Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat das rechte Lager zwar besiegt, aber nicht zurückdrängt.

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Anders als seinen zwei Vorgängern – François Hollande und Nicolas Sarkozy – ist Emmanuel Macron die Wiederwahl geglückt. Seine Unterstützer am Pariser Marsfeld feierten am Fuße des Eiffelturms einen "triumphalen Sieg der Demokratie". Kann Macron nun aufatmen? Vermutlich nicht, meint Pascal Perrineau, der an der renommierten Pariser Universität IEP Paris (Sciences Po) eine Professur innehat.

Standard: Inwiefern ist der Sieg von Emmanuel Macron ein Triumph?

Perrineau: Macron hat mit rund 58 Prozent der Stimmen einen klaren Sieg und Wählerauftrag davongetragen. Aber von einem Triumph kann keine Rede sein: Zum einen ist die Wählerschaft seiner Rivalin Marine Le Pen in seiner Amtszeit massiv erstarkt – um zwei Millionen Stimmen. Mit 42 Prozent gibt es nun in Frankreich eines der stärksten rechtsnationalen Lager Europas. Zum anderen gibt es viele Franzosen, die nicht zwischen Le Pen und Macron entscheiden wollten, wie die Enthaltung von rund 28 Prozent und die zwei Millionen ungültigen und weißen Stimmen zeigen. Insbesondere im Lager der Protest-Linken von Jean-Luc Mélenchon. Macrons gutes Abschneiden ist eher darauf zurückzuführen, dass es ihm gelungen ist, die rechte Wählerschaft stark zu mobilisieren. In vielen traditionellen Bastionen der Rechten – zum Beispiel in Neuilly bei Paris – haben rund zwei Drittel für ihn gestimmt. Macron ist also zum Kandidaten der Rechten geworden. Sein Gravitationsfeld ist seit 2017 stark von links abgerückt.

Für Pascal Perrineau gibt es nunmehr zwei Frankreichs.
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Standard: Sind die Kategorien links und rechts in Frankreich eigentlich noch aussagekräftig?

Perrineau: Es hat sich in erster Linie ein neuer Graben aufgetan. Einerseits gibt es das Lager der offenen Gesellschaft, das Globalisierung, EU-Integration und eine kosmopolitische Gesellschaft gutheißt. Auf der anderen Seite stehen jene, die sich wieder auf die Nation konzentrieren und einen wirtschaftlichen und kulturellen Protektionismus wollen – wie Le Pen.

Standard: Wie kam Le Pen zu ihrem historisch besten Ergebnis?

Perrineau: Auf Landkarten sieht man, dass etwa das gesamte nordöstliche Viertel Frankreichs, das stark von Arbeitslosigkeit und Betriebsschließungen betroffen ist, mehrheitlich für Le Pen gestimmt hat. Viele ihrer Wähler stehen in der sozialen und Bildungshierarchie ganz unten. Sie sehen den Führungsstil Macrons als Politik für die mittleren und oberen Schichten, daher steht Le Pen ihnen näher. Dem gegenüber steht das Frankreich der großen Metropolen, das klar für Macron ist. Es ist das Frankreich der weißen Krägen, dem es gut geht: Hier herrscht Optimismus. Während hier rund 60 Prozent der intellektuellen Bourgeoisie Macron gewählt haben, haben mehr als 60 Prozent der Arbeiter im Land für Le Pen gestimmt. Es gibt also soziale Risse, die mit räumlichen einhergehen. Macron muss diese beiden Welten nun zusammenflicken.

Standard: Wie kann das gelingen?

Perrineau: Macron hat angekündigt, der Präsident aller Franzosen sein zu wollen, und nicht nur eines Teils der Franzosen wie bisher. Dafür spricht auch, dass er sich bei der von ihm angestrebten Rentenreform verhandlungsbereit zeigt. Das alles entspricht bislang aber eher einem Vorhaben. Noch hat er keine konkreten Pläne, wie er die zwei Frankreichs wieder einen will, vorgestellt – es braucht dafür aber einen neuen sozialen Pakt oder New Deal.

Standard: Wie werden diese Gräben die anstehende Parlamentswahl im Juni beeinflussen? Macron braucht dort eine Mehrheit, um seine Vorhaben umzusetzen.

Perrineau: Die Parteien Le Pens und Mélenchons werden bei der Wahl wohl Stimmenzugewinne im Vergleich zu 2017 verzeichnen und damit mehr Abgeordnete ins Parlament entsenden. Doch den Premier werden sie nicht stellen, das ist reines Wunschdenken Mélenchons. Als wahrscheinlich gilt eine zentristische Koalition zugunsten Macrons, auch wenn seine Partei die Mehrheit heuer verfehlen könnte. An dieser Koalition schmiedet seine Partei, La République en Marche, schon jetzt. (Flora Mory aus Paris, 25.4.2022)

In Frankreich kam es nach Macrons Wahlsieg in mehreren Städten zu Protesten. Viele junge Demonstrierende wollten im zweiten Wahlgang weder Macron noch Le Pen ihre Stimme geben.

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