Die Inflation liegt in Österreich bei 7,2 Prozent und sorgt für wachsende Unruhe. Die Regierung steht unter Druck zu entlasten. Bei Lohnverhandlungen, aktuell in der Elektronikindustrie, liegen die Vorstellungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern noch weit auseinander.

STANDARD: Tut die Regierung genug gegen die Teuerung?

Katzian: Das, was bisher vorgelegt wurde, hat den Nachteil, dass es bei den Menschen nicht angekommen ist oder viel zu wenig war. Die Inflation steigt ja weiter. Der Warenkorb, der den täglichen Bedarf an Gütern und Dienstleistungen der Menschen abdeckt, hat sich binnen eines Jahres um 14 Prozent verteuert. Wir haben als Sozialpartner mit der Industriellenvereinigung ein Neun-Punkte-Programm ausgearbeitet, das im Kampf gegen die Teuerung umgesetzt werden sollte. Die Antwort der Regierung darauf blieb vage und zieht sich zeitlich hin wie ein Strudelteig. Das Einzige, was fix zugesagt wurde, ist, eine Expertinnengruppe einzurichten, die Reformen im Steuerrecht evaluieren soll.

STANDARD Ist Zuwarten nicht verständlich? Die Unsicherheit ist groß, Russland könnte den Gashahn zudrehen, die Inflation würde explodieren. Sie könnte aber auch nachlassen.

Katzian: Das stimmt. In der aktuellen Kriegssituation gibt es extreme Unsicherheiten. Aber diese existieren ja auch bei den normalen Leuten. Die fragen sich, was geschieht, wenn kein Gas mehr aus Russland kommt: Steht dann mein Betrieb still? Gibt es noch eine Kurzarbeitsregelung für mich? Dass nicht mehr getan wird, sehe ich nicht ein, weil die Regierung ja durch gestiegene Preise laufend mehr Geld einnimmt. Die Agenda Austria, bekanntlich kein Hort der Gewerkschaftskommissare, hat ausgerechnet, dass der Staat wegen der hohen Inflation mit sieben bis elf Milliarden Euro an Zusatzeinnahmen rechnen kann. Da könnte man so ein Paket, wie wir es vorschlagen, das etwa 2,5 Milliarden kosten würde, schon machen.

Die stark steigende Teuerung ist auch in den Supermärkten immer mehr spürbar.
Foto: APA/Barbara Gindl

STANDARD: Ein Vorschlag ist, die Umsatzsteuer auf Lebensmittel zu senken. Sie sind dafür. Viele Ökonomen sehen das skeptisch. Unklar ist, ob der Handel den Rabatt weitergibt.

Katzian: Ich habe selbst den Vorschlag gemacht, die Mehrwertsteuer auf Güter des täglichen Bedarfs herabzusetzen oder für bestimmte Zeit auszusetzen. Das soll jetzt kommen und nicht am Sankt-Nimmerleinstag, weil das eine schnelle Entlastung bringen würde. Dazu braucht es einen Deal: Die Bundesregierung muss sich mit dem Handel zusammensetzen, mit den großen Playern, und vereinbaren, dass es dort eine Verpflichtung zur Weitergabe der Steuersenkung gibt. Das bedarf natürlich auch strenger Kontrollen.

STANDARD: Ein Einwand ist auch, dass Gutverdiener stärker profitieren würden, weil sie mehr konsumieren.

Katzian: Es bräuchte eine Liste der Produkte, die Menschen jede Woche einkaufen. Und ja, da wird es Unschärfen geben. Vielleicht ist da ein Beinschinken dabei, den sich einer, der ganz wenig verdient wird, nicht so oft kaufen kann. Wer schnell helfen will, muss auch einen gewissen Mut zur Lücke haben. Ich hätte ihn.

STANDARD: Die Sozialpartner haben auch eine 500-Euro-Einmalzahlung vom Staat gefordert. Nun scheint die Gewerkschaft zu bremsen, weil Sie befürchten, Unternehmer könnten sagen: Okay, wegen der Zahlung müssen wir die Löhne nicht so stark erhöhen.

Katzian: Die 500 Euro verlangen wir als Hilfe für die Ärmsten der Armen, für Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Studierende. Eine andere Forderung, das gehört auseinandergehalten, ist, dass wir wollen, dass Einmalzahlungen von Unternehmen an ihre Arbeitnehmer steuerfrei sein können. Da gibt es noch keine Zusage, aber freundliche Nasenlöcher, dass das bald kommt. Solche Einmalzahlungen gibt es bei Lohnverhandlungen immer wieder, sie sind oft ein Ausweg, wenn es bei Verhandlungen Spitz auf Knopf steht. Aber was es sicher nicht geben wird, ist, dass wir als Gewerkschaft unter der Inflationsrate abschließen, weil es die Einmalzahlung gegeben hat.

STANDARD: Die Gewerkschaften verlangen von den Arbeitgebern der Elektroindustrie aktuell 5,15 Prozent mehr Lohn. Nimmt der ÖGB auf die Lage Rücksicht, um eine Lohn-Preis-Spirale zu verhindern, oder sagen Sie: Unsere Aufgabe sind gute Lohnabschlüsse für unsere Mitglieder und aus?

Katzian: Wir schauen natürlich auf die Interessen unserer Mitglieder. Die Inflation steigt ja nicht erst seit Kriegsbeginn, sondern schon früher. Das muss abgegolten werden. Die zweite Frage ist: Wie geht es der Branche? In den vergangenen zwei Jahren hat es in der Elektronikindustrie moderate Lohnabschlüsse gegeben, da haben die beteiligten Gewerkschaften viel Verantwortung bewiesen. In der gleichen Zeit haben die Unternehmen richtig gut verdient, es hat finanziell gewaltig gestaubt, und jetzt sagen wir: Davon hätten wir auch gern etwas ab.

STANDARD: Und die Gefahr einer Lohn-Preis-Spirale?

Katzian: "Die Antwort der Regierung auf die Forderung der Sozialpartner zieht sich wie ein Strudelteig."
Foto: APA/Neubauer

Katzian: Würde das Argument mit der Lohn-Preis-Spirale stimmen, müssten wir jetzt aktuell sechs oder sieben Prozent verlangen. Das tun wir nicht. Wir spekulieren als Gewerkschaft nicht herum, wie die Inflation weiter steigen könnte, und verlangen dafür eine Abgeltung in den Verhandlungen, sondern nehmen als Basis die Inflation der vergangenen zwölf Monate her. Das ist die Basis der Verhandlungen. Darum ist das mit der Lohn-Preis-Spirale Humbug.

STANDARD: Klimaschutz ist kein sehr wichtiges Thema für Sie?

Katzian: Wie kommen Sie darauf?

STANDARD: Eine der Forderungen der Sozialpartner war, die Mineralölsteuer auf Benzin und Diesel zu senken. Alle Experten sind sich einig, dass die Kosten für das Verbrennen fossiler Energien steigen müssen.

Katzian: Dieser Vorschlag kam nicht von der Gewerkschaft. Aber man muss die Kirche schon im Dorf lassen. Wir haben ja nicht gesagt, weg mit der Mineralölsteuer. Durch die EU-Vorgaben ergibt sich, dass bei Benzin die Steuer um 15 Cent und bei Diesel um acht Cent je Liter sinken könnte. Aber deshalb sind wir nicht gegen Klimaschutz, im Gegenteil.

STANDARD: Aber müssten Sie nicht sagen: Autofahren wird teurer, das werden sich künftig auch nicht mehr alle leisten können. Dafür wird es andere Formen der Mobilität geben. Stattdessen aber wollen Sie Steuern auf Treibstoffe senken. Hinzu kommt: Die Regierung hat bereits die klimaschädliche Pendlerpauschale erhöht.

Katzian: Wir wollen die Pendlerpauschale auf einen Absetzbetrag umstellen, was sinnvoller und gerechter wäre. Ich teile das, was Sie sagen, zu 100 Prozent. Die Erhöhung der Pendlerpauschale bringt nicht das, was wir uns erwarten. Weil es ungerecht ist, weil für dieselben Strecken kriegt heute einer, der viel verdient, zwei oder dreimal so viel wie ein Geringverdiener.

STANDARD: Wie sehen Sie ein mögliches Gasembargo gegen Russland?

Bild nicht mehr verfügbar.

Die Umsatzsteuer auf Lebensmittel müsse runter, sagt Katzian.
Foto: Reuters

Katzian: Ich halte mich an das, was Ökonomen vorgerechnet haben. Wenn kein Gas mehr kommt, haben wir in Österreich eine große Betroffenheit. Bei Haushalten mache ich mir nicht so Sorgen, weil sichergestellt ist, dass sie im Lenkungsfall den Vorrang haben. Das große Problem betrifft die Industrie: Wir haben Branchen, die können ohne Gas nicht produzieren. Wenn kein Gas kommt, werden wir im Idealfall einiges über Kurzarbeit auffangen, aber nicht alles. Am Ende des Tages wäre Massenarbeitslosigkeit die Folge des Gasboykotts, was ich nicht will. Daher bin ich ganz klar gegen ein Gasembargo. Der dritte Bereich, der vielfach vergessen wird, ist, dass wir auch Gas zur Stromerzeugung brauchen, das heißt, auf die Gaskrise folgt die Stromkrise.

STANDARD: Und ein Ölembargo?

Katzian: Da sagen mir die Ökonomen, das wäre leichter zu machen.

STANDARD: Sie erwähnen die Kurzarbeit: Die Corona-Kurzarbeit läuft bis Ende Juni. Sie wollen eine Nachfolgeregelung und dass künftig Arbeitnehmer immer 90 Prozent ihres Verdienstes als Kurzarbeitsgeld bekommen. Aktuell sind auch 80 oder 85 Prozent möglich bei Besserverdienern. Warum bestehen Sie darauf?

Katzian: Eine 80-prozentige Ersatzrate bedeutet eine sehr starke Schmälerung des Einkommens, besonders angesichts der hohen Inflationsraten. Die Unternehmen müssen bei der Kurzarbeit einen 15-prozentigen Selbstbehalt bezahlen. Auf diese Punkte haben wir uns als Sozialpartner geeinigt, aber die Regierung hat Nein dazu gesagt. Es gibt hinter den Kulissen Gespräche. Aber da muss man in den nächsten zwei drei Wochen Nägel mit Köpfen machen und schauen, ob es noch eine Regelung gibt. Kommt die nicht, dann treten wieder die alten Regeln aus der Zeit vor Corona in Kraft. Die Gewerkschaft muss jede einzelne Kurzarbeitsvereinbarung unterzeichnen, und wenn die 90-Prozent-Ersatzrate nicht drinsteht, werden wir keine Kurzarbeitsvereinbarung unterschreiben.

STANDARD: Ist es nicht klar, dass das Finanzministerium zurückhaltend ist? Es gab zuletzt um die 100.000 offene Stellen.

Katzian: Natürlich kann ich sagen: Wenn in der Voest gerade keine Produktion ist, soll der Industriearbeiter woanders hingehen und sich einen Job suchen. Aber auf der anderen Seite, wollen wir alle, dass unsere wichtigsten Industrieunternehmen in der Zukunft abgesichert gute und qualifizierte Mitarbeiter haben. Um sie halten zu können, braucht es die Kurzarbeit. Über eines würde ich auch künftig reden wollen in diesem Zusammenhang: Wie gehen wir generell weiter mit der Globalisierung um?

STANDARD: Was meinen Sie?

Katzian: Die Zulieferer in der Automobilindustrie aus Österreich haben vor Jahren die Produktion von Kabelbäumen in die Ukraine verlagert. Sie haben dort billiger produziert und dabei Gewinne mitgenommen. Jetzt, wo es keine Kabelbäume mehr gibt, weil der Krieg ausgebrochen ist, schreien die Betriebe nach öffentlicher Unterstützung. Das geht doch nicht, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu sozialisieren. Das wird es auf Dauer nicht geben können.

STANDARD: Aber fordert wirklich ein betroffenes Unternehmen einen Ersatz durch den Staat?

Katzian: Wir hören natürlich schon, dass genau diese Verluste dann gegengerechnet werden sollen und dass dann angeblich genau deshalb keine Lohnerhöhungen gezahlt werden können. (András Szigetvari, 2.5.2022)