Der Wiener Rathausmann, ein Symbol für die Hauptstadt.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Wer dieser Tage das Wiener Rathaus betrachtet, sieht nicht nur die gewundenen Bögen und gotischen Fenster, die das Gebäude zieren, und den hohen Mittelturm mit Uhr, sondern auch Baugerüste, die zwei der Nebentürme umhüllen. Die Stadt saniert derzeit die Gemäuer, die vor knapp 150 Jahren mit Naturstein verkleidet wurden – ein Material, das sich durch die Witterung in einem natürlichen Prozess zersetzt.

Nicht nur hier, auch an vielen anderen Bauwerken und Denkmälern in Österreich nagt das Rad der Zeit, das sich durch die Klimakrise ständig schneller dreht. Stück für Stück beschädigen die immer extremeren Witterungsverhältnisse, was der Mensch vor Jahrhunderten, gar Jahrtausenden geschaffen hat. Ob Wohngebäude, Denkmäler oder Skulpturen – vor dem kulturellen Erbe der Menschheit macht die Klimakrise keinen Halt.

Risse im Gestein

Um bis zu fünf Grad könnte sich die Jahresdurchschnittstemperatur hierzulande in diesem Jahrhundert noch erhöhen. Was für die meisten Menschen kaum fassbar ist, wirkt sich auf Bauwerke, Denkmäler und Skulpturen bereits konkret aus. Von außen erscheinen sie robust und kräftig – doch Temperaturschwankungen zwischen Tag und Nacht, wie sie mit der Erderhitzung zunehmen, verursachen Risse im Material. In diese spülen immer stärkere Niederschläge Regenwasser hinein und zersetzen so das Gestein von innen. "Bei Marmor, Kalkstein und Kalkputz erwarten wir, dass der Abtrag von Material an den Fassaden stetig größer wird", sagt Marija Milchin, Restauratorin an der Universität für angewandte Kunst, die sich mit den Auswirkungen der Klimakrise auf Gebäude und Denkmäler befasst.

Allein in der Kulturstadt Wien stehen viele Palais mit künstlerisch ausgearbeiteten Fassaden und erhöhten Außenwänden, die über Dächer hinausragen, auch Attika genannt. Diese sind ein Problem, weil der Wind kräftiger wird und das Material belastet. Zum Kulturerbe gehören aber nicht nur die imposanten Bauten. Tausende historische Objekte sind in Österreich dem Verfallsprozess ausgesetzt, der sich durch die Klimakrise beschleunigt. "Kulturerbe ist sehr viel mehr. Man denke an die vielen kleinen Dorfkirchen oder Bergkirchen und das damit verbundene kulturelle Erbe", so Sabine Ladstätter, Archäologin und Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts, die dort den Bereich Heritage Science leitet, ein interdisziplinäres Forschungsfeld, das Kulturgüter mit dem Ziel erforscht, Wege zu finden, sie zu erhalten.

Fassaden, wie hier an der Secession in Wien, stehen durch Temperaturschwankungen und Starkregenfälle unter einem größeren Druck.
Foto: Robert Newald

Außenbereiche schwierig

Begrünte Fassaden und Dächer, schattenspendende Grünflächen – Ideen, wie sich Städte an die Klimakrise anpassen können, gibt es viele. Bei Kulturgütern funktionieren diese Ideen aber nur begrenzt. Gerade Denkmäler und Bauwerke, die im Freien stehen, stellen eine Herausforderung dar. "Alles, was im Innenbereich ist, kann man viel besser steuern. Da kann man Einfluss nehmen auf die Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Licht, Sauerstoff. Da kann man viel besser präventiv arbeiten", sagt Martina Haselberger, Restauratorin an der Universität für angewandte Kunst. Im Außenbereich sind die Möglichkeiten hingegen beschränkt.

In den meisten Fällen kann ein Denkmal nicht verlegt werden, weil es einfach zu seiner Umgebung gehört. In Wintermonaten lassen sich Denkmäler und Skulpturen in Parkanlagen zumindest umhüllen. Fassaden und komplette Gebäude sind schwieriger zu schützen. Restaurateure setzen daher mitunter auf traditionelle Methoden. Dazu gehört etwa, Fassaden oder Naturstein-Skulpturen mit Schlämmen auf Kalkbasis zu überziehen. Für poröses Material eignet sich das Verfahren gut, auch gegen die Auswirkungen der Klimakrise scheint es vielversprechend zu sein. Experten arbeiten daran, weitere Methoden für den Außenbereich zu finden. "Wir versuchen unsere Palette an möglichen, bestehenden Maßnahmen durchzuschauen, die in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten hilfreich sein können", so Milchin.

Politisch wenig präsent

Da besonders extreme Ereignisse schwer vorhersehbar bleiben, sehen Expertinnen wie Haselberger in Monitoring und Frühwarnsystemen großes Potenzial. Zudem ist es wichtig, jedes historische Bauwerk und Denkmal regelmäßig zu untersuchen und bestmöglich zu pflegen – etwa was Fassade, Dächer, Rohrleitungen oder dekorative Elemente betrifft. Für den schlimmsten Fall, wie etwa unvorhergesehene Extremwetterereignisse, empfiehlt Haselberger präventiv zu arbeiten, also das Risiko für Schäden abzuschätzen und sich entsprechend darauf vorzubereiten. Der Denkmalschutz kann bei alldem sogar zum Klimaschutz beitragen. Ein neues Haus zu bauen kostet Energie, die sich durch Erhaltung einsparen lässt.

Das Kulturerbe vor der Klimakrise zu schützen ist eine Aufgabe, die noch nicht richtig begonnen hat. Ein "Klimaschutzplan" für Kulturobjekte fehlt bisher. Im türkis-grünen Regierungsprogramm bekennen sich die Koalitionspartner dazu, das kulturelle Erbe nachhaltig zu schützen. Wie genau, bleibt offen. Um Kulturerbe zu erforschen und zu erhalten, braucht es Geld, das meist fehlt. Noch gibt es auf nationaler Ebene keine Förderung für die Erforschung von Kulturerbe. Dadurch lassen sich Forschungen bisher nur sehr schwer finanzieren. "In einem Land, das sich als Kulturnation begreift, müsste die Idee auf fruchtbaren Boden fallen. Wenn man diese kulturelle Vielfalt des Landes erhalten will, muss man investieren", sagt Ladstätter. Dass das zunächst Forschung bedeute, sei oft nicht klar.

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Hochwasser tritt in Venedig oft auf, wie hier im Dezember des Vorjahres. Durch die Klimakrise verschärft sich das Problem.
Foto: AP / Luigi Costantini

Quintessenz der Menschheit

Drastischeren Auswirkungen der Klimakrise steht die Forschung jedenfalls machtlos gegenüber. Venedig, die Altstadt von Dubrovnik oder die Ruinen von Karthago – der steigende Meeresspiegel bedroht Küstenstädte, die sozusagen aus Geschichte bestehen. Aufzuhalten ist das oft nicht, solange sich nicht Grundsätzliches ändert und Länder ihre Emissionen massiv reduzieren. Kulturgüter zu dokumentieren, bevor sie verschwinden – etwa in virtueller Form –, bleibt oft das letzte Mittel, um sie zu erhalten. "In Zukunft kommen wir vermehrt in die Situation, Entscheidungen darüber treffen zu müssen, was gerettet wird und was nicht", sagt Milchin.

Auch wenn sich nicht alles retten lässt, sind sich die Expertinnen einig: Das kulturelle Erbe zu schützen ist eine gesellschaftliche Pflicht. "Ich glaube, dass der Großteil der Menschen großes Interesse am eigenen oder globalen Kulturerbe hat", so Ladstätter. "Es geht grundsätzlich darum, woraus wir unsere eigene Existenz schöpfen." Milchin schlägt in eine ähnliche Kerbe. Kultur sei die "Quintessenz der Menschheit" und das, was am Ende von ihr übrig bleibt. "Das materielle Kulturerbe ist der am längsten bestehende Informationsträger einer Kultur",so Milchin. "Wenn das nicht erhaltenswert ist, weiß ich auch nicht." (Florian Koch, 30.4.2022)