Was Angela Merkel derzeit so treibt, ob sie überhaupt in Berlin ist, in ihrem Wochenendhaus in Brandenburg oder vielleicht privat auf Reisen – kaum jemand in Berlin weiß es. Seit ihrem Abgang im Dezember 2021 ist die deutsche Ex-Kanzlerin nur noch einmal offiziell in Erscheinung getreten: im Februar, im Bundestag, bei der Wiederwahl von Frank-Walter Steinmeier zum Bundespräsidenten. Da war sie eine der offiziellen Wahlfrauen. Doch sie schweigt zur Tagespolitik. Und sie schweigt auch zu den Vorwürfen wegen ihrer Russland-Politik.

Zumindest bildlich ist Merkel nun jedoch zurück. Ab Freitag zeigt das Deutsche Historische Museum in Berlin bis zum 4. September die Ausstellung "Herlinde Koelbl. Angela Merkel – Portraits von 1991 bis 2021". Es ist eine Schau, wie man sie über keine/n andere/n europäischen Staats- oder Regierungschef/in machen könnte. Denn Koelbl musste nicht, wie viele andere Fotografen und Fotografinnen, aus dem Pulk heraus schauen, dass sie möglichst gute Bilder bekommt. Merkel hat Koelbl immer persönlich empfangen.

Angela Merkel im Jahr 1991.
Herlinde Koelbl

Immer Zeit gehabt für die Fotos

"Ich habe sie immer nach einem klaren Konzept fotografiert: Kopf, sitzend, stehend", erklärt Koelbl. Nicht an ihrem Schreibtisch, nicht mit Deutschlandfahne, einfach nur Merkel pur, immer Schwarz-Weiß, keine Farbe, eine weiße Wand, ein Sessel. Es habe auch keine Anweisungen gegeben, so Koelbl, außer: "Schauen Sie mich mit einem offenen Blick an." Dass sie Merkel über eine so lange Zeit begleiten werde, damit hatte die inzwischen 82-jährige Fotografin nicht gerechnet. Sie sagt über die Kanzlerin: "Auch bei großem Stress hat sie die Termine immer eingehalten. Vielleicht hat sie die Dokumentation ihrer eigenen Veränderung auch als Experiment gesehen."

Angela Merkel im Jahr 1998.
Herlinde Koelbl

Diese Veränderung sieht man mehr als deutlich auf den 60 Bildern. Anfangs, in den 1990er-Jahren, wirkt Merkel noch zurückhaltend, fast schüchtern. Beim ersten Bild – im Jahr 1991 – war sie Frauenministerin unter Kanzler Helmut Kohl. Eine "gewisse Kraft", so Koelbl habe man aber damals schon spüren können, obwohl die später dann mächtigste Frau der Welt "noch ungelenk sitzt".

Angela Merkel im Jahr 2021.
Herlinde Koelbl

Doch sie gewann bald an Statur, wurde im Auftreten sicherer. "Körpersprache ist eine sehr ehrliche Sprache", meint Koelbl. Sie selbst beschreibt die Entwicklung Merkels über die Jahre so: "Sie ist viel statischer geworden. Die Lebendigkeit in den Augen wurde weniger, man sieht, wie sie müder wird, und den physischen Preis des Amtes."

Was Merkel gelernt hat

Bis 1998 hat Koelbl Merkel jedes Mal gefragt, was sie in diesem Jahr gelernt habe. Die Antworten stehen unter den Porträts und geben Einblick darüber, wie sich die Ausnahmepolitikerin einen Panzer zulegte. "Ich bin zwar auch manchmal sehr erschöpft, an der Grenze meiner Belastbarkeit, aber ich kann es besser separieren", sagt Merkel 1993 als Frauenministerin.

Die Ausstellung ist bis 4. September im Deutschen Historischen Museum in Berlin zu sehen.
AFP/JOHN MACDOUGALL

Ein Jahr später, als sie Umweltministerin wurde, bekannte sie: "Eine wichtige Erfahrung war, dass ich mich nur auf mich selbst verlassen kann. Auf mich selbst und meinen Instinkt."

1997 sagte Merkel: "Ich werde auch besser im Pokern. Früher war ich etwas zu vertrauensselig und habe jedem von meinen Plänen erzählt. Aber Erfahrung macht klug." Wieder ein Jahr später, 1998, zeigte sie zum ersten Mal die Raute.

Frech und frisch

Aus dem Jahr 2018 stammt Koelbls Lieblingsbild. Merkel hat die Hände in die Seiten gestemmt und lacht entspannt. "Weil sie da so eine Lebendigkeit und Frischheit hat, vielleicht auch ein bisschen Frechheit. Man spürt, dass ihr das, was sie tut, Spaß macht", meint die Fotografin. Entstanden ist das Bild, als Koelbl zu Merkel sagte, sie sei mit dem Fotografieren fertig, Merkel könne jetzt also machen, was sie wolle.

Dieses 2018 entstandene Foto ist das Lieblingsbild von Fotografin Herlinde Koelbl.
AFP/JOHN MACDOUGALL

Das konnte übrigens auch Koelbl selbst. Merkel hat nie in die Auswahl der Bilder eingegriffen, sich diese nicht mal zeigen lassen. "Sie ist, im Gegensatz zu vielen Männern, völlig uneitel, das spricht für ihre Souveränität", sagt Koelbl. Das Fotografieren hat Merkel "nicht geliebt, aber sie hat es akzeptiert".

Merkels Eigenwilligkeit

Einige frühe der nun gezeigten Bilder waren schon 1999 im Deutschen Historischen Museum zu sehen. "Spuren der Macht" hieß die Fotoausstellung damals. Für diese hatte Koelbl 1991 bis 1998 fünfzehn Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Medien wiederholt porträtiert. Warum sie damals schon Merkel auswählte, erklärt Koelbl so: "Angela Merkels Kraft und Eigenwilligkeit fielen mir auf."

60 Bilder sind von der Ex-Kanzlerin zu sehen.
AFP/JOHN MACDOUGALL

Niemanden hat Koelbl dann so lange begleitet wie Merkel. Ginge es nach der Fotografin, so müsste auch jetzt noch nicht Schluss sein. "Natürlich", sagt Koelbl, "würde ich sie gerne noch weiter fotografieren." (Birgit Baumann aus Berlin, 29.4.2022)