Rückkehr der 2G-Regel, Lockdown oder nur besseres Monitoring? Ein Expertenteam fordert eine Evaluierung des Pandemiemanagements.

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Wien – Ein Sommer fast ohne Corona gefolgt von einem Herbst mit explodierenden Infektionen und hartem Lockdown: Damit sich dieses Szenario nicht noch einmal wiederholt, fordert eine Gruppe aus Expertinnen und Experten eine Reflexion des Pandemiemanagements. Diese Prozessreflexion soll "jetzt" erfolgen", wie aus einem noch nicht finalen Arbeitspapier der Forschungsplattform Covid-19 Future Operations hervorgeht. Die darin entwickelten Szenarien reichen von einem Pandemieende bis zu einer Eskalation. Welche Denkvariante sie für am wahrscheinlichsten hält, führt die Gruppe nicht aus – wohl aber, was es zur Vorbereitung braucht.

"Dies ist als Version 1.0 zu verstehen", hielt der Virologe Andreas Bergthaler von der Medizinischen Universität Wien und dem Forschungszentrum für Molekulare Medizin (CeMM) der Akademie der Wissenschaften (ÖAW) am Mittwoch per Twitter fest. Gerade die vergangenen Monate hätten die "dynamische Entwicklung der Pandemie verdeutlicht", heißt es in dem Papier mit dem Titel "Covid-19: Szenarien für Herbst/Winter 2022 – und darüber hinaus", das einen Auftakt zu einer Diskussion bilden soll.

"Die mit Abstand größte Unbekannte in der Vorschau sind die epidemiologischen Charakteristika der zu erwartenden Varianten", so die Experten, zu denen unter anderen Peter Klimek (Complexity Science Hub Vienna und der Med-Uni Wien), Thomas Czypionka (Institut für Höhere Studien) oder der Bundesrettungskommandant des Österreichischen Roten Kreuzes, Gerry Foitik, zählen. Auch durch die hohe Infektiosität, die aktuell dominante Sars-CoV-2-Varianten an den Tag legen, könnten in Zukunft immer wieder Infektionswellen auftreten.

Vieles steht und fällt mit der weiteren Entwicklung des Virus selbst, der Immunität in der Bevölkerung, was vor allem den Schutz vor schwereren Krankheitsverläufen betrifft, dem Aufbau von Früherkennungssystemen zum Infektionsgeschehen oder der Test- und Spitalsinfrastruktur. Nicht zuletzt gehe es stark um das Vertrauen der Bevölkerung in die Entscheidungsträger sowie um die Kommunikation von Zielen von etwaigen Maßnahmen.

Impfpflicht erst in "ungünstigem Szenario"

Letztere wären in den günstigeren Szenarien, in denen entweder nur kleinere Wellen bzw. Winterwellen alle ein bis zwei Jahre auftreten, ohnehin sehr eingeschränkt. Aufrechterhalten bzw. verlängert werden sollten jedenfalls die nationalen Abwassermonitoringprogramme. Zudem brauche es ein aktives Überwachungssystem für Covid-19-Fälle bei niedergelassenen Ärzten, ähnlich dem Surveillance-System für Grippeerkrankungen, sowie regelmäßige statistisch valide Stichprobentestungen und Tests in Kindergärten und Schulen, um Schließungen zu verhindern.

Eine Umsetzung der ausgesetzten Impfpflicht thematisieren die Experten erst im "ungünstigsten Szenario" unter den Titel "Die Pandemie hält an". Hier hätte man es mit einem Virustyp zu tun, der "ähnlich infektiös und immunschutzumgehend wie Omikron, aber auch ähnlich virulent wie Delta" ist. Dann bestehe "die Möglichkeit eines mehrwöchigen Lockdowns". Im "schlechtesten Szenario" präsentiert sich der Erreger nochmals deutlich verändert und gefährlicher. Hier würde voraussichtlich das ganze Maßnahmenarsenal zur Eindämmung bis hin zu einer "Null-Covid-Strategie" notwendig.

Kein "Länderfleckerlteppich" mehr

Harte Maßnahmen, die eine dementsprechende Bereitschaft in der Bevölkerung brauchen, damit diese auch umgesetzt werden. Dafür brauche es statt anhaltender Unsicherheitsszenarien, unspezifischer Kommunikation und hastig verkündeter Maßnahmen seitens der Politik klar und nachvollziehbar formulierte Ziele.

Ein "'Fahren auf Sicht' wird nicht mehr akzeptiert", außerdem dürfe es keinen "Länderfleckerlteppich" mehr geben. Wie man zu einer derartigen Zieldefinition kommt, müsse jetzt durchdacht werden. Dazu gehöre auch eine Reflexion der vergangenen beiden Jahre und eine Fehleranalyse.

Prognose-Konsortium erwartet Abwärtstrend

In der kurzfristigen Perspektive gab die Einschätzung des Corona-Prognose-Konsortiums Grund zur Erleichterung: Der Abwärtstrend bei den Neuinfektionen ist nach wie vor vorhanden, wiewohl bei leicht verringerter Geschwindigkeit. "Mittelfristig" aber erwarten die Expertinnen und Experten ein Ende des Fallzahlenrückgangs, wie dem Update vom Mittwoch zu entnehmen ist. Die Infektionen dürften ein konstantes und nicht so niedriges Niveau wie in den vergangenen beiden Sommern erreichen.

Für die nähere Zukunft gehen die Expertinnen und Experten des Gremiums von folgender Situation aus: Für den kommenden Mittwoch (4. Mai) wird mit 4.532 bis 7.461 Neuinfektionen binnen 24 Stunden in Österreich gerechnet, der Punktschätzer als eine Art Mittelwert liegt bei 5.654. Zum Vergleich: Am heutigen Mittwoch lag der Wert bei 8.239 Neuinfektionen.

Alter der Spitalspatienten gestiegen

Laut Prognose sollte kommenden Mittwoch die Sieben-Tage-Inzidenz im Bereich von 350 bis 580 Fällen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner zu liegen kommen. Der Punktschätzer wurde mit 440 angegeben. Die geringste Inzidenz wird in der Steiermark (250 bis 400) und die höchste Inzidenz im Burgenland (480 bis 790) erwartet.

Was die Situation in Österreichs Spitälern betrifft, so ist das Durchschnittsalter der Patientinnen und Patienten gestiegen. Dieser Effekt bremse derzeit den Rückgang des Spitalsbelags, hieß es. In der Belagsprognose wird nicht zwischen Personen, deren Hospitalisierung kausal auf Covid-19 zurückzuführen ist, und Personen, die ursprünglich aufgrund einer anderen Diagnose hospitalisiert wurden, unterschieden, wurde betont.

Gewisse Unsicherheiten

Die Berechnungen des Gremiums sind jedoch auch mit Unsicherheiten behaftet. Für die gegenständliche Fallprognose betrifft dies Aufholeffekte aufgrund der Wiederaufnahme der Schultests in der vergangenen Woche, die die Einschätzung der Trends in der Altersgruppe der Schülerinnen und Schüler erschweren, wurde betont.

Zu den weiteren Limitationen zählen vorgenommene Schätzungen oder Modellannahmen. Als Beispiel wurde hierbei genannt, dass ein sprunghafter Anstieg der Anzahl älterer Erkrankter durch Pflegeheim-Cluster nicht sinnvoll im Rahmen der Belagsprognose modelliert werden könne. Weiters großen Einfluss stelle eine mögliche Änderung der Teststrategie dar. Falls es zum Beispiel im Prognosezeitraum zu einem verstärkten Einsatz von Tests komme, könne es zu einer systematischen Unterschätzung der Anzahl der positiv Getesteten kommen. Dasselbe gelte für zunehmend verspätetes Einmelden von positiven Tests. (APA, 27.4.2022)