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Bei der NFL-Combine, einem Scouting-Event, bestach Bernhard Raimann durch überragende athletische Werte.

Foto: Reuters/Kirby Lee-USA TODAY Sports

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Raimann in Action für die Central Michigan University.

Foto: AP/Steve Jessmore

Es war ein außerordentlicher Glücksfall für Österreichs Football-Sport, dass Bernhard Raimanns Vater einst in die Wiener Vorstadt zog. Dort sah der 13-jährige Sohnemann andere Jugendliche einen Football herumwerfen, dort fand er Gefallen an dem Sport. Es war ein weiterer Glücksfall, dass Herr Raimann senior offenbar ein recht durchsetzungsstarker Mann ist. "Als die Vienna Vikings ihr Tryout abgehalten haben, wollte ich eigentlich schon umdrehen", sagt der mittlerweile 24-jährige Junior. "Mein Papa hat mich mehr oder weniger gezwungen, es wenigstens auszuprobieren."

Raimann begann, Raimann spielte, Raimann entwickelte sich, und Donnerstag- oder Freitagnacht wird Raimann der erste Österreicher sein, der im Draft der National Football League ausgewählt wird – und in weiterer Folge höchstwahrscheinlich der erste, der auf einer anderen Position als der des Kickers ein NFL-Spiel macht.

Für Football-Fans in Österreich ist das ein gewaltiger Schritt, von dem viele Engagierte seit Jahrzehnten träumen. Was Jakob Pöltl im Basketball ist, soll Raimann im Football sein. In den letzten Jahren ist schon einiges weitergegangen, Sandro Platzgummer und Bernhard Seikovits haben es in die Trainingskader der New York Giants bzw. Arizona Cardinals geschafft. Sie machten den Sprung aber mittels des International Pathway Program, das alljährlich vier Athleten aus Football-Entwicklungsländern einen geschützten Sonderplatz vermittelt. Im Kader für ein Bewerbsspiel stand das Duo noch nicht.

Friday Night Lights

Raimann ist da eine andere Geschichte. Er ist den klassischen Weg gegangen, den in den USA praktisch alle Profisportler gehen: Highschool, College-Stipendium, nun Draft. Wobei der Weg für US-Verhältnisse gar nicht so klassisch war, die meisten NFL-Profis haben schon mit drei Jahren Eierlaberln herumgetragen und nicht mit 13 einen Umzug des Papas gebraucht. Die große Karriere war auch danach kein Selbstläufer. Raimann machte sein Austauschjahr an einer US-Highschool nicht, um für Uni-Stipendien vorzuspielen, sondern "weil man das immer in Filmen sieht und das cool ausschaut". Beim ersten Besuch eines College-Matches wurde der Hintergedanke einer sportlichen Zukunft zum konkreten Ziel.

Die NFL war da noch sehr, sehr weit weg. Näher rückte sie erst durch einen, no na ned, Glücksfall. Der Central Michigan University gingen Anfang 2020 verletzungsbedingt die Offensive Tackles aus, im Fünf-Mann-Verbund der Pass- und Laufblocker sind das die Außenpositionen. Raimann spielte damals Tight End, ein Hybrid aus Passempfänger und Blocker. Er entschied sich zur Umschulung. In der Praxis hieß das hauptsächlich: Essen, Krafttraining, Essen, Essen, Krafttraining, Essen. Der Zwei-Meter-Mann wog zu Beginn der Transformation 115 Kilo, nun sind es 135.

Homeoffice-Futtern

Die Coaches konnten den gezwungenen Vielfraß nur virtuell begleiten, nach seinem dritten Training als Offensive Tackle unterbrach die Pandemie das Leben. "Ich habe meine Kochkünste in der Zeit verbessert", sagt Raimann. "Es kommt auf deine Willenskraft an, jeden Tag alle drei Stunden Nahrung zu dir zu nehmen, die Portionen zu vergrößern." Größere Teller und Besteck halfen dem damals 22-Jährigen. "Man testet seine Grenzen aus. Manchmal übergibt man sich, manchmal nicht." Als Offensive Tackle blühte der gebürtige Wiener auf, er ergänzte die bestehende Athletik bemerkenswert schnell durch feine Technik. Während seiner vierten und letzten College-Saison wurde offensichtlich, dass hier einer der besten Blocker des Absolventen-Jahrgangs heranwuchs.

Also der Draft, dieses Festival des Football-Nerdtums, auf das sich Fans aller Teams wie besessen vorbereiten. Beginnend mit dem schlechtesten Team der Vorsaison wählen alle 32 Franchises in sieben Runden je einen jungen Spieler aus. Das frische Blut wird so verteilt, um langfristig Ausgeglichenheit zu schaffen. Sogenannte Mock Drafts, also Vorhersagen für den Draft-Verlauf, gibt es zum sprichwörtlichen Schweinderlfüttern. Einige Expertisen sehen Raimann schon in der ersten Runde, die in der Nacht auf Freitag ab zwei Uhr abgehandelt wird; die Mehrheit sieht ihn als Zweitrunder (Nacht auf Samstag ab ein Uhr).

Raimann sagt, dass ihm der exakte Zeitpunkt des Drafts egal ist. Das gehört zur Professionalität dazu, stimmen wird es trotzdem nicht – je früher der Draft-Zeitpunkt, desto klingelnder die Kasse. Der Vertragsunterschied zwischen Draft-Position 32 und 64 wird über sechs Millionen US-Dollar liegen. Außerdem bekommen Erstrunden-Picks mehr Geduld der Teamführung, kein General Manager will sich Fehlgriffe eingestehen und seinen ersten Auserwählten auf der Bank schmoren sehen. Doch auch für die Könige der Vorschusslorbeeren ist der Draft nur ein Zwischenschritt, wer in der Vorbereitung nicht liefert, ist weg vom Fenster. Die NFL ist nicht für ihre Menschlichkeit bekannt.

Wohin die Reise geht

Raimann sagt auch, dass ihm der Name seines zukünftigen Teams egal ist. Auch das gehört zur Professionalität dazu, allerdings kann man ihm das vielleicht glauben. NFL ist NFL. Der Sprössling der Vienna Vikings hatte unzählige Meetings mit Vertretern sämtlicher möglicher Arbeitgeber, künftige NFL-Profis werden so gründlich durchleuchtet wie CIA-Anwärter.

Zumal Raimanns Position zwar keine glamouröse, aber eine der wichtigsten ist – vor allem auf der linken Seite der Offensive Line. Der Left Tackle beschützt die "Blindside" der meist rechtshändigen Quarterbacks. Lässt er aus, wird der Spielmacher weggeräumt. Ob links oder rechts, einen Stammplatz sollte Raimann zum Saisonstart im September haben. Und auch wenn ein Lineman selten für die großen Highlights sorgt: Es wird wohl ein großer Glücksfall für Österreichs Football. (Martin Schauhuber, 27.4.2022)