Der Jurist und Mediator Ulrich Wanderer weiß, welche Vorteile eine selbstbestimmte Vertretung hat.

Man sollte glauben, dass so etwas wie eine Vorsorgevollmacht doch kein großes Problem sein sollte, schließlich geht's ja nur um Leben und Tod. Nun, eben nicht nur: Bei der Entstehung von Vorsorgevollmachten kommen Vertrauensverhältnisse zum Vorschein, wird Misstrauen beurkundet und persönliche Animositäten notariell fixiert – wenn es falsch läuft. Ein mediierendes Gespräch kann helfen, die Bedürfnisse der Vollmachtgeber mit den Möglichkeiten und Erwartungen der Vollmachtnehmer in Übereinstimmung zu bringen.

Der erste Schritt

Nun ist es schon schwer genug, sich rechtzeitig um die Vorsorgevollmacht zu kümmern, schließlich bedeutet eine Beschäftigung mit dem Thema auch die Einsicht der eigenen Endlichkeit. Es ist eine Sache, sich als Hauptdarsteller einer wienerischen "schenen Leich" zu sehen, eine andere aber, unfähig zu werden, seine höchstpersönlichen Angelegenheiten zu besorgen und hilflos im Spital oder Heim zu liegen. Für ersteren Fall sorgt allenfalls ein Testament, jedenfalls aber das Erbrecht.

Tritt letzterer Fall aber für die betreffende Person überraschend ein, so ist man unter Umständen hilflos der Ärzteschaft und der Pflegebürokratie ausgeliefert, ohne eigene Wünsche und Bedürfnisse äußern zu können. Hier greift allenfalls die gesetzliche oder gerichtliche Erwachsenenvertretung, welche mit großer Wahrscheinlichkeit eine umfassende Vollmacht an Angehörige erteilen wird. Nun könnte man glauben, dass diese Erwachsenenvertretung ohnehin ausreichen sollte, was ja rein rechtlich auch zutrifft. Der Vorteil der selbstbestimmten Vertretung ist eben nur, dass der zu Vertretende in eigenen Worten auch allfällige Beschränkungen der Vollmacht definieren kann oder klare Anweisungen geben kann. Nimmt man diese Möglichkeit nicht an, so bedeutet dies einen massiven Verlust an Autonomie im Falle des Falles.

Unterzeichnet man eine Vorsorgevollmacht, kann man individuelle Anweisungen und Wünsche festhalten.
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Konfliktszenarien

"Ich vertraue Dir einfach nicht". Eine klare Aussage, die wohl ein weiteres Gespräch bezüglich einer Vorsorgevollmacht hinfällig macht. Gleichzeitig aber bedeutet diese Aussage (so sie jener Person entgegengehalten wird, die mit großer Wahrscheinlichkeit am Wege der gesetzlichen oder gerichtlichen Erwachsenenvertretung ohnehin die Vertretungsvollmacht erhalten würde) de facto eine umfassende Vollmacht im Ernstfall. Gerade für den Fall, dass beispielsweise das einzige Kind der zu Vertretenden dieser nicht vertrauenswürdig erscheinen sollte, wäre es umso wichtiger, eine Vorsorgevollmacht zu erstellen, um die Befugnisse entweder einzuschränken oder einer anderen Person zu geben. Dass hier ein Konfliktpotential begraben liegt, ist offenkundig. Ausgesprochenes Misstrauen, eingeschränkte Vertretungsbefugnis oder die offensichtliche Degradierung zum "Ersatzvertreter" schmerzen und legen den Finger in offene Wunden. All diese Situationen lassen teilweise jahrzehntealte Konflikte aufbrechen und führen dann zu Problemen und Streit.

Abgesehen von den möglichen Problemen im Vorfeld der Erstellung kann natürlich auch zwischen der Unterzeichnung der Vollmacht und dem Eintritt des auslösenden Ereignisses Dissens entstehen und eine Neuregelung bedingen.

Ein Beispiel aus der Praxis

Anlässlich einer Erkrankung des Vaters entschlossen sich dessen Gattin A sowie die Kinder B und C einen Notar mit der Erstellung einer Vorsorgevollmacht zu betrauen. Unklar war jedoch die Reihenfolge der Vollmachtnehmer. Erst schien klar zu sein, dass die Mutter als Ehefrau des zu Vertretenden die erste Anlaufstelle für alle Fragen sein sollte, dann die beiden erwachsenen Kinder B und C. Als jedoch unter diesen ein Konflikt entstand, in welcher Reihenfolge sie betraut werden sollten, wurde auch klar, dass noch viele offene Fragen eine friedliche Regelung verhinderten.

Die wichtige und gute Idee einer Vorsorgevollmacht wurde in den Hintergrund gedrängt, als sich zwischen den potenziellen Vollmachtnehmern darüber hinaus auch ein Konflikt bezüglich zu erwartender Erbansprüche entzündete. Somit gab es eine Vielzahl von Regelungspunkten: Wann sollte A für welche Aspekte der Vorsorgevollmacht zuständig werden, ab wann B und C? Wären B und C nur gemeinsam vertretungsbefugt oder auch jeder alleine, beziehungsweise was sollte geschehen, wenn es hier einen Dissens geben würde?

Dem Konflikt zugrunde schien eine lange Geschichte von Missverständnissen und unausgesprochenen Kränkungen zu liegen, welche im Rahmen eines mediativen Settings aufgearbeitet werden sollten. Nichtsdestotrotz galt es eine Regelung für die Vorsorgevollmacht des Vaters zu finden, zumal hier die Zeit drängte. B und C setzten sich mit einem Mediator zu einem einmaligen Treffen zusammen, um die unmittelbar anstehenden Fragen im Sinne des Vaters zu klären, was auch gelang. Die durch die Diskussion aufgebrochenen Konflikte bezüglich der erbrechtlichen Ansprüche wurden ausgegliedert und in einer separaten Erbschaftsmediation besprochen, wobei beide Geschwister vorab in eine Rechtsberatung geschickt wurden, um die juristischen Basics zu klären.

Reihenfolge der Vertretungsbefugnis

Aktuell obliegt dem Einzelnen bei einem Notar, Rechtsanwalt oder einem Erwachsenenschutzverein die Formulierung, wer im Falle des Falles tätig werden soll, wer unterschreiben, kaufen, verkaufen und die alltäglichen Geschäfte erledigen soll. Das sollte besser im Vorhinein geklärt werden, um im Anlassfall Irritationen zu vermeiden.

Zu definieren wäre: Für den Bereich A ist X zuständig, sollte X binnen (Frist) nicht entscheiden können oder wollen, so ist Y zuständig. Eine gemeinsame Befugnis birgt hier immer die Gefahr einer Nicht-Einigung in sich, weswegen bei dringenden Entscheidungen besser nur eine Person die letztgültige Entscheidung fällen sollte. Um im Sinne der zu vertretenden Person zu entscheiden, sollten in der Vollmacht deren Wünsche so detailliert wie möglich aufgeschrieben werden.

Ein Beispiel aus dem persönlichen Umfeld

Ein besonderes Beispiel einer verantwortungsvollen Vorsorgevollmacht möchte ich auch noch erwähnen. Als unsere Freundin Monika erfuhr, dass ein inoperabler Hirntumor erschreckend schnell im Wachsen begriffen war, handelte sie schnell. Erst eine eingehende Rechtsberatung, dann konnte die Vorsorgevollmacht unter Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse und auch hinsichtlich der Möglichkeiten der zu bevollmächtigenden Nichte festgeschrieben werden. In unglaublicher Gelassenheit und Ruhe regelte sie ihre Angelegenheiten, legte die Verantwortung ab einem klar definierten Moment in die Hände der Nichte und konnte so wenigstens diesen Aspekt abhaken. Als sich ihr Zustand dann massiv verschlechterte, konnten alle ihre Anweisungen und Wünsche nach der Reihe erfüllt werden, wodurch ihr ein würdevolles Ende ermöglicht wurde.

Vertrauen, Ehre, aber auch Verletzung

Die Vorsorgevollmacht kann als ultimativer Vertrauensbeweis gesehen werden, legt man doch das höchstpersönliche Schicksal in die Hände einer Person, die man hierfür würdig und tauglich findet. Doch auch vonseiten der zu bevollmächtigenden Person bedeutet die Vollmacht nicht nur Ehre, sondern vielmehr auch ein nicht geringes Maß an Arbeit und Last auf den Schultern. Schließlich verpflichtet man sich (neben der moralischen Pflicht) auch rechtlich, im Sinne der zu vertretenden Person tätig zu werden. Diese Thematik ist perfekt dafür geeignet, familieninterne Konflikte zu adressieren und so Anlass für Streit zu sein. Mediation oder zumindest mediative Gespräche im Sinne der bedürfnisorientierten "gewaltfreien Kommunikation" können viel dazu beitragen, das Wording zu deeskalieren und zu erreichen, dass das Gemeinte auch gehört werden kann. (Ulrich Wanderer, 28.4.2022)