Die Anwaltsschreiben der Stadt Wien an die Lobau-Aktivistinnen interpretierten viele als klassische Slapp-Klagen.

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Journalisten und Aktivisten in der EU sollen besser gegen unbegründete Klagen geschützt werden, die sie einschüchtern und mundtot machen sollen. Die EU-Kommission hat dazu am Mittwoch einen Gesetzesvorschlag vorgelegt, der sogenannte grenzüberschreitende Slapp-Klagen gegen Journalisten und Aktivisten deutlich schwieriger machen soll. Demnach sollen Richter offenkundig unbegründete Klagen rasch abweisen können.

"Wir haben versprochen, Journalisten und Menschenrechtsaktivisten besser gegen diejenigen zu verteidigen, die versuchen, sie zum Schweigen zu bringen", sagt die Vizepräsidentin der EU-Kommission, Věra Jourová, in Brüssel.

Strategische Klagen

Die Kurzform Slapp steht im Englischen für strategische Klagen gegen öffentliche Beteiligung. Das Ziel der Slapp-Kläger ist dabei nicht in erster Linie, juristisch recht zu bekommen, sondern Belästigung und Einschüchterung. Betroffene sollten durch die Länge der Verfahren, den finanziellen Druck sowie die Androhung strafrechtlicher Konsequenzen zum Schweigen gebracht werden. Laut Kommission gibt es immer mehr solcher Fälle.

Konkret sollen in grenzüberschreitenden Fällen – nur für solche ist die EU zuständig – Gerichte Verfahren bei offensichtlich unbegründeten Klagen künftig frühzeitig einstellen können. Die Verfahrenskosten inklusive Anwaltskosten müssten dann vom Kläger übernommen werden. Für etwaige Schäden könnte das Slapp-Opfer zudem Entschädigung verlangen. Damit weniger Verfahren initiiert werden, sollen Gerichte zudem abschreckende Strafen gegen diejenigen verhängen, die solche Fälle vor Gericht bringen.

Schwierige Umsetzung

Da die EU-Kommission nur grenzüberschreitende Sachverhalte regeln kann, lässt sich ein gänzliches Verbot von Einschüchterungsklagen auf EU-Ebene nur sehr schwer durchsetzen. Den Mitgliedsstaaten steht es aber natürlich frei, weitergehende Regelungen zu schaffen.

In Österreich gilt schon jetzt die Grundregel, dass der Prozessverlierer die Kosten übernehmen muss. Wird ein aussichtsloser Anspruch eingeklagt, muss der Beklagte also ohnehin keine Prozesskosten bezahlen. Substanzlose Ansprüche werden hierzulande zwar von den Gerichten zugelassen, können aber meist schnell abgewiesen werden.

Problematisch sind Verfahren, die sich aufgrund ihrer Komplexität länger ziehen. Die Prozesskosten werden nämlich erst dann ersetzt, wenn das Verfahren beendet ist. Medien und NGOs müssen daher teils große Summen vorstrecken. Oft werden zudem absurd hohe Beträge eingeklagt, um die Anwaltskosten in die Höhe zu reiben.

Problematisch sind auch Verfahren, die sich lediglich außergerichtlich abspielen. Wer sich aufgrund einer Klagsdrohung mit einem Anwalt konsultiert, bleibt mitunter auf seinen Kosten sitzen – nämlich dann, wenn der Rechtsstreit nie vor Gericht landet.

Zunahme an Klagen

Eine Koalition von Nichtregierungsorganisationen aus ganz Europa (Case) sieht eine Zunahme an Slapp-Klagen. Aus Österreich ist der Presseclub Concordia Mitglied der europäischen "Koalition gegen Slapps in Europa". 2010 seien nur vier Slapp-Klagen in Europa verzeichnet worden, zehn Jahre später seien es schon 114 gewesen, teile Case am Mittwoch mit. Demnach sind vor allem Journalisten von solchen Einschüchterungsversuchen betroffen. Aber auch Medien und Aktivisten seien häufig Slapp-Opfer.

"Die Rechtsstreitigkeiten werden normalerweise von mächtigen und wohlhabenden Leuten gegen diejenigen angestrengt, die offensichtlich nicht über ein solches finanzielles Polster verfügen", sagt EU-Kommissionsvize Jourová. "Und immer dann, wenn wir ein solch unausgewogenes Verhältnis zwischen den Mächtigen und den Schwachen sehen, sollte normalerweise das Gesetz der schwächeren Seite helfen."

"Wichtiger Schritt"

Eine Möglichkeit, den Schwachen zu helfen, sind dem Vorschlag der Kommission nach Rechtsbehelfe, wie zum Beispiel Schadenersatz für Betroffene und abschreckende Strafen für die Einleitung missbräuchlicher Gerichtsverfahren. Außerdem werde den EU-Staaten empfohlen, ihre Vorschriften an das vorgeschlagene EU-Recht anzugleichen.

Die Organisation Reporter ohne Grenzen sieht den Vorschlag der EU-Kommission als ersten wichtigen Schritt. "Diese Verbesserungen begrüßen wir, doch leider beschränkt sich die Richtlinie lediglich auf Fälle mit grenzüberschreitenden Auswirkungen. Das schränkt ihren Nutzen erheblich ein", sagte Geschäftsführer Christian Mihr auf Nachfrage. "Um Journalistinnen und Journalisten wirkungsvoll in der gesamten EU zu schützen, ist es entscheidend, dass die Mitgliedsstaaten die gleichen Verfahrensgarantien auf nationale Fälle anwenden, wie es die Kommission empfiehlt." (APA, japf, 27.4.2022)