Solange der russische Präsident Wladimir Putin den Gashahn nicht zudreht, will die Regierung die Diversifizierung der Herkunftsländer vorantreiben.

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Der russische Stopp für Gaslieferungen nach Polen und Bulgarien hat – auch – Österreich aufgeschreckt. Will die Alpenrepublik aus ihrer Abhängigkeit von russischem Gas fliehen, reicht ein nationaler Kraftakt nicht. Es braucht einen europäischen. Vor allem aber muss beim Energiesparen aufs Gas gestiegen werden. Und: Gasreserven werden angelegt.

Frage: Wie realistisch ist ein sofortiger Ausstieg Österreichs aus russischem Gas?

Antwort: Nicht realistisch, es sei denn, Russland dreht den Gashahn zu. Die Abhängigkeit ist historisch gewachsen und mit 80 Prozent eine der höchsten in der EU. Nach den von der österreichischen Energieagentur im Auftrag des Klimaschutzministeriums erarbeiteten Handlungsoptionen könnte eine dramatische Reduktion von Gas aus Russland zumindest bis 2027 mit einem Kraftakt gestemmt werden. Bis 2030 könnte dieser gelingen.

Frage: Wie sieht der Pfad auf diesem Weg aus, und welche Alternativen müssten dafür ausgebaut werden?

Antwort: In erster Linie sind es Erdgasimporte aus anderen Ländern, die massiv und rasch ausgeweitet werden müssen (siehe Grafik). Erste Adresse ist dabei Norwegen, genannt wird aber auch algerisches Gas, wobei diesbezüglich fraglich ist, wie konkret die Abmachungen zwischen Algier und Rom tatsächlich sind. Zuletzt hat Italien vermeldet, einen Gas-Pakt mit dem Maghrebstaat anzustreben, fixe Verträge gibt es aber noch nicht. Über allem schwebt die EU-Kommission, die den Gaseinkauf für ganz Europa koordinieren wird. Dies auch, um bessere Preise zu bekommen, als dies beim Einzeleinkauf durch die einzelnen Mitgliedsstaaten der Fall wäre. Wie die Ausbeute dann verteilt wird, steht auf einem anderen Blatt – genauso wie der Preis, der dafür zu zahlen ist.

Frage: Wie viel Gas wird in Österreich pro Jahr verbraucht, woher kommt es?

Antwort: Die Energieagentur taxiert den Bruttoinlandsverbrauch pro Jahr auf 89 Terawattstunden (TWh). Davon kommen in etwa 63 TWh aus Russland, und 16 werden aus Norwegen und anderen europäischen Ländern importiert. Eine bis dato kaum ins Gewicht fallende Menge von zehn TWh kommt aus inländischer Produktion. Dieses Ungleichgewicht soll in den kommenden acht Jahren umgekehrt werden, indem die "anderen Importe" binnen fünf Jahren massiv ausgebaut, auf 50 TWh fast verdreifacht werden – um sie bis 2030 wieder auf 36 TWh zu reduzieren.

Frage: Diese Pläne sind ambitioniert, denn gegenüber dem Status quo bliebe ein Delta von knapp 30 TWh, das nicht durch Gas aus anderen Quellen ersetzt würde. Woher kommt der Rest?

Antwort: Von nirgendwo respektive aus einer nationalen Kraftanstrengung sowohl der Privathaushalte als auch der Energiewirtschaft und der Großverbraucher der Industrie. Sie alle werden mehr oder weniger zum Energiesparen beziehungsweise zum Einsatz alternativer Quellen verdonnert. Bis 2030 sollen laut dem von Branchenkennern durchaus kritisch betrachteten Szenario nicht weniger als 30 Terawattstunden Erdgas eingespart werden. Die Palette reicht von Pelletsheizungen über Wärmepumpen, Strom aus erneuerbaren Energieträgern, Biogas bis hin zu grünem Wasserstoff für eine der besonderen Herausforderungen, nämlich die für die Herstellung von Glas, Stahl etc. notwendige Prozesswärme.

Frage: Flüssiggas, sogenanntes LNG, kommt in dem Szenario der Energieagentur de facto nicht vor, warum?

Antwort: Weil Österreich weder über einen Meerzugang noch über die dazugehörigen Terminals verfügt. Deutschland wird wahrscheinlich LNG-Gas aus Großbritannien, das über Pipelines nach Belgien geführt wird, bekommen. Das wird nicht einfach und mit Sicherheit teurer als das Gas aus Russland.

Frage: Ist im Fall der gemeinsamen Beschaffung von Erdgas durch die Europäische Union sichergestellt, dass Österreich ausreichende Mengen zugeteilt werden, sodass der Bedarf gesichert ist?

Antwort: Das setzt einen komplizierten Verteilmechanismus voraus. Denn dazu braucht es die entsprechenden Pipelines. Die entsprechenden Pipelinekapazitäten sind bei der Austrian Gas Grid Management AG zu buchen, und es ist vor allem eine Frage des Geldes, was das Gas am Ende für Verbraucher und Industrie kostet. Wenn die EU Kapazitäten für den Binnenmarkt kauft, wird es einen Verteilungsschlüssel geben müssen. Die Kapazitäten werden versteigert, entscheidend sind also jene Länder, die über Knoten- oder Übergabepunkte verfügen wie Freilassing oder Kiefersfelden. Die Leitungen ins österreichische Baumgarten sind dafür ungeeignet, sie führen nach Russland. Für Gas aus Italien käme die Trans Austria Gasleitung (TAG) infrage, sie ist auch reversibel nutzbar. Allerdings sei die TAG gut ausgelastet. Überdies ist fraglich, wie viel algerisches Gas Italien entbehren können wird.

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Frage: Was, wenn Österreich nicht genug alternatives Gas beschafft? Und ist ein Verzicht auf russisches Gas machbar?

Antwort: Dann müsste der Bedarf der Industrie kontingentiert werden, sagt Klimaministerin Leonore Gewessler. Mittelfristig soll der Ausbau erneuerbarer Energien Abhilfe schaffen. Der frühere Energieregulator Walter Boltz sagte im Falter, ein Gasboykott wäre hart, aber möglich. Manche Fertigung würde vermutlich ausgelagert, manches verschoben, anderes zugekauft wie Dünger oder Aluminium. Die Wirtschaft sei anpassungsfähig.

Frage: Welche Bereiche haben das größte Einsparungspotenzial?

Antwort: Das größte Potenzial zur Verringerung des Gasbedarfs sieht die Energieagentur im Ausstieg aus Gas bei Raumwärme und Warmwasser. Dadurch könnte der Verbrauch bis 2030 um neun Terawattstunden sinken. Die Hälfte der 1,2 Millionen Gasheizungen könnte bis 2030 ersetzt werden, vor allem durch Wärmepumpen, Fernwärme und Biomasseheizungen. Beschleunigte Gebäuderenovierung könnte bis zu zwei TWh Gas einsparen. In Industrie und Gewerbe müssten sechs TWh Gas ersetzt werden, Effizienzgewinne könnten weitere vier TWh bringen. Potenzial in ähnlicher Größenordnung sieht man in der Substitution von Erdgaskraftwerken durch Strom aus Erneuerbaren. Das Potenzial von Geothermie, also die Nutzung von Erdwärme, wird auf zwei TWh taxiert, je eine TWh wird Biomassekraftwerken mit Kraft-Wärme-Koppelung sowie der Einsatz von effizienteren Geräten beigemessen.

Frage: Putin sagte, er liefert Öl und Gas nur noch gegen Rubel. Der Westen betont jedoch, dass weiter in Euro oder Dollar gezahlt wird. Wie passt das zusammen?

Antwort: Das liegt an den sogenannten Konvertierungskonten, die Gazprom für westliche Importeure eingerichtet hat. Österreich beispielsweise zahlt seine russischen Energieimporte weiter in Euro an die Gazprombank. Diese konvertiert das Geld in Rubel und leitet diese an die Gazprom weiter. Die Einrichtung dieser Konten war der gesichtswahrende Ausstieg aus Putins Gas-Rubel-Poker. Diesem hatten sich Polen und Bulgarien nicht unterworfen. (Luise Ungerboeck, 27.4.2022)