Er nimmt ein Burgerbrötchen, belegt es mit zehn Scheiben Käse, wälzt das Ganze in Mehl, Ei und Panier und taucht es abschließend in einen Topf mit heißem Fett. Voilà – fertig ist der frittierte Cheeseburger, den der 22-jährige Schweizer Oluyomi Scherrer für seine Follower auf Tiktok kreiert hat. Über 700.000 Likes bekam das zwölfsekündige Video, und – die stärkere Währung in der Tiktok-Welt– es wurde mehr als 11,9 Millionen Mal angesehen. Zu Ostern servierte Scherrer dann einen Milkshake aus einem geköpften Schokohasen.

Käse, Käse und nochmals Käse.

Bei Katrin Pfeiffer gab es zum Osterfest mit Pfirsichen belegten Spiegeleikuchen. Knapp 121.000 Follower hat ihr Tiktok-Account "kates_style". Kein Vergleich zu den 15,5 Millionen, die Scherrers Kanal "thispronto" abonniert haben, reicht aber, um zu den erfolgreichsten österreichischen Food-Influencern auf Tiktok zu zählen und als Markenbotschafterin für den Kanal der Supermarktkette Hofer zu backen.

Pfeiffer und Scherrer gehören zur stetig wachsenden Anzahl jener, die mit Kochvideos auf Tiktok erfolgreich sind. Zu einer Bewegung, die vor allem in den letzten, von Lockdowns geprägten Jahren an Fahrt aufgenommen hat und von Branchenkennern nur noch als "Foodtok"bezeichnet wird.

Die Trendküche

Lange galt Instagram als Spielwiese für Foodies, heute werden Food-Trends auf Tiktok geboren. Videos mit dem Hashtags TikTokFood und FoodTikTok kommen gemeinsam auf fast 130 Milliarden Aufrufe. Im letzten Jahr stand man mancherorts vor leergekauften Feta-Regalen, weil alle die auf Tiktok viral gegangene Baked-Feta-Pasta kochten. Und Quereinsteiger wie Oluyomi Scherrer und Katrin Pfeiffer werden über Nacht zu gefeierten Kochstars und Gesichtern großer Lebensmittelkonzerne.

"Man braucht nicht unbedingt Spitzenkoch zu sein, eine Ausbildung zu haben oder die besten Rezepte am Start zu haben", sagt Tiktok-Expertin Stefanie Hübel, die als Brand-Partnerships-Managerin bei Tiktok gearbeitet und sich vor kurzem in Wien mit ihrer eigenen Beratungsfirma Viral Social Club selbstständig gemacht hat. "Um auf Tiktok erfolgreich zu sein, reicht es, wenn man kreativ ist." Hübel sieht den Erfolg der Videos als Teil einer sich generell wandelnden Social-Media-Landschaft: weg von privaten, hin zu informativen und inspirierenden Inhalten. Am Beispiel Tiktok zeigt sich dieser Wandel besonders deutlich. Gestartet im Jahr 2016 als Portal für kurze Tanz- und Musikvideos, hat sich das Portal in den letzten Jahren zur "Informationsplattform Nummer eins der Jugendlichen" entwickelt, wie Hübel sagt. Vor allem auf junge Leute zwischen 18 und 30 habe Tiktok einen enormen Einfluss: "Die Musik, die sie hören, die Klamotten, die sie tragen, die Trends, die sie mitmachen. Das kommt alles von Tiktok."

Im Ranking der am häufigsten heruntergeladenen Apps landete Tiktok Anfang dieses Jahres zum wiederholten Male auf Platz eins. Branchenexperten gehen davon aus, dass die App noch dieses Jahr die Marke von 1,5 Milliarden aktiven monatlichen Nutzern knacken wird. Wer die App öffnet, landet automatisch auf der "for you page", die der Algorithmus – basierend auf individuellen Interessen – zusammenstellt. So können auch unbekannte Tiktoker mit wenigen Followern innerhalb kurzer Zeit große Reichweiten erzielen. "Auf Tiktok schauen Sie nicht, wo Ihre Nachbarn letzte Woche im Urlaub waren oder wer gerade geheiratet hat", sagt Hübel. Stattdessen findet man Clips von unbekannten Gleichgesinnten in aller Welt. Wer sich fürs Kochen interessiert, kann Huy?n Phi in der vietnamesischen Provinz zusehen, wie sie gedünsteten Fisch mit Zitronengras macht, oder von der Kolumbianerin Maria Hernandez lernen, wie man Arepas zubereitet.

121.000 FOLLOWER hat Katrin Pfeiffer auf Tiktok. Mittlerweile kocht die Österreicherin dort auch für die Supermarktkette Hofer.

"Ich habe schon als Jugendliche gerne gebacken", sagt Tiktokerin Katrin Pfeiffer, die im normalen Leben als Lehrerin für Ernährung und Haushalt arbeitet. Als der erste Lockdown im März 2020 die Menschen in ihre vier Wände zwang, nahm sie – auf sanftes Drängen einer Freundin – ihr erstes Backvideo für Tiktok auf. Binnen kurzer Zeit hatten mehr als 600.000 Menschen gesehen, wie sie Apfel-Streuselkuchen zubereitete. Pfeiffer, die bis dato wenig Erfahrung mit sozialen Medien hatte – "außer ein paar Freunde auf Facebook" –, fand schnell Gefallen an der App.

Viele erfolgreiche Tiktoker haben ihre Accounts mit Beginn des ersten Lockdowns gestartet. Die Pandemie wurde zum Booster der Plattform. Die Leute hatten Zeit, suchten nach Ablenkung und – verbannt an den eigenen Herd – nach Inspirationen für die heimische Küche. Möglichst schnell sollte es gehen und mit wenigen Zutaten einfach nachzumachen sein. Gerne auch bunt und mit Fun-Faktor. Ein Kontrast zur erdrückenden Weltlage. Plötzlich hypte Dalgona-Coffee, eine südkoreanische Variante von Eiskaffee aus Instantpulver, Milch und Zucker. Es gab Pancake-Cereals – Mini-Müsli-Pfannkuchen – oder wolkiges Cloud-Bread aus Eiweiß, Maisstärke und Zucker. Und natürlich Baked-Feta-Pasta – ein Gericht, das so beliebt wurde, dass Tiktok plant, es in eigenen Restaurants zu verkaufen.

Spiegelei auf iPad

Auch bei Oluyomi Scherrer gingen die Follower-Zahlen mit Beginn der Pandemie nach oben. Sein erstes Kochvideo: ein Spiegelei – serviert und gegessen auf seinem iPad. "Warum machst du das?" "Funktioniert das noch?" Das iPad sorgte für Wiedererkennungswert und Interaktion mit der Community. Also machte er es zu seinem Markenzeichen. Nach dem Spiegelei ging es "krass nach oben".

Im Februar vergangenen Jahres kündigte er seinen Job bei einem Fischverarbeitungsbetrieb. Auch wenn er zu diesem Zeitpunkt schon Geld mit seinen Videos verdiente, "bisschen aufregend" sei der Schritt trotzdem gewesen. Heute zählt er zu den vier erfolgreichsten Tiktokern im deutschsprachigen Raum und lebt von seiner Arbeit als Content-Creator von frittierten Käse-Nutella-Toasts und in Chips paniertem Hühnergeschnetzeltem.

Viele Unternehmen haben das Potenzial erkannt, über Tiktok die jüngere Zielgruppe anzusprechen. Auch in Österreich überlegen immer mehr Marken, wie sie die Plattform nutzen können, sagt Expertin Hübel. Selbst Leute aus der "Boomer-Generation", die auf den ersten Blick oft überfordert von Tiktok seien (zu laut, zu stressig), hätten gemerkt, dass dort "Content mit Hand und Fuß kreiert" werde. "Als Unternehmen muss ich Tiktok nicht gut finden, aber ich sollte es verstehen."

Katrin Pfeiffer arbeitet seit August 2020 mit der Supermarktkette Hofer zusammen: Manche Ideen kommen von ihr, manches bäckt sie auf Wunsch des Unternehmens. Auch Oluyomi Scherrer verdient sein Geld durch Kooperationen. Manchmal werde er auch dafür bezahlt, spezielle Lieder in seine Videos einzubinden. Wie viel er damit verdient, will er nicht verraten. "Als Content-Creator kann man auf jeden Fall gut davon leben."

60-Sekunden-Rezepte

Was man als Zuschauer meist nicht sieht: Wie viel Arbeit hinter den kurzen Videos steckt. Drei bis vier Stunden, schätzt Pfeiffer, braucht sie für ein 30- bis 60-sekündiges Video: Aufnahme, Schnitt, Musik, Voice-over, Schrift und Text. Dazu die Kommunikation mit Kooperationspartnern. Scherrer beschäftigt mittlerweile eine Agentur, die sich um Anfragen und Gehaltsverhandlungen kümmert. Der 20-jährige Amerikaner Eitan Bernath, der vor drei Jahren seine Karriere auf Tiktok begann, wurde von William Morris Endeavor unter Vertrag genommen, einer der größten Künstleragenturen der Welt. Er kocht in der TV-Show von Drew Barrymore und bringt im Mai sein erstes Kochbuch heraus: Eitan Eats the World, eine Sammlung seiner Tiktok-Rezepte.

Warum funktioniert das Thema Kochen auf Tiktok so gut? "Tiktok genießt die volle Aufmerksamkeit," sagt Expertin Hübel. Vor allem als "Sound-on-Plattform": "Der Ton geht an, sobald ich die App öffne." Und, auch das hört man immer wieder: Tiktok ist authentischer als die gefilterte Instagram-Welt. Vor der Videokamera fällt es schwerer, sich zu verstellen. Viele filmen sich in ihren Küchen, man sieht Menschen, die mit vollem Mund sprechen und beherzt in fettige Sandwiches beißen.

Ein weiteres Erfolgsgeheimnis: Kaum ein Clip dauert länger als 60 Sekunden. 2018 machte Eitan Bernath auf Youtube Penne alla Vodka. Fast acht Minuten dauert das Video. Im November 2021 kochte er dasselbe Gesicht auf Tiktok in 60 Sekunden. Statt mehrerer Pfannen benutzt er nur noch einen Topf.

KUNTERBUNTE 60 SEKUNDEN Länger sollten Tiktok-Clips nicht sein, für die Rezepte von Eitan Berrath oder Oluyomi Scherrer gilt: je übertriebener, desto erfolgreicher.

Tiktok passt in unsere Gesellschaft, in der die Aufmerksamkeitsspanne immer kürzer wird, in der Zeit knapp ist und Rezepte mit dem Zusatz "One Pot" oder "Fünf Zutaten" boomen. Kochen, das wird hier suggeriert, geht schnell, es ist einfach und es macht Spaß. Die in Miami lebende Tiktokerin Valentina Mussi alias "sweetportfolio" verkündet: "Bei Tiktok-Rezepten geht es rein um den Spaß." In ihrem "inoffiziellen Kochbuch zu Tiktok" gibt sie Tipps für Neulinge: Wähle Gerichte, "die ästhetischen Gesichtspunkten gerecht werden". Denn: "Wer kümmert sich schon um Kalorien?" Dementsprechend umfasst ihr Kochbuch farbenfrohe Kalorienbomben wie Whipped Strawberry Milk aus Erdbeerpulver oder knallrote Mozzarella-Sticks aus der Heißluftfritteuse.

Eitan Bernath kochte sich von Tiktok in TV-Shows.

Sicher gebe es auf Tiktok auch viele Rezepte, die man sich einfach nur anschaue, sagt Pfeiffer. "Sachen mit unendlich viel Schoko oder riesige Eisbecher, die man kaum essen kann." Ihr erfolgreichstes Rezept war ein Becherkuchen: einfach nachzumachen und natürlich mit Schoko. Extrem wichtig sei auch die Interaktion mit der Community – Aufrufe wie "Markiere jemanden, der dir diesen Kuchen backen soll!" oder, wie im Falle von Scherrer, "Sag mir, was ich als Nächstes frittieren soll?". Seinen Signature-Move, den beherzten Biss ins Endprodukt, behielt er selbst dann bei, als ein Nutzer ihn bat, ein Stück Butter zu frittieren. Sehr viele schauten sich seine käse- und frittierlastigen Videos wohl nur aus Spaß an. "Wenn ich einen Cheeseburger mit zehnmal extra Käse frittiere, kochen das wahrscheinlich nicht viele nach. Wenn ich aber einen Milkshake mache, sicher schon."

Absurd und gleichzeitig auch faszinierend: weil maßlos, unvernünftig – und eine Abwechslung in unserer an Ernährungsgeboten und -verboten reichen Gesellschaft.

Anders als die meisten Food-Stars auf Tiktok hat der 22-Jährige eine Kochausbildung absolviert. "Ich könnte schwierigere Sachen kochen, aber ich mache das, was ich selbst gern mag und was gut ankommt." Eines seiner erfolgreichsten Videos zeigt, wie er einen Haufen Tortilla-Chips mit Käse übergießt. (Verena Carola Mayer, 30.4.2022)