Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen traf vor wenigen Wochen in Kiew auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.


Foto: APA/AFP/UKRAINIAN PRESIDENTIAL P

Bis Ende Juni soll die EU-Kommission in Brüssel eine Bewertung vorlegen, wie es um einen möglichen EU-Beitritt der Ukraine bestellt ist. Dabei muss zunächst grundsätzlich geklärt sein, ob das Land die 1992 in Kopenhagen aufgestellten Kriterien von Demokratie, funktionierender Marktwirtschaft und Justiz erfüllen könnte. So haben das die Staats- und Regierungschefs der EU bei ihrem Sondergipfel Mitte März in Versailles beschlossen.

"Die Ukraine gehört zu unserer Familie", lautete die alles offen lassende Formel, die man nach acht Stunden Streit zu Papier brachte. Mehrere osteuropäische Länder, voran Polen und Balten, hatten auf sofortige Behandlung des ukrainischen Beitrittsantrages gedrängt, den die Regierung am Tag nach Beginn des russischen Angriffskrieges am 28. Februar gestellt hatte. "Emotional verständlich, aber unrealistisch", nannte das der niederländische Premier Mark Rutte. Es braucht Einstimmigkeit.

Seither beschäftigt das Thema Spezialisten in den EU-Institutionen und Regierungen, aber kaum die Öffentlichkeit. Ende Mai gibt es wieder einen EU-Gipfel. Kommissionschefin Ursula von der Leyen übergab Präsident Wolodymyr Selenskyj bei ihrer Reise nach Kiew Anfang April symbolisch einen Beitrittsfragenkatalog.

In der Ukraine wurde trotz Gefechten das Osterfest gefeiert. Selenskyj hielt keine Rede, er sprach ein Gebet.
DER STANDARD

Große Resonanz für Schallenberg-Statement

Am Wochenende sorgten Aussagen von Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg für gehörige Aufregung rund um die Beitrittshoffnungen der Ukrainerinnen und Ukrainer nicht nur in den sozialen Medien ("Er kann es nicht"), sondern auch im Außenministerium in Kiew. "Wir erachten diese Äußerungen für strategisch kurzsichtig, und sie entsprechen nicht den Interessen eines vereinigten Europas", ließ ein Sprecher wissen. Eine "überwältigende Mehrheit" der Bevölkerung würde eine EU-Mitgliedschaft der Ukraine unterstützen. In regimetreuen Medien in Moskau war die Reaktion genau umgekehrt: Man zeigte sich erfreut über ein vermeintliches Nein aus Österreich.

Was war da über das Wochenende passiert, wurde in den Netzen gefragt. Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer hatte in Versailles die Ukraine und jede notwendige, auch militärische Hilfe für das Land ausdrücklich unterstützt. Auslöser der Irritationen war ein öffentliches Interview, das Schallenberg beim Mediengipfel in Lech am Arlberg dem Journalisten Ivo Mijnssen von der Neuen Zürcher Zeitung gegeben hatte.

Thema unter anderem: Ukraine-Krise, die Nachbarschaftspolitik der EU und die laufende Beitrittsstrategie. Beim Mediengipfel treffen sich jedes Jahr Politiker, Medienmacher, Studierende und Kulturschaffende, um zwei Tage lang über die Entwicklung im Kommunikationsbereich wie über die Weltlage und insbesondere Europa zu diskutieren. Hoch oben in den Bergen, abseits von der Tagesaktualität, geht es oft um sehr grundsätzliche Fragen.

"Engstmöglichen Anbindung der Ukraine"

Der Außenminister griff den Umstand auf, dass sich Beitrittsprozesse etwa mit den Ländern auf dem Westbalkan seit Jahrzehnten erfolglos hinzögen. Er sprach sich daher für "maßgeschneiderte Angebote der engstmöglichen Anbindung der Ukraine" aus, die nicht unbedingt über eine Vollmitgliedschaft liefen, um die Annäherung an die EU zu beschleunigen. Überhaupt, so Schallenberg, müsse die Union sich angesichts der "Zeitenwende" überlegen, wie sie mit EU-Beitritten, aber auch den Partnerschaften mit Moldawien und Georgien weitermache. Man müsse flexibler werden.

Über eine Meldung in der Gratiszeitung "Heute" wurde daraus in ukrainischen Medien die Schlagzeile "Österreichs Außenministerium lehnt EU-Beitritt der Ukraine ab". Sogar ein Mitarbeiter im Social-Media-Team von EU-Budgetkommissar Johannes Hahn twitterte dazu, löschte das aber wieder. Schallenberg sagte am Montag im Mittagsjournal nun Richtung Ukraine, "das Signal ist ganz klar, ihr gehört zu Europa".

Er würde sich aber mehr Fantasie über bestehende Vereinbarungen hinaus wünschen, etwa dass Vertreter der Ukraine an bestimmten Ratssitzungen teilnehmen könnten, noch lange vor einem EU-Beitritt, etwa bei Energiefragen oder Fragen des transnationalen Verkehrs. Er wolle "neue Formen der Zusammenarbeit". Die Reaktion aus Kiew darauf steht noch aus. Im "echten" Beitrittsprozess muss ein Land erst den gesamten EU-Rechtsbestand verhandeln und akzeptieren, was etwa bei Österreich von 1989 bis 1994 dauerte. (Thomas Mayer, 25.4.2022)