Bundeskanzler Karl Nehammer und Vizekanzler Werner Kogler haben beide großangelegte Reden vor sich – und auch sonst einiges zu tun.

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Kanzler und Vizekanzler vereint eine Eigenschaft, die ihren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern das Leben nicht unbedingt leichter macht: Bekommen Karl Nehammer und Werner Kogler für sie verfasste Reden vorgelegt, nehmen sie diese dankend entgegen, sagen coram publico dann aber zumeist etwas völlig anderes.

Werner Kogler wird am Samstag beim grünen Bundeskongress eine öffentliche Ansprache halten, Karl Nehammer will exakt zwei Wochen später auf dem ÖVP-Parteitag eine Grundsatzrede halten. Es sind nicht unbedeutende Tage für ÖVP, Grüne und die Regierung: Es wird auch darum gehen, wofür die neu zusammengesetzte Koalition abseits der Krisen nun eigentlich steht.

Ein Regierungsmitarbeiter formuliert es so: "Wir sind grundverschiedene Parteien, aber haben ein entspannt professionelles Verhältnis. In den nächsten Wochen werden wir einen stärkeren Fokus auf Themen abseits von Corona und Krieg legen." Aber was heißt das?

Kurz-Interview auf Bühne

Karl Nehammer wird am 14. Mai jedenfalls hochoffiziell zum ÖVP-Chef gekürt. Auf dem Parteitag soll auch Sebastian Kurz noch einmal auf die Bühne geholt werden. Der Ex-Kanzler werde keine klassische Rede halten, aber vom Moderator der Veranstaltung zwei bis drei Fragen gestellt bekommen, zu denen er dann etwas sagt. In der ÖVP sind fast alle überzeugt, dass das eine gute Idee sei; dass sich das schlichtweg gehöre. Die Initiative für den Kurz-Auftritt sei von Nehammer selbst ausgegangen. Kurz habe – trotz allem – viel für die Partei geleistet. Das müsse honoriert werden.

Ein Comeback, wie im Boulevard spekuliert wurde, hat Kurz inzwischen selbst "zu hundert Prozent" ausgeschlossen. Aus seinem Umfeld hört man: Der Auftritt sei sogar das Gegenteil einer Rückkehr. Kurz wolle sich bedanken, Nehammer seine Unterstützung versichern – und sich verabschieden.

Der ÖVP hat Kurz erst zu hohen Wahlerfolgen verholfen und sie dann in eine tiefe Krise gestürzt. Die Ermittlungen gegen ihn und sein Umfeld in der sogenannten Inseratenaffäre laufen weiterhin. Zur Abgrenzung und dezenten "Modernisierung", wie es heißt, wurde nun das Logo der Partei überarbeitet. Die von Kurz ins Leben gerufene "Neue Volkspartei" ist Geschichte.

Die ÖVP wird nur noch "Die Volkspartei" heißen. Der Farbton Pantone 7709, das Kurz-Türkis, bleibt erhalten, findet sich auf dem Partei-Emblem jedoch nur noch als dünner Strich. Die ÖVP sei nun sowohl türkis als auch schwarz, wie einst, heißt es. Nehammer soll beide Welten – die alte ÖVP und die neue Volkspartei – vereinen, so lautet zumindest der Plan seiner Strateginnen und Strategen.

Rede mit "Ansagen"

Doch was bedeutet das konkret? Inhaltlich hat sich Nehammer als Kanzler bisher kaum positioniert, das weiß man selbst in seinem Umfeld. Darüber hinaus sind inzwischen zahlreiche ÖVP-Politiker in diverse Korruptionsaffären verstrickt, was auch Nehammer zunehmend unter Druck bringt. Hinzu kommt die Causa Cobra rund um einen Parkschaden, den Personenschützer seiner Ehefrau betrunken im Dienst verursacht haben. In der ÖVP wird gejammert: Es gelinge derzeit kaum bis gar nicht, eigene Themen zu setzen, mit denen man punkten könne.

Auf dem Parteitag soll Nehammer deshalb nun "mehrere inhaltliche Ansagen" machen, die allerdings noch nicht näher konkretisiert werden. Außerdem wolle er seinen Funktionärinnen und Funktionären eine "Mut-Injektion" verpassen, wie es in ÖVP-Kreisen formuliert wird. Die Volkspartei ist zuletzt in den Umfragen abgestürzt und liegt hinter der SPÖ. Selbst von Wohlgesinnten wird die Stimmung in der Partei als "nüchtern" beschrieben.

Grüne "Transformation"

Und bei den Grünen? Vizekanzler und Parteichef Kogler soll in seiner Rede am Samstag den Schwerpunkt – wenig überraschend – auf die Energiewende legen. Darüber hinaus werde es um die Transformation der Wirtschaft, die "soziale Tragfähigkeit" und Transparenz gehen. Kogler wird auch als Parteichef wiedergewählt werden – beim vergangenen Parteitag 2018 bekam er über 99 Prozent der Stimmen. Mit einem so hohen Ergebnis rechnet er diesmal nicht einmal selbst.

Wohl noch vor dem Sommer soll dann Umweltministerin Leonore Gewessler zur Vizeparteichefin aufsteigen. Sie wurde zuletzt immer wieder als Koglers potenzielle Nachfolgerin gehandelt. Wer Spitzenkandidat oder eben Spitzenkandidatin bei der kommenden Wahl wird, steht noch nicht fest. Theoretisch wird Kogler für drei Jahre – bis Mai 2025 – als Bundessprecher fixiert.

In der Koalition soll nun also die Phase beginnen, in der neue politische Projekte angegangen werden. Im Regierungsprogramm sind noch einige Punkte offen. Aber die Welt habe sich, seit es geschrieben wurde, auch stark verändert, heißt es in Regierungskreisen. Eine Reform der Rot-Weiß-Rot-Card mit Erleichterungen für ausländische Fachkräfte wurde eben präsentiert, die Pflegereform steht seit langem aus. "Karl Nehammer muss jetzt eine neue Vision vorgeben", erwartet sich ein Türkiser. "Wenn wir jeden Tag nur mit Katastrophen in der Zeitung stehen, können wir bald zusperren." (Katharina Mittelstaedt, 30.4.2022)