Katrin Neudolt peilt im Mai bei den Deaflympics in Brasilien eine Medaille an. 2013 und 2017 wurde sie jeweils Neunte.

Foto: kempter7.at

Katrin Neudolt ist vierfache Badminton-Staatsmeisterin.

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Noch bevor Katrin Neudolt am Dienstag um 15 Uhr im Polideportivo Municipal Gallur in Madrid den ersten Federball schlug, hat die 32-Jährige bereits Geschichte geschrieben. Die Niederösterreicherin qualifizierte sich als erste Gehörlose für die Badminton-Europameisterschaft der allgemeinen Klasse. "Unerwartet", wie sie dem STANDARD sagt. Corona hat sie in den vergangenen Monaten gleich doppelt erwischt. Nun wollte sie nach dem Auftaktfreilos bei ihrem EM-Debüt in der zweiten Runde die Irin Rachael Darragh, die am Montagabend die Ungarin Vivien Sandorhazi 21:16 und 21:18 schlug, "ärgern". Alles Weitere sei ein "Bonus". Es gelang nicht wirklich, sie unterlag in 17 Minuten mit 5:21 und 6:21.

Das wahre Highlight steigt von 1. bis 15. Mai in Caxias do Sul in Brasilien: die Deaflympics, die Olympischen Spiele für Gehörlose. Klingt groß, ist groß. Bei der Letztauflage 2017 in Samsun (Türkei) nahmen mehr als 3000 Sportlerinnen und Sportler aus 97 Ländern teil. Neudolt, 2013 und 2017 Neunte, will diesmal eine Medaille holen. Der Event sei eine "eigene Welt – und leise". Auf den Tribünen werde kaum geklatscht. Fans setzen auf visuellen Support und schwenken Fahnen.

Das Wichtigste: Die Deaflympics sind vollkommen barrierefrei, die Gebärdensprache ist allgegenwärtig. Bei Wettkämpfen der Hörenden ist dies nicht so. "Ich wurde schon einmal verwarnt, weil ich den Schiedsrichter nicht verstanden habe", sagt Neudolt. Sie spürt ebenso Nachteile, wenn die Gegnerin dem Ball im letzten Moment eine andere Richtung mitgibt. Solche Täuschungen seien akustisch wahrnehmbar, sie kann sich jedoch nur auf ihre Augen verlassen und später reagieren.

Schwarz, milchig, transparent

Neudolt hat ein Resthörvermögen. Sie vergleicht es mit der Transparenz eines Glases. Ohne Hilfsmittel ist das Glas schwarz, sie hört so gut wie nichts. Mit Hörgerät, das sie aber selten trage, sei das Glas milchig. Sie könne Wortfragmente wahrnehmen, aber nur schwer zwischen "Haus" und "Maus" unterscheiden. Den Kontext müsse sie sich zusammenreimen. Verwendet das Gegenüber Gebärdensprache, ist das Glas transparent – sie erhalte vollständige Information. Deshalb ist dies ihre liebste Kommunikationsmethode, die sie aber erst mit 17 Jahren erlernte.

Neudolt wurde aus medizinisch ungeklärten Gründen mit nicht ausreichendem Gehör geboren. Ihren Eltern war die Gebärdensprache nicht bekannt. Die Tochter lernte daher früh das Lippenlesen, mit dem man aber nur rund 30 Prozent des Textes wahrnimmt, und mittels Logopädie das Sprechen. Es war "eine unbedarfte Kindheit".

Liebe auf den ersten Blick

Mit sieben Jahren nahm eine Schulkollegin sie zum Badminton mit. Liebe auf den ersten Blick. "Ich habe auch Handball probiert, aber das war mir nicht anstrengend genug." Ihre Mama Gabriele Gebauer, 141-fache Handball-Nationalspielerin und lange bei Hypo Niederösterreich aktiv, hat sie wegen dieser Aussage nicht enterbt. "Meine Eltern haben meine Selbstständigkeit immer gefördert", sagt Neudolt. Der Sport förderte ihr Selbstvertrauen. "Die Regeln sind für alle gleich. Hier konnte ich zeigen, was ich draufhabe."

Seit 2017 ist die vierfache Staatsmeisterin als Heeressportlerin angestellt, so bekommt sie ein Grundgehalt für den allgemeinen Lebensunterhalt. Eine Saison – Training, Reisen, Wettkämpfe, Physio – koste rund 15.000 Euro. Im Behindertensport sei es aber schwierig, Geld zu lukrieren. Bis zu 4000 Euro bringe sie selbst auf, den Rest kratze sie mit diversen Förderungen zusammen.

Kostenfrage als Mühsal

Rund 10.000 Menschen in Österreich sehen die Gebärdensprache als ihre Erstsprache an. Gebärdensprachdolmetscherinnen werden von Anfragen überschwemmt. Neudolts regelmäßige Mühsal ist die Kostenfrage. Eine Stunde kostet rund 60 Euro netto. Sollen Behörden diese übernehmen, muss man dies teils fünf Wochen vorher beantragen. Spontanität falle so schwer. Jedes Bundesland habe andere Regeln, sagt Neudolt, die in Mödling wohnt, aber in Wien Sportwissenschaften (Bachelor) studiert hat. Ein Master in Business und Administration in Sport folgte, den Lehrgang medizinische Informatik musste die HTL-Absolventin abbrechen – weil es an geeigneten Dolmetschern mangelte.

Das Land Niederösterreich übernimmt die Dolmetschkosten im privaten Bereich für "wichtige Angelegenheiten zur Lebensbewältigung", etwa Arzttermine. Fürs Berufliche sei der Bund zuständig, ergo das Sozialministerium, erklärt Neudolt. Dann, wenn die "Förderung der Erlangung oder Sicherung eines Arbeitsplatzes dient bzw. für berufsbezogene Schulungs- und Ausbildungsmaßnahmen erforderlich ist". Das Problem: "Der eine schiebt dem anderen die Verantwortung zu."

So wollten weder Land noch Bund die Übersetzungskosten für ein Netzwerktreffen übernehmen, bei dem die Sportlerin mögliche Sponsoren kennenlernen wollte. Die 32-Jährige sieht aber auch das Sportministerium gefordert, in die Barrierefreiheit zu investieren. "Hörende können die Gebärdensprache erlernen, ich aber nicht das Hören."

Tücken der Kommunikation

Um für mehr Verständnis in der Mehrheitsgesellschaft zu sorgen, hält Neudolt Vorträge über nonverbale Kommunikation. "Man muss sich vorstellen, in einem fremdsprachigen Land zu sein und sich mit Händen und Füßen verständigen zu müssen." Man dürfe nicht erwarten, dass jede Gehörlose Lippenlesen könne. Die maskenreiche Pandemiezeit habe dies ohnehin erschwert. Zur Not könne man auf dem Handy Botschaften aufschreiben. Das halte sie in ihrem Team im BSFZ Südstadt so, ihr Trainer Daniel Graßmück kann auch gebärden.

Neudolt liebäugelt damit, sich für Olympia 2024 in Paris zu qualifizieren. Nach der Karriere will sie helfen, Behinderte in der Wirtschaft zu integrieren und Sportveranstaltungen barrierefrei zu machen. Aber vorerst stehen die EM und Deaflympics auf dem Programm. "Und dann erst mal Urlaub." (Andreas Gstaltmeyr, 26.4.2022)