"Die russische Gazprom hat den Gashahn zugedreht. Derzeit wird kein russisches Erdgas mehr nach Europa geliefert. Die OMV erklärt, das Unternehmen werde alles zu tun, damit die heimischen Gaskunden versorgt werden."

Diese Meldung ist kein sensationslüsterner Alarmismus. Sie stammt aus dem Archiv der Austria Presseagentur und trägt das Datum 6. Jänner 2009.

Am Dreikönigstag vor 13 Jahren wurde erstmals Wirklichkeit, wovor sich – nach dem Stopp der Gaslieferungen für Polen und Bulgarien – nun ganz Europa fürchtet.

Auslöser des ersten dramatischen Gaslieferstopps aus Russland war ein Konflikt zwischen Russland und der Ukraine. Kein heißer Krieg wie heute, sondern verbale Scharmützel um Gasrechnungen, die Russland mit der Generalprobe für einen Wirtschaftskrieg eskalierte.

Die wichtigste Gasleitung nach Österreich führte schon damals durch die Ukraine. Moskau hatte Kiew immer wieder vorgeworfen, seine Gasrechnungen nicht oder verspätet zu bezahlen. Diesmal erhob Gazprom einen viel schwerwiegenderen Vorwurf: "Die Ukraine stiehlt Gas, das für den Weitertransport nach Europa bestimmt ist." Sprich: Das Nachbarland zweige von Europa bestelltes Gas für sich ab.

Schritt 1:
Die Generalprobe für den Wirtschaftskrieg

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Fotos: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; BMWFJ/Ernst Kainerstorfer

2009 war ein harter Winter. Die Gasleitungen drohten bei längerer Nichtbenutzung einzufrieren. Der erste Gaswirtschaftskrieg war so binnen 14 Tagen beigelegt.

"Wir hatten damals Glück im Unglück", erinnert sich Reinhold Mitterlehner, damals Energie- und Wirtschaftsminister: "Wegen der Folgen der Finanzkrise sind die Hochöfen der Voest stillgestanden. Wären sie gelaufen, hätten wir bald ein großes Problem gehabt."

2009 herrschten in Österreich, was die Abhängigkeit von russischem Gas betraf, freilich noch weitaus komfortablere Zustände. Der Erdgasverbrauch lag wie heute bei rund acht Milliarden Kubikmetern pro Jahr. Die Hälfte davon stammte aus Russland, ein Drittel aus Norwegen und anderen Staaten, rund ein Fünftel noch aus heimischer Förderung.

Der vierzehntägige Ausfall von russischem Gas konnte zur Gänze über die Speicher kompensiert werden.

Österreich kam noch einmal mit dem bloßen Schrecken davon.

Schritt 2:
Wachsendes Misstrauen gegen die Ukraine

Reinhold Mitterlehner beging 2009 gerade das zweite Jahr seiner zehnjährigen Amtszeit als Energie- und Wirtschaftsminister. Wer, wenn nicht er, wäre besser berufen zu sagen, was Österreich aus dem ersten Russengas-Schock gelernt hat. "Die Ukraine wurde lange als größerer Risikofaktor gesehen, auch wegen der Qualität der alten Pipeline", resümiert der langjährige Energieminister.

Dazu kam wohl auch ein gerüttelt Maß an Misstrauen gegenüber der Maidan-Bewegung, die der Ukraine Unabhängigkeit von Russland bringen sollte. Revolution bedeutet immer auch Chaos – das Gegenteil dessen, was österreichische Energiepolitiker brauchen, wenn sie Gaslieferungen sichern müssen.

Für Mitterlehner lautete die Doktrin: "Im Sinne des EU-Gründungsgedankens, der Vergemeinschaftung von Kohle und Stahl zur Verhinderung von Krieg, haben wir auch die Energiepolitik gesehen: Wenn Russland abhängig ist von Gaszahlungen und wir von Lieferungen, dann wird man beidseitig Rücksicht aufeinander nehmen."

Die Gefahr eines Angriffskriegs in Europa galt seit 1989 als quasi undenkbar, nicht nur für Österreich als neutralen Staat, sondern auch für die gesamte europäische Sicherheitspolitik.

Schritt 3:
Placebo-Sanktionen nach der Krim-Invasion

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Foto: Fotos: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; STANDARD/Cremer

Auch die Annexion der Krim durch Putin 2014 ließ im österreichischen Regierungsviertel nicht die Alarmglocken klingeln.

Christian Kern war damals noch ÖBB-Chef, hatte aber als ehemaliges Vorstandsmitglied beim Verbund und künftiger Kanzler nicht nur die Energiepolitik scharf im Blick. "Die harmlosen Sanktionen für die Krim waren reine Placebos. Niemand hatte ernstes Interesse, hier ein spürbares Zeichen zu setzen", sagt er heute.

Zu Sorgen wegen Lieferengpässen oder gar eines Lieferstopps habe es damals keinerlei Anlass gegeben: "Am Tag der Invasion haben die Russen die Lieferung um 70 Prozent erhöht. Russland war bisher ein verlässlicher und stabiler Handelspartner."

Der ehemalige SPÖ-Kanzler formuliert die bis vor kurzem im Regierungsviertel vorherrschende Sichtweise schärfer als sein Ex-ÖVP-Regierungspartner Reinhold Mitterlehner.

Keine Atomkraftwerke, keine Kohlekraftwerke

Kern: "Ich empfinde die ganze Diskussion als äußerst geschichtsvergessen. Es gab und gibt einen Konsens: keine Atomkraftwerke, keine Kohlekraftwerke. Bei Photovoltaik wurde aus Landschaftsschutzgründen gebremst, Stromleitungen wurden verzögert."

Kern bürstet die seit Kriegsausbruch heftig geführte Debatte über die vermeintlich fahrlässig ignorierte Energie-Abhängigkeit von Russland radikal gegen den Strich: "Jeder, der glaubt, das ist der ehemalige deutsche Kanzler Gerhard Schröder gewesen oder Christoph Leitl (langjähriger Wirtschaftskammerpräsident, Anm.), die hier eigenmächtig agiert haben, unterliegt einem Trugschluss. Die Energieversorgung wurde Mitte der 1990er-Jahre liberalisiert. Wir haben privatwirtschaftliche Unternehmen, die nach Profit streben. Die suchen das billigste Gas. Das ist das Marktgeschehen."

Wer hier einem radikalen Kurswechsel das Wort rede, proklamiert der Sozialdemokrat, stelle das österreichische und europäische Wohlstandsmodell infrage: "Dieses beruht auf Produktion und Export. Wir haben versucht, das hohe Lohnniveau und die Wettbewerbsfähigkeit mit günstiger Energie zu sichern."

Kern verweist darauf, dass das "jetzt vielgepriesene Flüssiggas" (LNG) schon bisher doppelt bis dreifach so teuer gewesen sei wie Erdgas aus Russland. Durch die jetzt explodierende Nachfrage gehen die LNG-Preise "noch mal durch die Decke", argumentiert Kern. Und: "Wer mit dem moralischen Kompass Energie kaufen will, kommt nicht weit. Mit wem macht man dann Geschäfte? Mit Katar, mit Libyen?"

Schritt 4:
Der Aufmarsch der Lobbys

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Foto: Fotos: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; APA/Neubauer

Allerdings steht der Sozialdemokrat seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im Februar wegen seines Aufsichtsratsmandats in der russischen Staatsbahn bei einigen unter Russophilie-Verdacht – obwohl er dieses Mandat umgehend niederlegte. Seine spitze Analyse der Ereignisse in den Nullerjahren lässt sich aber auch so lesen: Im Spannungsfeld von Regierung, OMV und der Verstaatlichten-Holding Öbag werden gerade die Karten in einem brandgefährlichen Schwarzer-Peter-Spiel verteilt.

Wer trägt maßgeblich Schuld an Österreichs überdurchschnittlich hoher Abhängigkeit von russischem Gas? Wer wird am Ende verantwortlich sein, wenn bei einem Versiegen des russischen Gasstroms Österreich tatsächlich die größte Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg droht?

Die Positionen dafür werden seit Wochen vor und hinter den Kulissen bezogen.

Bereits kurz nach Beginn des Ukraine-Krieges ist der langjährige OMV-Manager Gerhard Roiss in die Offensive gegangen. Er war zwischen 2011 und 2015 auch Vorstandschef des Unternehmens. Roiss präsentierte sich in einem aufsehenerregenden Profil-Interview als Opfer einer österreichischen Russland-Lobby und sieht darin auch den Grund für seine vorzeitige Ablöse als OMV-Chef: "Ich stand offensichtlich einigen Leuten im Weg. Ich war nicht bereit gewesen, gewisse Wünsche zu erfüllen, die von bestimmten Aktionärsvertretern und Lobbyisten an mich herangetragen worden waren."

Konkreter will der OMV-Chef "vielleicht zu einem späteren Zeitpunkt" werden. Aber, so sagte Roiss in dem Gespräch: "Auf Ebene der Eigentümervertreter (...) gab es eine große Fraktion von Russland- und Putin-Verstehern, die darauf drängte, dass sich die OMV stärker in Russland engagiert. Ich wollte keinen Cent mehr in Russland investieren. Investments in Russland mögen ihren Reiz gehabt haben, aber ich wusste schon damals: Irgendwann kommen die Probleme. Wegen der Steuern, der Umwelt, der politischen Willkür des Kreml. Nach meinem Abgang 2015 war der Weg dorthin dann endlich frei."

Roiss’ Sichtweise wird von Reinhold Mitterlehner grosso modo bestätigt. Mitterlehner: "Gerhard Roiss wollte die Abhängigkeit von Russland ändern, durch Projekte in Rumänien und Norwegen. Das wäre mittelfristig eine echte Alternative zu Russland gewesen."

Roiss’ Plan war, mittelfristig je ein Drittel des Gasbedarfs aus Norwegen, Rumänien und Russland zu beziehen.

Der ehemalige Energieminister und spätere Vizekanzler Mitterlehner erinnert sich: "Sigi Wolf, damals Aufsichtsratschef der ÖIAG, und Rainer Seele, der neue OMV-Chef, waren bekanntermaßen sehr ,Russland-minded‘. Die OMV hat ihre Strategie statt in Richtung mehr Diversifikation noch mehr in Richtung Abhängigkeit von Russland gedreht, etwa mit der Beteiligung an Nord Stream 2." Das in der Ära Roiss von der OMV erworbene Gasfeld in Norwegen wollte sein Nachfolger Rainer Seele gar an die Gazprom verkaufen. Der Russland-Deal scheiterte allerdings am Widerstand der norwegischen Regierung.

Der österreichische Staat ist an der OMV nach wie vor mit 31,5 Prozent beteiligt. Gemeinsam mit Abu Dhabi stellt die Republik die Mehrheit der Aktionäre. Die Ausübung beider Eigentümerrechte ist syndiziert. Warum also haben Mitterlehner und all jene, die skeptisch gegenüber Russland waren, angesichts der zunehmenden russischen Schieflage des heimischen Mineralölkonzerns nicht die Notbremse gezogen?

Mitterlehners Erklärung ist eine marktwirtschaftliche: "Die OMV ist ein börsennotiertes Unternehmen, an dem der Staat zwar zu einem Drittel beteiligt, aber allen seinen Aktionären verpflichtet ist", sagt der schwarze Ex-Energieminister: "Die Politik konnte und kann nur die Rahmenbedingungen vorgeben, etwa in der Frage, ob und wie viel an Gasvorräten anzulegen ist. Alles andere ist Sache der OMV."

Schritt 5:
Die OMV als "Schneepflug" für andere Geschäfte

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Foto: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; Illu: DER STANDARD / Armin Karner

Nicht nur dort hatten zunehmend allein die Freunde Russlands das Sagen. In kleinen vertraulichen Runden formuliert Ex-OMV-Chef Gerhard Roiss das dieser Tage noch schärfer: "Die OMV wurde von maßgeblichen Teilen der Wirtschaft als Schneepflug benutzt, um selbst Geschäfte mit Russland zu machen. Den Politikern wiederum ging es mehr ums Foto mit Putin, um so von der Aura der Macht zu profitieren."

Symbolisch für diese Phase der österreichische-russischen Freundschaftsvertiefung steht der schulterklopfend herzliche Empfang, der Wladimir Putin wenige Wochen nach der Krim-Annexion im Frühjahr 2014 durch Bundespräsident Heinz Fischer und Wirtschaftskammerchef Christoph Leitl im Festsaal der Wiener Wirtschaftskammer bereitet wurde.

Damals neckte Putin den Langzeit-Wirtschaftskammerboss Leitl mit dem heftig beklatschten Ausspruch "gute Diktatur!", Leitl revanchierte sich mit der Bemerkung, die Ukraine habe ja auch mal zu Österreich gehört.

Den peinlichen Höhepunkt markiert der Kniefall von FPÖ-Außenministerin Karin Kneissl vor ihrem Hochzeitsgast Putin beim Tänzchen in der Südsteiermark – die Bilder gingen damals um die Welt.

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Foto: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; Illu: DER STANDARD / Armin Karner

Weitgehend in Vergessenheit geraten ist dagegen, wie der russische Präsident 2010 den damaligen Kanzler Werner Faymann (SPÖ) bei einem Wien-Besuch öffentlich wie einen Schulbuben abkanzelte, der gerade beim Schulschwänzen ertappt wurde. Österreich hatte sich am europäischen Pipeline-Projekt Nabucco beteiligt, das durch Erdgaslieferungen aus Aserbaidschan die Abhängigkeit von Russland eindämmen sollte. "Nabucco ist sinnlos und gefährlich", polterte Putin öffentlich und warb offensiv für das russische Alternativprojekt South Stream. Österreich beteiligte sich sicherheitshalber nach Nabucco auch an South Stream.

Beide Pipeline-Projekte scheiterten, gebaut wurde schlussendlich nur Nord Stream 2: ein Gazprom-Projekt, das unter Umgehung der Ukraine russisches Gas nach Europa liefern sollte, derzeit politisch aber auf Eis liegt.

Schritt 6:
Old-Boys-Netzwerke und Österreichs "Gazprom West"

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Foto: Fotos: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; Reuters

Schlüsselfiguren in der permanenten Suche nach günstiger Energie, wie der Ex-OMV-Chef Rainer Seele und Sigi Wolf, ehemals Aufsichtsratschef der Verstaatlichten-Holding ÖIAG, hätten in Sachen Mitverantwortung an der österreichischen Russengas-Falle jedenfalls höchsten Erklärungsbedarf. Sie entziehen sich bislang aber jeder öffentlichen Debatte.

Wolfs berufliche Verflechtungen mit Russland sind evident. So war er ehemals Manager im Firmenreich des Oligarchen Oleg Deripaska. Seele war vor seinem Wechsel an die OMV-Spitze CEO der deutschen BASF-Tochter Wintershall, einer Partnerfirma der Gazprom, und zudem Präsident der Deutsch-Russischen Auslandshandelskammer.

Als OMV-Chef proklamierte er: "In meiner 20-jährigen Russland-Erfahrung habe ich eines gelernt: Man soll nur auf einer Hochzeit tanzen. Daher sind wir Gazprom und unserer Zusammenarbeit verpflichtet und schauen nicht zur Seite."

Der ursprünglich nur bis 2032 laufende Liefervertrag mit der Gazprom wurde nach diesem Motto unter Seele bis 2040 verlängert. Der OMV bescherte das in Wirtschaftskreisen den heute alles andere als schmeichelhaften Beinamen "Gazprom West". Auch in der neuen österreichischen Verstaatlichten-Holding Öbag und in der OMV selbst machen die Akteure des vergangenen Jahrzehnts dicht, wenn sie nach ihrer Verantwortung gefragt werden.

Nur der ehemalige OMV-Aufsichtsratschef Wolfgang C. Berndt geht aus der Deckung. Der 80-jährige Ex-Spitzenmanager beim Konsumgüter-Multi Procter & Gamble ist mit dem Old-Boys-Netzwerk rund um den Papierindustriellen Alfred Heinzel und Ex-Stronach-Manager Sigi Wolf bestens vernetzt. Das Trio hatte in der Staatsholding ab 2004 ein Jahrzehnt lang beinahe uneingeschränkt das Sagen. Dank des von Wolfgang Schüssel kreierten Prinzips der Selbsterneuerung wurden frei werdende Kontrollmandate allein nach Gutdünken der verbleibenden Aufsichtsräte neu besetzt.

Diskretes Köpferollen

Wolfgang Berndt gehörte dem Aufsichtsrat der OMV zehn Jahre lang an und stellte für die vorzeitige Ablöse von Roiss entscheidend mit die Weichen. Köpferollen auf dieser Managementebene wird in der Regel höchst diskret über die Bühne gebracht.

Mit Gerhard Roiss geht Wolfgang Berndt aber ungewöhnlich scharf ins Gericht. "Wenn Herr Roiss behauptet, er sei ausgeschieden, weil er beim Russland-Geschäft der OMV gegensteuern wollte, dann ist das die Unwahrheit. Es ist ein Skandal, was sich Herr Roiss hier leistet und Märchen erzählt. Der Grund seiner Verabschiedung war, dass der Marktwert der OMV auf die Hälfte des Werts der Investitionen der letzten fünf Jahre geschrumpft ist." Auch Roiss’ zentraler Vorwurf der hemmungslosen Russophilie an der Konzernspitze geht aus Berndts Sicht ins Leere: "Einem privaten Unternehmen wie der OMV ist das nicht vorzuwerfen. Es versucht Geschäfte zu machen. Die Preise der Russen waren die besten, und sie haben uns immer gut behandelt."

Endet damit die Spurensuche nach einsichtigen Verantwortlichen dafür, dass Österreich 2022 in der russischen Gas-Falle steckt, endgültig in einem Kreisverkehr? Die Politik sagt, mit der Liberalisierung des Energiemarkts als Folge des EU-Beitritts sei das Gasgeschäft eines wie viele andere. Das Aktienrecht verbietet eine Einmischung der Politik. Die OMV und ihre Aufsichtsorgane sagen, Energiepolitik im Sinne einer gesamtstaatlichen Verantwortlichkeit sei nicht ihre Sache, die Sicherung des Versorgungsauftrags liege in der Verantwortung der Politik.

Schritt 7:
Die OMV macht Business und Politik

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Foto: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; OMV

Walter Boltz war in den Nullerjahren Chef der E-Control. Er hat das Zusammenspiel von Politik und OMV mehr als ein Jahrzehnt lang aus nächster Nähe miterlebt. Die E-Control hat im Auftrag der Republik für die Einhaltung der Spielregeln auf dem Energiemarkt zu sorgen und Notfallpläne für Krisen wie jetzt zu erarbeiten.

Boltz erinnert sich: "Als ich 2001 anfing, gab es im Wirtschaftsministerium eine einzige Beamtin, die für das Thema Gas zuständig war. Wenn es ein Problem oder Wünsche aus dem Ministerbüro gab, hat sie bei der OMV angerufen und gesagt: ,Bitte schreibt mir dazu ein Papierl für den Minister.‘" Die energiepolitische Expertise hatte die OMV – nicht das Ministerium.

An dieser mitunter toxischen Beziehung zwischen Wirtschaft und Politik hat sich nichts geändert. Nach Ausbruch des Krieges herrschte im Klimaministerium wochenlang Funkstille – mangels ausreichender Expertise.

Boltz’ Befund deckt sich mit dem Lauf der Ereignisse: Geschäft und Energiepolitik werden bis heute unter einem in der Vorstandsetage der OMV gemacht. "Erst hat sich die OMV in ihren Bezugsquellen immer mehr diversifiziert. Dann kam Rainer Seele, der hat zu 100 Prozent auf die Russland-Karte gesetzt. Mit der Verlängerung des Gazprom-Vertrags bis 2040 hat die OMV zudem signalisiert, dass sie nicht an die Energiewende glaubt", resümiert Energieexperte Boltz: "Die Regierung hat sich erst gar nicht mit Energiepolitik beschäftigt und unter Kurz noch stärker auf die Russen geworfen."

Einem primär privatwirtschaftlicher Logik verpflichteten Unternehmen wie der OMV könne und wolle er keinen Vorwurf machen, sagt auch Boltz: "Wäre die Politik weiter für Diversifizierung eingetreten, hätte sie auf einen anderen Vorstand setzen müssen. Der Großteil der Verantwortung für die Lage, in der wir jetzt sind, liegt bei den Regierungen der vergangenen zehn Jahre."

Schritt 8:
Rare Selbstzweifel in der Regierung Kurz

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Foto: Getty Images / © Weeping Willow Photography 2009; Illu: DER STANDARD / Armin Karner

Angesichts der staatstragenden Rolle des OMV-Managements kamen mitunter selbst ansonsten von Allmachtsfantasien geplagten Kurz-Jüngern Selbstzweifel. Als der neue Kanzler Sebastian Kurz im Frühjahr 2018 dem OMV-Miteigentümer Abu Dhabi seine Aufwartung machte, hatte er unter anderen auch OMV-Boss Rainer Seele und Thomas Schmid, damals Generalsekretär im Finanzministerium, im Schlepptau. In der mitreisenden Delegation war es ein Jahr vor dessen offizieller Bestellung ein offenes Geheimnis, dass Schmid bei dieser Reise als künftiger Öbag-Chef mitfuhr.

Thomas Schmid sinnierte in trauter Runde bereits darüber, dass er in seiner neuen Rolle auch den Vorsitz im OMV-Aufsichtsrat zu übernehmen gedenke. Letztlich entschied er sich aber, sich zunächst mit dem Posten des Vizechefs zu begnügen.

Denn selbst den skrupellosesten türkisen Strippenzieher plagten bis zuletzt große Zweifel, ob und wie es ihm gelingen könne, die OMV, einen derart machtbewussten Player in Wirtschaft und Politik, erfolgreich in den Griff zu bekommen. (Josef Votzi, 30.4.2022)