Obwohl für ihren Betrieb tonnenschwere Kabel die Ozeane durchziehen und Sendemasten die Landschaften durchsetzen, stellt man sich vernetzte digitale Technologien wie das Internet gemeinhin als körperlos und immateriell vor. Nichts scheint flüchtiger und freier über den Dingen zu schweben als die Cloud, eine Wolke, die zugleich überall sichtbar und doch nirgendwo lokalisierbar ist.

Viele Vorstellungen des Digitalen seien bildlichen Charakters, meint Vanessa Graf.
Foto: Niko Zauparic

In ihrer Dissertation an der Kunstuniversität Linz und der Basler Hochschule für Gestaltung und Kunst FHNW erforscht Vanessa Graf, welche kulturellen Vorstellungen sich Menschen vom Digitalen bilden. Während sich kulturwissenschaftliche Forschungen zur Materialität des Digitalen bislang eher auf globale Zusammenhänge konzentriert hätten, will Graf die lokale Färbung des weltumspannenden Netzwerks ins Auge fassen.

Als Untersuchungsgebiet hat sie sich dabei für die österreichischen und Schweizer Alpen entschieden – eine Region, die mit ihren besonderen geologischen und ökologischen Bedingungen für den digitalen Infrastrukturausbau besonders herausfordernd ist, ihm aber zugleich auch einmalige Chancen bietet. Wie an keinem zweiten Ort in Europa treffen hier Umweltschutz und ökonomische Wertschöpfung aufeinander: "Beide Pole gemeinsam zu denken wird in der Zukunft entscheidend sein."

Digital Detox

Im Rahmen ihrer Forschung interviewt Graf Personen, die in den Bergen mit den Infrastrukturen arbeiten, von deren Anwesenheit oder Abwesenheit abhängig sind, etwa die Betreibenden von Almhütten, deren Nächtigungsangebote sich mit Internetverbindung besser verkaufen oder jene von "Digital Detox Camps", die sich umgekehrt die Abwesenheit von stabilem Empfang zunutze machen. Weil "Vorstellungen und Narrative nicht nur in der Sprache beheimatet" sind, setzt Graf neben klassischen Instrumenten der Feldforschung auch künstlerische Methoden ein.

Viele Vorstellungen des Digitalen seien bildlichen Charakters, weswegen Visualisierungen dabei helfen könnten, ihren Bedeutungsgehalt umfassender zu entfalten, als allein mit Worten möglich wäre. Was es heißt, wenn Menschen Computernetzwerke etwa als organisch wachsende und sich verästelnde Organismen beschreiben, kann man demnach besser verstehen, wenn man es so auch in Bewegtbildern zu animieren versucht. Neben einer klassischen Ethnografie in Form eines Buches sollen im Rahmen ihrer Promotion so auch Animations- und Filmsequenzen entstehen.

Für das Thema des Digitalen begann Graf sich zu begeistern, als sie nach dem Bachelorstudium an der Sciences Po Paris nach Linz kam, um an der dortigen Kunstuni den Master Medienkultur und Kunsttheorien zu studieren, und zugleich bei Ars Electronica zu arbeiten begann.

Die Medienökologin, die mit mehreren Kurzgeschichten in Literaturzeitschriften auch als Romancière hervorgetreten ist und sich aktuell im Rahmen eines Biologiestudiums an der Universität Salzburg fortbildet, hat zuletzt auch am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) der Kunstuniversität Linz in Wien als Junior-Fellow geforscht. (mdlr, 30.4.2022)