Er wurde nur 28 Jahre alt und hat doch die Epoche der Romantik entscheidend geprägt: Novalis.

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Krieg und Gewalt bedrohen den Kontinent. Ein unberechenbarer Usurpator der Macht bedrängt die Nationen. Als schrankenloser Kriegsherr schickt er sich an, seine imperialen Ansprüche in einem brachialen Zivilisationsbruch ganzen Völkern aufzuzwingen.

Ein junger Adliger aus der deutschen kursächsischen Provinz sieht sich zum Widerstand dagegen aufgerufen. In großem geschichtsmythischem Bogen entwirft der 27-Jährige eine Abhandlung, die erstmals in deutscher Sprache ganz Europa als Einheit beschwört. Nicht Gewehre und Kanonen sollen die verändernde Gewalt sein, sondern das menschliche Bewusstsein und der christliche Glaube an die Zukunftsmacht einer europäischen Gemeinschaft.

Der streitbare Utopist im Namen eines europäischen Staatenbunds, "ohne Rücksicht auf Landesgränzen", heißt Friedrich von Hardenberg. Nach einem alten Familiennamen nennt er sich als Schriftsteller Novalis: "der Neuland Erkundende". Sein nie genannter Gegenspieler indes ist Napoleon, der gerade – im November 1799 – die Direktorialregierung gestürzt hat und erkennbar nach der unumschränkten Macht greift.

Entsprechend dramatisch wird die historische Situation empfunden, in der halb Europa, nach der Blutherrschaft der Französischen Revolution, in die Schrecken des Zweiten Koalitionskrieges verstrickt und der Papst, aus Rom verschleppt, Ende August 1799 in französischer Haft gestorben ist. Die Wahl eines neuen Papstes wird monatelang verhindert.

In eine geglückte Zukunft

Aus Sehnsucht nach einem dauerhaften Frieden plädiert der Verfasser des Essays Die Christenheit oder Europa für eine katholisch geprägte Überstaatlichkeit. "Es wird so lange Blut über Europa strömen, bis die Nationen ihren fürchterlichen Wahnsinn gewahr werden, der sie im Kreise herumtreibt", befand er, und dauern werde das, bis "die Christenheit mit neuer Herrlichkeit sichtbar auf Erden in ihr altes friedenstiftendes Amt" eingetreten sei.

Von einem verklärten Bild des Mittelalters ausgehend erhofft er sich die wiederhergestellte Einheit der christlichen Konfessionen als bindende Kraft für Europa. Ein dialektischer Dreischritt der Geschichte schwebt ihm vor, der von einer friedvollen Vergangenheit über eine zersplitterte Gegenwart in eine geglückte Zukunft führen sollte.

Für den pietistisch erzogenen Freiherrn von Hardenberg war das christliche Mittelalter, wie für viele spätere Romantiker, das Sehnsuchtsbild einer verlorenen Ordnung. In einer hereinbrechenden Zeit mit materialistischem Fortschrittsfuror und dem "unruhigen Tumult zerstreuender Gesellschaft" drohe die "Vertrocknung des heiligen Sinns", mahnte er: ein Vakuum, das durch die Wiederverzauberung der Welt in der Poesie, durch eine "neue Mythologie" überwunden werden soll. Denn: "Wo keine Götter sind, walten Gespenster."

In Jena, wo der Student Hardenberg bei Schiller begeistert die Dimensionen einer "Universalgeschichte" kennengelernt und damit seinen Sinn für große historische Dimensionen geschärft hatte, verwarf man im Freundeskreis um die Brüder Schlegel den Aufruf von Novalis. Die Retro-Zukunft einer imperialen Rekatholisierung verstellte, auch für Goethe, den Blick auf den "heiligen Ernst" von Novalis’ europapolitischer Vision. Der Aufsatz wurde erst 1826, lange nach dem Tod des Verfassers, von Friedrich Schlegel erstmals veröffentlicht.

Romantisieren der Welt

Man hat ihn lange Zeit als Denker und Mittler des Zukünftigen nicht ernst genommen, diesen schwärmerischen Erfinder der blauen Blume der Romantik und Dichter der todessüchtigen Hymnen an die Nacht. Dabei war der vor 250 Jahren, am 2. Mai 1772, in eine alte niedersächsische Adelsfamilie hineingeborene Dichter der maßgebliche Anreger und Begründer einer Bewegung, die eine ganze Kulturepoche magisch verändert hat.

"Die Welt muss romantisiert werden", forderte Novalis 1798, und in einem nachgelassenen Fragment ist seine Definition des "Romantisierens" überliefert: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnißvolles Ansehn, dem Bekannten die Würde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe, so romantisiere ich."

In der Aphorismus-Sammlung Blütenstaub hatte er 1798, erstmals unter dem Pseudonym Novalis, seine existenzielle Grunderfahrung beschrieben: "Wir suchen überall das Unbedingte und finden immer nur Dinge." Der Konflikt zwischen Innenwelt und Außenwelt, zwischen transzendentalem Anspruch und der Schwerkraft der Verhältnisse trieb ihn um.

Aufbruch ins Grenzenlose

Romantik – das sollte zunächst vor allem ein Aufbruch ins Grenzenlose des eigenen Ichs und seiner Imaginationskraft sein: "Wir träumen von Reisen durch das Weltall: ist denn das Weltall nicht in uns? Die Tiefen unsers Geistes kennen wir nicht. Nach Innen geht der geheimnisvolle Weg. In uns oder nirgends ist die Ewigkeit mit ihren Welten, die Vergangenheit und Zukunft." Der Traum erhält eine zentrale Bedeutung. Damit wies der Frühromantiker Novalis der Entdeckung des Unbewussten den Weg.

Das "geheimnißvolle Seyn der Dinge" sollte lyrisch erschlossen werden. Zugleich ging es um das Poetisieren des Lebens, der individuellen Freiheit – und um Grenzüberschreitungen: der Genres, der Kunstgattungen wie auch der Nationalstaaten.

Ein von Grund auf erschütterndes Erlebnis brachte für den 22-Jährigen seine Liebe zu der frühreifen Kindfrau Sophie von Kühn, die seine Gefühle erwiderte, aber mit 15 Jahren starb. Seine von tief empfundener Transzendenzerfahrung beherrschten Gedanken zum Tod der Geliebten, geformt in den Hymnen an die Nacht, bewegen.

"Ich weiß nur, dass der Welt Getümmel / Seitdem mir wie ein Traum verweht. / Und ein unnennbar süßer Himmel / Mir ewig im Gemüte steht." Die schwermütige Trauer um die Verstorbene weist über die Todessehnsucht hinaus in ein intensives metaphysisches Erleben des Unendlichen. Schmerzhaft, neben vielen Anwandlungen des "Nachsterbens", erringt Novalis hier eine poetische Erleuchtung der Nachtseite der Existenz.

Wende der Lebensgestaltung

Die Wende, die der Jurist Hardenberg seiner eigenen Lebensgestaltung gibt, führt ihn mitten in die Empirie der Naturwissenschaften. "Der erste Schritt wird Blick nach Innen, absondernde Beschauung unseres Selbst. Wer hier stehen bleibt, gerät nur halb. Der zweite Schritt muss wirksamer Blick nach Außen, selbsttätige, gehaltvolle Beobachtung der Außenwelt sein."

An der renommierten Bergakademie im sächsischen Freiberg erwarb er sich die gründlichen Kenntnisse in Chemie und Physik, um als sächsischer Salinenassessor auch an der Entdeckung "unterirdischer Brennmittel" mitzuwirken. Er sei "jetzt viel unter der Erde", schreibt er. Hinlänglich bekannt ist, dass Hardenberg als Geologe zur Erforschung der reichen Braunkohlelager Mitteldeutschlands maßgeblich beigetragen hat.

Ausweitung des Erzählens

Eine Rekonvaleszenz sollte auch die umfangreiche Sammlung von Gedanken und Beobachtungen erwirken, die unter dem Arbeitstitel "Allgemeines Brouillon" insgesamt eine "romantische Enzyklopädie" von Entdeckungen in Kunst und Wissenschaft anstrebte.

Alle Energien seiner dichterischen und lebenskundlichen Überzeugungen gingen indes in sein Hauptwerk Heinrich von Ofterdingen ein, das mit seinem Themen- und Motivwechsel die Literatur um eine verfremdende Ausweitung des Erzählens entscheidend bereicherte. Sein zentrales Symbol der blauen Blume wurde zum Bildzeichen der gesamten Epoche, Sinnbild für die erlösende Schönheit der sichtbaren Welt im Einklang mit ihrer religiös universalen Bedeutung.

Der Roman, Ende 1799 begonnen, musste unvollendet bleiben: Die Lungentuberkulose, die bei dem Dichter diagnostiziert wurde, führte am 25. März 1801 zu seinem frühen Tod. Sein "magischer Idealismus" ist sein Vermächtnis: "Zur Welt suchen wir den Entwurf – dieser Entwurf sind wir selbst. Wir werden die Welt verstehn, wenn wir uns selbst verstehn, weil wir und sie integrante Hälften sind." (Oliver vom Hove, ALBUM, 30.4.2022)