Es sei eigentlich gar nicht so schwer zu merken, sagt Laura Neuer. Aufs Klo gehen heiße auf Türkisch "çiş", ausgesprochen "Tschisch". Die junge Frau, die ihren echten Namen nicht in der Zeitung lesen will, ist Pädagogin in einem privaten Kindergarten in Wien. Vier von fünf Kindern hier haben Migrationshintergrund. An einem warmen Nachmittag im April sitzt sie auf einer Parkbank und erzählt: "Viele Kinder können, wenn sie zu uns kommen, erst einmal gar kein deutsches Wort. Weder 'Hallo' noch 'Auf Wiedersehen'."

Kindergartenpädagogin Neuer hat sich deshalb etwas überlegt. Sie schreibt sich einzelne Worte und Sätze in der Muttersprache der Kinder auf. Das sei einerseits wichtig, um zu wissen, was das Kind gerade braucht. Ist es hungrig oder durstig? Muss es aufs Klo? "Andererseits fühlen sich die Kinder dadurch heimischer", sagt die Pädagogin, die die unterschiedlichen Sprachen in den Kindergartenalltag miteinbeziehen möchte, denn: "Sie sind ja auch wertvoll."

Die Elternzeitung gestaltet Neuer daher mehrsprachig. Sie ermutigt auch die Mütter und Väter, mit den Kindern zu Hause weiterhin die Erstsprache zu sprechen. Studien würden belegen, dass sich Sprachen umso leichter erlernen lassen, je sicherer der Umgang mit der Muttersprache ist.

Geduld und Empathie

Fühlt sich das Kind wohl im Kindergarten und hat die Eingewöhnung funktioniert, dann wird mit Deutsch gestartet. Dabei arbeitet Neuer zum Beispiel mit Bilderkarten – sie hält eine Karte mit einem Symbol hoch, etwa einem Wasserglas, und sagt das Wort dazu. Zuerst sei der "Überlebenswortschatz" dran.

Neuer will möglichst geduldig sein, möglichst empathisch. "Ich versuche, mich in die Perspektive des Kindes hineinzuversetzen und mir vorzustellen, wie es für mich wäre, wenn ich kein Wort verstehen würde." Diesen Stil hätten jedoch nicht alle ihrer Kolleginnen. "Einige brüllen die Kinder an, dass sie endlich Deutsch lernen sollen." Neuer ist überzeugt, dass diese schwarze Pädagogik nicht funktionieren kann. "Da entsteht Widerstand, die Kinder wollen nicht mehr Deutsch lernen, wenn sie nur entwertet werden."

"Ich versuche mir vorzustellen, wie es für mich wäre, wenn ich kein Wort verstehen würde."
(Wiener Kindergartenpädagogin)

Dass mit Druck und Ausgrenzung gar nichts zu erreichen ist, dieser Meinung ist auch Iris Grassl. "Es darf keine generellen Sprachverbote geben", sagt die Leiterin eines öffentlichen Kindergartens in Wien-Simmering. Hier sprechen 80 Prozent der Kinder zu Hause nicht oder nur mit einem Elternteil Deutsch. "Wir wollen ihnen zeigen, dass sie bei uns willkommen sind – so, wie sie sind. Mit der Sprache, die sie sprechen."

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Spielerisch: Das ist laut Expertinnen und Experten der beste Zugang, um Kindern eine Sprache beizubringen.
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Natürlich sei es schwer für die Pädagoginnen, wenn sie die Kinder in der Gruppe nicht verstünden. "Aber Kinder sind ja nie komplett sprachlos. Sie haben immer einen Weg, sich auszudrücken." Wichtig sei, "eine Beziehung zu ihnen aufzubauen und aufmerksam dafür zu sein, was sie brauchen". Dass das zwischen Singen, Vorlesen, Windelwechseln und Streitschlichtung eine Herausforderung sein kann, gibt Grassl zu. Nichtsdestoweniger sei es eine wichtige Aufgabe des Kindergartens, den Kindern so weit wie möglich Deutsch beizubringen.

Durch andere lernen

Schwierig sei das, wenn mehrere Kinder in einer Gruppe dieselbe Erstsprache haben. Sie tun sich eher zusammen, Freundschaften entstehen. Die Pädagoginnen und Pädagogen versuchen dann, die Kinder zu mischen und zu schauen, dass sie auch mit anderen spielen – und von ihnen Deutsch lernen. "Kinder sind eine stark unterschätzte Ressource beim Sprachenlernen", erklärt Grassl.

"Kinder sind eine stark unterschätzte Ressource beim Sprachenlernen."
(Iris Grassl, Kindergartenleiterin in Wien)

Essenziell sei auch, die Eltern einzubinden. Dazu gibt es beispielsweise die Zeitschrift Papperlapapp: Sie wird den Kindern im letzten Kindergartenjahr ausgehändigt und erscheint zweisprachig. Mit den Pädagoginnen und Pädagogen wird sie auf Deutsch gelesen, zu Hause in der Erstsprache. "Die Kinder lieben es, wenn sie merken, dass ihre Sprache einen Platz hat, dass sie eine zusätzliche Kompetenz ist, die nicht verdrängt werden muss."

Wie schnell Kinder beginnen, Deutsch zu sprechen, sei ganz verschieden – es könne einige Monate dauern oder ganz schnell gehen. Manches Mal seien Kinder zunächst in der sogenannten stillen Phase, erklärt Grassl: "Sie sagen drei Monate lang gar nichts, saugen aber alles auf wie ein Schwamm. Dann plötzlich kommen dann Zwei-Wort-Sätze raus, und die Sprache setzt sich nach und nach zusammen."

Sprachlevel erheben

Zweimal pro Jahr wird in den österreichischen Kindergärten eine Sprachstandserhebung gemacht. Die Pädagoginnen und Pädagogen füllen Bögen aus, um das Sprachniveau der Vier- bis Fünfjährigen zu beobachten. Wie erzählen sie eine Geschichte? Welche Satzformen verwenden sie? Ist das Verb an der richtigen Stelle? Es gibt zwei unterschiedliche Bögen, einen für Deutsch als Erstsprache und einen für Deutsch als Zweitsprache.

Stellt sich bei einem Standort heraus, dass besonders viele Kinder Probleme mit Deutsch haben, kann dem Kindergarten eine Sprachförderkraft zugeteilt werden. 316 von ihnen gibt es derzeit etwa in Wien, 158 in der Steiermark, 500 in Oberösterreich, 200 in Salzburg, 100 in Kärnten.

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Ebenfalls effektiv: von anderen Kindern lernen.
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Die Sprachförderkräfte spielen mit den Kindern oder sind beim Essen dabei. "Es sind Alltagssituationen, in die wir Sprachförderung gezielt einbauen", sagt Astrid Jelencsits, die seit mehr als zehn Jahren in diesem Job arbeitet. Wenn ein Kind den Begriff "Apfel" nicht nur höre, sondern das Obst auch sehe, in der Hand halte, schmecke und rieche, verankere sich das Wort natürlich auch eher im Gedächtnis.

"Es sind Alltagssituationen, in die wir Sprachförderung gezielt einbauen."
(Astrid Jelencsits, Sprachförderkraft in Wien)

Jelencsits hält es den Kindern nicht vor, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Sie spricht ihnen nach und korrigiert dabei ganz nebenbei den Satz oder vervollständigt ihn. Wenn ein Kind lieber in Ruhe gelassen werden möchte, akzeptiert sie das. "Ich habe nichts davon, wenn ich mich aufdränge."

Es braucht mehr

Die Stadt Wien will bis 2025 die Anzahl der Sprachförderkräfte auf 500 erhöhen. Auch die Pädagoginnen und Pädagogen selbst sollen die Kinder beim Deutschlernen unterstützen. Dafür werden sie von Jelencsits und ihren Kolleginnen und Kollegen geschult.

Für Laura Neuer, die Wiener Kindergartenpädagogin, reicht das alles nicht aus. Die Sprachförderkraft ihres Kindergartens sei im Langzeitkrankenstand, und sie sei deshalb mit 25 Kindern alleine. "Wie soll ich da jeden Einzelnen genau beobachten und achten, auf welchem Sprachstand er ist?" Dafür brauche es mehr Personal oder kleinere Gruppen. Das verpflichtende Kindergartenjahr genüge nicht, um bis zur Volksschule Deutsch zu erlernen.

Gefragt, was sie sich wünschen würde, wenn alles möglich wäre, sagt die Pädagogin: "Eine zentrale Stelle für die Kindergartenanmeldung, die ein bisschen mehr auf eine Durchmischung achtet." Sie wisse von Kindergärten in Wien, in denen nur zehn Prozent der Kinder Deutsch als Muttersprache haben, sagt Neuer. "Wäre es die Hälfte, wäre das schon ziemlich super." (Lisa Breit, 27.4.2022)