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Eine Gasstation in Chiren: Bulgarien muss sich nach dem von Russland verhängten Lieferstopp nach anderen Bezugsquellen umsehen.

Foto: ap /filipowa

Nachdem die russische Gazprom ihre Lieferungen nach Bulgarien ohne Angabe von Gründen gestoppt hat, erklärte Bulgargaz, die bulgarische Seite habe alle Verpflichtungen vollständig erfüllt. Das Energieministerium in Sofia bestätigte, dass die staatliche Gasgesellschaft Anfang April die Zahlungen an Gazprom angeordnet habe und diese in den vergangenen Tagen – nach einiger Verzögerung – auch erfolgt seien. Deshalb verweist man in Sofia darauf, dass der Kreml den Gasstopp aus rein politischen Gründen, wegen des Krieges gegen die Ukraine, beschlossen habe.

Energieminister Alexander Nikolow kündigte am Mittwoch an, dass es keine Einschränkungen bei der Gasversorgung geben werde und dass der Staat für mindestens einen Monat alternative Lieferungen bereitgestellt habe. "Dies wird uns Zeit geben, zusammen mit der Europäischen Kommission und den Partnerländern eine nachhaltigere Lösung für die Situation zu finden", sagte Nikolow. "Solange ich Minister bin, werde ich nicht zulassen, dass Bulgarien erpresst und als Geisel genommen wird", fügte er hinzu.

Geopolitische Waffe

Der ehemalige Vizepremier von Bulgarien, Atanas Pekanow, sagte zum STANDARD, dass Russlands Maßnahmen gegen Bulgarien gegen die gesamte EU gerichtet seien. "Man versucht zunächst, eines von den kleineren Ländern anzugreifen. Aber das ist eine Drohung gegenüber der gesamten EU. Der Kreml will allen signalisieren, dass er in der Lage ist, die Gaslieferungen als geopolitische Waffe zu nutzen."

Der Stopp der Lieferung habe deutlich negative Auswirkungen für Bulgarien, sei aber kurzfristig nicht katastrophal, weil man nicht in der Winterzeit sei, sagte Pekanow. Als Begründung für den Lieferstopp nannte Gazprom, dass die Änderungen der Verträge von Bulgarien nicht eingehalten worden seien. Gemeint ist die Forderung von doppelten Konten bei der Gazprom-Bank für die Zahlung in Rubel.

Pipeline nach Griechenland

Die bulgarische Regierung stellte klar, dass Sofia diese Änderungen nicht hinnehmen, sondern dass man sich an die alten Verträge halten werde. Pekanow meint, dass es unklar sei, ob andere EU-Staaten die gewünschten Änderungen für die Verträge durchgeführt hätten. "Es gibt dazu keine ausreichende Transparenz. Wir wissen es einfach nicht", sagte er.

"Das ist alles andere als eine Überraschung für uns und die Regierung", sagte Plamen Pantew vom Institut für Sicherheit und Internationale Studien in Sofia. Mit dem Szenario eines Lieferstopps habe man sich in den vergangenen Monaten in Bulgarien auseinandergesetzt. Ab Herbst könnte Gas über eine neue Pipeline aus Griechenland nach Bulgarien kommen.

Transitgas nach Ungarn

Am Mittwoch floss über Turkstream weiter Gas nach Bulgarien. Die Regierung geht aber davon aus, dass die Gaslieferungen für den bulgarischen Markt ganz gestoppt werden. Laut Pantew ist das Land zu 92 Prozent von russischen Gasimporten abhängig. Es wird vor allem für die Heizungen in den großen Städten im Winter gebraucht. In den wärmeren Jahreszeiten sinkt der Gasbedarf in Bulgarien um etwa die Hälfte. Darüber hinaus gibt es einige Chemiewerke, die den Brennstoff verwenden. Pantew meint, dass diese Unternehmen Zugang zu Alternativen wie Diesel haben.

Insgesamt ist davon auszugehen, dass weiterhin Gas über die Pipeline Turkstream nach Bulgarien fließt, weil Bulgarien ein Transitland für Gas ist, das weiter nach Ungarn und Serbien geliefert wird. Ungarn und Serbien sind von dem Gasstopp durch Russland derzeit nicht betroffen. Russland warnte Bulgarien jedoch bereits vor einer "unbefugten Entnahme von russischem Gas aus Transitmengen in Drittländer". Energieminister Nikolow sagte, Bulgarien habe keine Pläne, das Transitgas für Serbien und Ungarn abzuzweigen.

Ende des Vertrags mit Gazprom

Bulgarien erlebt nicht zum ersten Mal einen Gasstopp. Am 7. Jänner 2009 hat Russland schon einmal den Gashahn zugedreht. Grund waren Streitereien zwischen Moskau und Kiew – allerdings floss das Gas bereits wieder nach fünf Tagen. Experte Pantew meint nun, dass das derzeitige Verhalten des Kreml und der Gazprom ein guter Grund sei, sich endgültig von dem Gaslieferanten zu trennen. "Es ist jetzt ein guter Zeitpunkt, dass Bulgarien sich neu orientiert und einen verlässlichen und glaubwürdigen Partner findet, von dem man das Gas kauft", sagt er.

Auch die Regierung machte bereits öffentlich, dass Sofia nach Ablauf des Zehnjahresvertrags mit Gazprom Ende 2022 nach anderen Möglichkeiten suchen werde, um den Erdgasbedarf zu decken. Pantew verweist darauf, dass es möglich wäre, in den kommenden Jahren zwei neue Atomreaktoren in dem Land zu bauen und ähnlich wie Frankreich auf Nuklearenergie zu setzen. Die neue bulgarische Regierung, an der auch die traditionell prorussischen Sozialisten beteiligt sind, tat sich von Beginn an schwer, eine klare Linie zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu finden. Doch nun scheinen die Sozialisten sogar in der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine einzulenken. (Adelheid Wölfl, 27.4.2022)