und gilt bis heute als beste Serie aller Zeiten. Rund 200 Figuren traten in fünf Staffeln auf. In manchen Folgen knüpfte Simon fünf bis sieben Handlungsstränge parallel. Dieser Methode blieb er in all seinen nachfolgenden Werken treu.

Politisch steht er links, sich selbst bezeichnet er als Sozialdemokraten. Gegen Trump äußerte er sich beharrlich und lautstark in sozialen Medien. Während der Vorwahlen der Demokraten 2016 lobte Simon den Kandidaten Bernie Sanders. Er habe "den Begriff Sozialist rehabilitiert und in der amerikanischen Öffentlichkeit wieder normalisiert". Simon ist seit 2006 mit der Journalistin und Krimischriftstellerin Laura Lippman verheiratet, er hat zwei Kinder. Den Krieg Russlands gegen die Ukraine verurteilt er auf Twitter in typischer "The Wire"-Manier unter zahlreicher Verwendung des "F-Wortes".

Ebendort bedankt sich Simon bei Alexej Nawalny für ein Zitat, das der russische Oppositionspolitiker aus "The Wire" geborgt hat: "You only do two days. That's the day you go in and the day you go out." Schauspieler von damals – etwa Wendel Pierce und Deirdre Lovejoy haben sich schon in diesem T-Shirt fotografieren lassen.

Simon ist für seine realistischen Dialoge und seine journalistische Herangehensweise an das Schreiben bekannt. Authentizität steht für ihn an erster Stelle, die Meinungen seiner Protagonisten stehen im Vordergrund. Er sammelt Anekdoten und Charaktere, seine Methode bezeichnet er als vom "Leben stehlen". Ein Diebstahl, der sich lohnt. Weil es so viel zu erzählen gibt. (Doris Priesching, 26.4.2020)