Teurere Lebensmittel heizen Debatten um soziale Umverteilung an.

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Der Ruf der Politik nach einer Senkung der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel erfährt in Österreichs Handel wenig Gegenliebe. "Rückendeckung gibt es von uns dafür keine", stellt Christof Kastner klar. Der Vizeobmann des Lebensmittelhandels warnt vor einer doppelten Retourkutsche. Denn Österreich könne sich nur ein temporäres Aussetzen der Umsatzsteuer leisten.

Bei ihrer Wiedereinführung würde diese die Bevölkerung wie ein Bumerang treffen. Die finanzielle Entlastung sei für Konsumenten auch zuvor nicht sichtbar. Denn die Preise stiegen in Summe weiter. Kastner fürchtet, dass der Handel in die Rolle des Inflationstreibers rutscht. Der volkswirtschaftliche Effekt derartiger Maßnahmen sei hierzulande bisher stets bescheiden geblieben.

Anders als Rewe-Chef Marcel Haraszti, der im Kurier jüngst eine Halbierung der Mehrwertsteuer forderte, hält Spar davon wenig. Es höre sich gut an, sei aber nicht zielgerichtet, sagt Konzernsprecherin Nicole Berkmann. Mit der Abschaffung der kalten Progression und geringeren Lohnnebenkosten sei einkommensarmen Familien in Österreich weit mehr geholfen.

"Schnellschuss"

Im Schnitt geben Haushalte hierzulande rund zwölf Prozent des Einkommens für Lebensmittel aus. Nur wenige andere Länder weltweit lassen sich diese im Verhältnis zu den Gehältern weniger kosten.

Stephan Mayer-Heinisch, Präsident des Handelsverbands, ortet im Gespräch mit dem STANDARD einen Wettbewerb des Populismus, um die Inflation abzufedern. Doch Schnellschüsse wie niedrigere Umsatzsteuern seien kein Allheilmittel.

Der Schock der Teuerung werde damit nur verschoben. Die Schwierigkeiten in den Lieferketten seien zu komplex, als dass sie sich durch selektive Eingriffe in die Preise lösen ließen. "Das Grundproblem ist der gefräßige Staat, der Arbeitnehmern wenig Geld im Börsel lässt", meint Mayer-Heinisch. Ihnen müsse künftig netto mehr übrig bleiben.

In keinem anderen Land müsse man mehr arbeiten, um sich Vermögen zu erwirtschaften, als in Österreich, gibt auch der Marktforscher und Handelsexperte Andreas Kreutzer zu bedenken. "Wir sollten lieber hinterfragen, ob unser Steuersystem generell noch zeitgemäß ist."

"Rechnung kommt erst"

Mit der Reduktion der Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel lasse sich die Inflation nur kurz dämpfen, sagt Kreutzer. "Die Rechnung kommt am Schluss." So habe Deutschland nach Auslaufen der Steuerentlastung im ersten Corona-Jahr einen deutlichen Preisschub nach oben erfahren.

Andreas Haider, Eigentümer der Handelskette Unimarkt, spricht von einer Gießkanne, von der auch jene Haushalte profitierten, die es finanziell nicht nötig hätten. Wie hoch ist das Risiko, dass Supermärkte die finanzielle Erleichterung nicht an die Konsumenten durchreichen?

Ein ordentlicher Kaufmann gebe sie weiter, sagt Haider. Das transparent und nachvollziehbar zu gestalten sei aber kaum möglich. So wie es sich die Politik wünsche, würden die Preissenkungen wohl nie bei den Endverbrauchern ankommen.

Alois Stöger, Leitender Sekretär der Produktionsgewerkschaft Pro-Ge, ist dennoch überzeugt, dass geringere Umsatzsteuern zu rascher finanzieller Entlastung führen – zumal die Regierung nicht bereit sei, bei den großen Kostenfaktoren Heizen, Energie, Sprit tätig zu werden.

"Einfache Kontrolle"

Verständnis für den Widerstand der ÖVP gegen die Mehrwertsteuersenkung auf Nahrungsmittel hat er keine. Was bei Wirten und Hoteliers möglich war, müsse auch für Menschen mit wenig Einkommen realisiert werden – "so lange, bis es wieder eine vernünftige Inflation gibt, mit der die Leute leben können".

Klar sei, dass nicht alle Händler die steuerliche Entlastung weiterreichen. Angesicht ihrer hohen Marktkonzentration sei es jedoch einfach, sie zu kontrollieren, glaubt Stöger. (Verena Kainrath, 28.4.2022)