Ein Umspannwerk von Österreichs größtem Stromkonzern Verbund in Wien.

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Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, galoppierende Energiepreise und dazu noch der Umbau des Energiesystems, den Österreich bis 2030 schaffen soll: Verbund-Vorstandschef Michael Strugl kommt kaum zur Ruhe.

STANDARD: Verbund verdient Geld wie Heu. Ist das in der derzeitigen Situation noch zu rechtfertigen?

Strugl: Wir sind nicht schuld, dass der Strompreis so hoch ist. Die CO2-Bepreisung und der Wirtschaftsaufschwung im Vorjahr, die den Strom auf den Großhandelsmärkten verteuert haben, waren gesellschaftlich gewollt. Dann kam der Krieg in der Ukraine, das hat den Strom wegen der nach oben geschnellten Gaspreise nochmals verteuert. Als Unternehmen mit sehr wettbewerbsfähigen Erzeugungskosten sind wir jetzt in einer vorteilhaften Situation.

STANDARD: Kein schlechtes Gewissen, wenn viele einkommensschwache Haushalte nur mehr schwer ihre Stromrechnung zahlen können und immer mehr Unternehmen mit dem Rücken zur Wand stehen?

Strugl: Natürlich verstehen wir diese Sorgen. Auch wir wollen, dass die Menschen über genügend Kaufkraft verfügen, dass es Wohlstand gibt im Land und dass die Wirtschaft wettbewerbsfähig bleibt. Wir sind aber der falsche Adressat. Ich mit meinem Team bin verantwortlich für Verbund, wir müssen im Sinne des Unternehmenswohls gut wirtschaften. Für das andere ist die Regierung zuständig, und sie hat auch schon Maßnahmen gesetzt, um die hohen Energiepreise abzufedern.

STANDARD: Kritik kommt auch von Branchenkennern wie Christian Kern, selbst einmal Vorstand bei Verbund, später Bundeskanzler. Dass ein Energieversorger für eine Megawattstunde Strom aus Wasserkraft 200 Euro kassiert, sei nicht einzusehen, meinte er kürzlich mit dem Hinweis, Verbund als größter Stromerzeuger Österreichs habe im Vorjahr 55 Euro pro Megawattstunde erhalten, jetzt um 145 Euro mehr. Was antworten Sie?

Verbund-Chef Michael Strugl vermisst Antworten auf die Frage, ...
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Strugl: Dass wir den Preis nicht machen, dass es einen Markt gibt, auf dem sich die Preise bilden.

STANDARD: Kern hat auf die niedrigen Gestehungskosten von Verbund mit den vielen abgeschriebenen Wasserkraftwerken angespielt und stellt die Preisermittlung infrage, wie sie derzeit in Europa üblich ist. Das letzte und teuerste Kraftwerk, das zugeschaltet werden muss zur Deckung der Nachfrage, bestimmt den Preis aller anderen Kraftwerke.

Strugl: Es hat sich in den vergangenen 20 Jahren der Strommarktliberalisierung herausgestellt, dass die sogenannte Merit-Order-Logik mit einheitlichem Markträumungspreis den größten Effizienzgewinn gebracht hat für die Kunden. Vorher hatten wir ein reguliertes System. Dass ein solches weniger effizient ist als ein wettbewerbsbasiertes, ist Lehrbuchwissen.

STANDARD: Lassen sich die Wettbewerbsvorteile beziffern?

Strugl: Haushalte und Unternehmen haben sich in diesen 20 Jahren durch niedrigere Strompreise ungefähr 13 Milliarden Euro erspart und rund 15 Milliarden bei Gas. Außer Kritik habe ich noch keinen Vorschlag gehört, wie die Preissetzung besser erfolgen könnte. Auf EU-Ebene ist derzeit die Acer, der Zusammenschluss der europäischen Regulierungsbehörden, dabei zu überlegen, was ein Ausweg in der derzeitigen Situation kriegsbedingter Verwerfungen sein könnte. Ergebnisse werden für Anfang Mai erwartet, dann wird man weitersehen.

... welches System der Preisfestsetzung auf Europas Strommarkt ...
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STANDARD: Auch wenn Sie wollten, könnten Sie als Verbund nicht ausbrechen aus dem Schema?

Strugl: Nein, die Marktregeln sind für alle gültig.

STANDARD: Verbund erhöht mit kommender Woche die Preise für seine Stromkunden, warum?

Strugl: Weil wir zu einer marktpreisbasierten Preisbildung angehalten sind. Wettbewerbs- und auch kartellrechtliche Gründe spielen eine Rolle, wir dürfen keine Kampfpreise anbieten. In unserer Kalkulation müssen wir spätestens jetzt, nach der Heizsaison, die Preisanpassung machen, damit das mit unserer Beschaffungsstrategie zusammengeht. Andere haben schon früher erhöht.

STANDARD: Wir haben einen Krieg vor der Haustür, was schlimm genug ist. Wie gut ist die Branche aber auf Cyberattacken eingestellt, die jederzeit drohen können, und auf einen möglichen Blackout?

Strugl: Das haben wir schon länger auf dem Radar und haben entsprechende Vorkehrungen getroffen, um unsere Systeme zu schützen und sicher aufzustellen. Mit regelmäßigen Tests und Übungen kontrollieren wir, wie resilient unsere Systeme gegenüber solchen Angriffen sind. Das ist ein Dauerauftrag auch in unserem Haus. Das Risiko ist gestiegen, und wir haben unsere Anstrengungen entsprechend verstärkt.

STANDARD: Wie resilient sind wir?

Strugl: Details dazu kann ich aus verständlichen Gründen nicht angeben.

STANDARD: Noch brenzliger scheint die Gefahr, dass eine Attacke auf das ukrainische Stromnetz auch wir zu spüren bekommen, nachdem dieses kürzlich mit dem europäischen verbunden worden ist.

... besser wäre als das derzeit praktizierte.
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Strugl: Wenn man beide Netze synchronisiert, entsteht ein Risiko, das hat man gewusst. Auf Ebene der Übertragungsnetzbetreiber hat man technische Vorkehrungen getroffen, dass man sich rasch trennen kann im Fall, dass in der Ukraine etwas mit dem Stromnetz passiert. Vorkehrungen wurden aber auch getroffen, dass es bei einem Zugriff russischer Kräfte auf Anlagen in der Ukraine zu keinem Durchgriff auf sensible Daten in Westeuropa kommen kann.

STANDARD: Kommen wir zu erneuerbaren Energien und dem schleppenden Ausbau. Warum geht das nicht schneller?

Strugl: Ich habe das Gefühl, dass es nicht zuletzt unter dem Eindruck des Kriegs in der Ukraine doch eine Bewusstseinsschärfung gibt für die Notwendigkeit, die Erzeugung im eigenen Land und auch die Infrastruktur auszubauen. Flächen müssen bereitgestellt, Verfahren beschleunigt werden. Das ist jetzt die Nagelprobe auch für die Politik im Bund, in den Ländern und Gemeinden. Wenn man den Umbau will, muss man jetzt handeln, sonst bleibt das eine Sprechblase. Allein bei Verbund investieren wir in den kommenden drei Jahren über drei Milliarden Euro in den Erneuerbaren-Ausbau und in die Netz-Infrastruktur.

STANDARD: Kennen Sie den Wahlsieger in Slowenien, Robert Golob? Hatten Sie mit ihm schon zu tun?

Strugl: Nicht persönlich.

STANDARD: Er kommt aus der Strombranche, hat 2004 das Stromversorgungsunternehmen Gen-I gegründet und es als Aufsichtsratsvorsitzender 15 Jahre lang geleitet.

Strugl: Es scheint eine interessante Persönlichkeit zu sein. Ich finde es spannend, dass ein Unternehmer aus unserer Branche das geschafft hat.

STANDARD: Sie sind den umgekehrten Weg gegangen, von der Landespolitik in die Wirtschaft. Ist für Sie irgendwann ein Weg zurück in die Politik vorstellbar?

Strugl: Das habe ich nicht vor. (Günther Strobl, 29.4.2022)