Österreich dürfte seit 2017 nicht nachgewiesen haben, wegen welcher Bedrohung Grenzkontrollen vonnöten sein sollen.

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Luxemburg/Brüssel/Wien – Nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) wackeln die in der Flüchtlingskrise eingeführten österreichischen Grenzkontrollen. Österreich dürfte nämlich schon seit Jahren die für die Kontrollen erforderliche ernsthafte Bedrohung seiner öffentlichen Ordnung nicht nachgewiesen haben, heißt es in einem am Dienstag ergangenen Urteil. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) betonte, Österreich werde weiter auf Grenzkontrollen setzen, "wenn es notwendig ist".

Verlängerung zwei Jahre möglich

Eigentlich gibt es im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, keine Personenkontrollen an den Grenzen. Nach der Flüchtlingskrise 2015 hatten aber mehrere Staaten wie etwa Österreich, Deutschland, Dänemark und Schweden solche Kontrollen teilweise wieder eingeführt. Einige Staaten, darunter Österreich, haben die Maßnahmen bis dato halbjährlich verlängert – dies ist laut EuGH maximal bis zu zwei Jahren möglich, wobei dafür auch eine entsprechende Empfehlung des Rats erforderlich ist. Nach Ablauf dieser Frist könne der betreffende Mitgliedsstaat bei einem Nachweis einer neuen ernsthaften Bedrohung Grenzkontrollen für weitere sechs Monate unmittelbar wiedereinführen, stellten die Richter fest.

Das Landesverwaltungsgericht Steiermark äußerte nun Zweifel, ob die Grenzkontrollen mit dem Unionsrecht, konkret mit dem Schengener Grenzkodex sowie dem Freizügigkeitsrecht der EU-Bürger, vereinbar sind. Anlassfall ist ein EU-Bürger, der sich bei der Einreise nach Österreich im August und November 2019 an der slowenisch-österreichischen Grenze weigerte, ein Dokument vorzulegen. Dies zog eine Geldstrafe in Höhe von 36 Euro nach sich.

Weitere Prüfung

Im vorliegenden Fall scheint Österreich, heißt es in dem EuGH-Urteil, seit November 2017 "nicht nachgewiesen zu haben, dass eine neue Bedrohung vorliegt". Damit könne eine Person bei der Einreise aus einem anderen Mitgliedsstaat nicht gezwungen werden, ein Reisedokument vorzuzeigen. Letztlich müsse dies aber das Landesverwaltungsgericht Steiermark prüfen.

Innenminister Karner hält Binnengrenzkontrollen allerdings für das Funktionieren von Schengen für notwendig. Darüber sei man sich auch im Rat der EU-Innenminister einig, behauptet er. "Österreich ist, was die illegale Migration betrifft, jenes Land in Europa, das am zweitmeisten pro Kopf betroffen ist", betonte Karner bei einem Treffen mit dem tschechischen Innenminister Vít Rakušan in Prag. "Wenn es notwendig ist, die Bevölkerung und die Grenzen zu schützen, dann werden wir das auch in Zukunft tun."

In der FPÖ sieht man das EuGH-Urteil gar als "reine Katastrophe". "Solange die EU nicht in der Lage ist, die Außengrenzen derart konsequent zu sichern, dass es zu keinen illegalen Grenzübertritten mehr kommt, müssen die nationalen Grenzen kontrolliert werden – und dies noch viel strenger, als es jetzt passiert", forderte FPÖ-Sicherheitssprecher Hannes Amesbauer.

Tschechien übernimmt Ratsvorsitz

Tschechien wird am 1. Juli den Vorsitz im Rat der EU übernehmen und damit Frankreich ablösen. Robuster Außengrenzschutz mit klarer Registrierung – ein Thema, das für Karner "besonders wichtig" ist – werde auch vom tschechischen Vorsitz prioritär behandelt, so der österreichische Innenminister. Nach zweijähriger Pause sollen ab Mitte 2022 auch wieder gemischte Streifen an der niederösterreichisch-tschechischen Grenze stattfinden, erklärt Karner. Gemischte Streifen gibt es auch mit den Nachbarländern Ungarn und der Slowakei.

Als wichtigstes Thema der tschechischen Ratspräsidentschaft benannte Rakušan aber den Krieg in der Ukraine und dessen Auswirkungen. Tschechien, wo mehr als 310.000 Geflohene bisher temporären Schutz bekamen, stehe vor allem bei der Aufnahme von ukrainischen Kindern in das Schulsystem vor einer Herausforderung. Verteilungsquoten von Flüchtlingen innerhalb der EU lehnen indes sowohl Österreich als auch Tschechien ab. (APA, red, 26.4.2022)