Die Zukunft des ukrainischen Volleyballsports: Das U21-Nationalteam bereitet sich in Steinbrunn im Burgenland auf die EM-Qualifikation vor.

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Strenge Chefin, alte Ostblockschule: Das Training ist hart, niemand tanzt aus der Reihe, gelacht wird wenig. Gedanken an die Heimat lassen sich nur kurzfristig verdrängen.

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Bewerbsspiele gab es schon länger nicht mehr.

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Teamarzt Vitaly Chornyi (l.) und Trainerin Yulia Yakusheva.

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Chornyi muss nach der EM-Quali zurück an die Front.

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Eine Momentaufnahme aus besseren Zeiten von Teamspielerin Svitlana Sopocheva und ihrer Familie.

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Schon nach wenigen Fragen sind Svitlana Sopochevas Augen glasig. Als die 19-Jährige anfängt, von ihrer Heimatstadt Cherson im Süden der Ukraine zu erzählen, bricht sie in Tränen aus. Ihre Familie ist nach dem Einmarsch der russischen Truppen in Cherson geflohen. Nun lebt sie in Winnyzja, einer Industriestadt etwa 250 Kilometer südwestlich von Kiew. Sopocheva ist Zuspielerin im ukrainischen U21-Volleyball-Nationalteam, und nicht nur sie wurde vom Schrecken des Krieges traumatisiert. Bei der Ankunft in der Trainingshalle war eine der ersten Fragen der Spielerinnen, ob das Gelände gesichert sei. Und ob sie sich frei bewegen können. Eine andere Spielerin meinte, dass die Russen in ihre Stadt gekommen seien, um ihnen alles wegzunehmen.

Schauplatz Steinbrunn im Burgenland. Im Landessportzentrum VIVA bereitet sich das ukrainische U21-Team auf die Qualifikation für die Europameisterschaft Ende Mai in Polen vor. In einer Tennishalle, die kurzerhand mit einem Parkettboden ausgelegt wurde und so zur Volleyballarena umfunktioniert wurde. 15 junge Frauen springen, sprinten und hechten nach Bällen. Trainerin Yulia Yakusheva, blonder Kurzhaarschnitt und feste Stimme, ist nicht zimperlich mit ihren Spielerinnen. Das Training ist hart, zum Aufwärmen wird auch einmal auf einem Bein quer übers Feld gesprungen. Das ist alte Ostblockschule.

Alltag wahren

"Wir sind sehr dankbar, hier sein zu dürfen. Aber wir haben eine Aufgabe zu erfüllen, wollen unser Land bei einer EM repräsentieren. Wir wissen, dass ein Krieg tobt. Die Menschen in der Ukraine gehen aber auch weiter arbeiten, kämpfen um eine Rückkehr in einen Alltag. Also werden wir das auch tun", sagt Yakusheva zum STANDARD .

DER STANDARD

"Wir haben keine drei Sekunden überlegt, wollten helfen", sagt Gottfried Rath-Zobernig. Der Sportdirektor des Österreichischen Volleyballverbandes (ÖVV) setzte sich Anfang April mit einer kleinen Verbandsdelegation in einen Bus und fuhr nach Przemyśl an die polnisch-ukrainische Grenze, wo man das Team in Empfang nahm. Der ÖVV pflegt gute Beziehungen zum ukrainischen Verband, ohne die Hilfe des burgenländischen Sportlandesrat Heinrich Dorner (SPÖ) hätte der Verband diese Aufgabe aber nicht stemmen können.

Plötzlich ein Knall

Rath-Zobernig erinnert sich an die ersten Telefongespräche und das Bemühen um Aufrechterhaltung der Normalität aufseiten der Ukrainer. "Plötzlich hat es einen Knall gegeben, niemand war mehr in der Leitung. Wenig später kam der Rückruf aus der Ukraine, es habe eine Explosion in der Nähe gegeben. Der ukrainische Kollege fragte, ohne zu zögern: ‚Lass uns weiterreden, wo waren wir stehengeblieben?‘"

Seit drei Wochen ist das Team in Österreich, die Flucht noch im Hinterkopf. Auch Rath-Zobernig haben sich die Bilder an der Grenze eingeprägt. "Den Menschen, die mit ihren letzten Plastiksackerln über die Grenze kommen, sieht man im Gesicht an, warum sie flüchten. Manche hatten gar nichts bei sich, andere schoben alte Frauen und Männer im Rollstuhl nach Polen. Daneben standen braungebrannte Taxi- und Lkw-Fahrer mit Rolex-Uhren, die auf ihre Chance als Schlepper warteten."

Kleine Gesten

In der Ukraine ist Volleyball eine der populärsten Sportarten neben Fußball und Basketball. 2017 gewann das Frauennationalteam die European League, in der Europa-Rangliste rangiert man derzeit auf Platz 13, die letzte Medaille bei einer Endrunde ist aber schon lange her, 1993 gab es EM-Bronze. Die aktuellen Volleyballgroßmächte bei den Frauen heißen Serbien, Italien und Türkei. Bei den Männern stand die Ukraine vor drei Jahren in einem EM-Viertelfinale. In der Heimat findet derzeit, no na, kein Ligabetrieb statt. Fast alle U21-Teamspielerinnen sind Profis bei ihren Vereinen. Mehrere Mannschaften in der ukrainischen Super League sind Teil ihrer städtischen Universitäten, ein wenig vergleichbar mit dem amerikanischen Collegesport.

In Steinbrunn wird es Trainingsspiele gegen Österreichs U21-Auswahl geben. Ausflüge nach Wien oder an den Neusiedler See standen bereits auf dem Programm. "Es geht auch ein Stück weit darum, wieder Lebensfreude zu wecken", sagt Christoph Baumgartner, Teammanager beim ÖVV.

Zurück an die Front

Vitaly Chornyi ist Teamarzt der ukrainischen Auswahl. Zu Kriegsbeginn im Februar wurde er eingezogen und zum Militärarzt ausgebildet. Er konnte das Land nur mit einer Ausnahmegenehmigung verlassen. "Nach der EM-Qualifikation muss ich zurück in die Ukraine an die Front", sagt Chornyi. Auf seinem Handy zeigt Chornyi dem STANDARD Fotos aus dem Krieg, einen beschlagnahmten russischen Panzer, seine ärztliche Ausrüstung. Baumgartner bekam von Chornyi ein Paar ukrainische Teamsocken geschenkt.

"Sie haben nicht viel mit, aber sie zeigen ihre Dankbarkeit, und sie glauben, dass Volleyball ein großer Sport ist in Österreich. Weil sie hier so gute Trainingsbedingungen haben. Es wäre schön, wenn es wirklich so wäre", sagt Baumgartner. Eine einheitliche Dressengarnitur fehlt den Ukrainerinnen noch, der ÖVV wird sie ihnen besorgen. Auf Wunsch der Gäste werden Leiberln und Hosen mit einer ukrainischen und einer österreichischen Flagge versehen.

Hoffen auf ein Wiedersehen

Untergebracht sind die Spielerinnen in Steinbrunn in Vierbettzimmern, sie versuchen, sich mit Volleyball abzulenken, die Gedanken wandern aber immer wieder in ihre Heimat. Valeriia Yakusheva ist die Tochter der Trainerin, 1,82 Meter groß, und sie smasht den Ball härter als alle anderen. "Ich komme aus Winnizya. Wir haben Explosionen gehört und mussten uns verstecken. Ich habe Freunde in Kiew und Charkiw, dort ist es wirklich schlimm." Nur eine Spielerin im Team, Libera Katerina Vassiloyeva, kann Englisch und dolmetscht. Für Yakusheva war es schwer, aus der Ukraine wegzugehen, übersetzt ihre Teamkollegin. "Wenn ich nicht Volleyball spielen würde, würde ich in meiner Heimatstadt bleiben."

Die Ukrainerinnen treffen von 19. bis 22. Mai in der EM-Qualifikation auf Gastgeber Polen, Ungarn und Tschechien. Wie es danach weitergeht, weiß niemand. Die EM findet im Juli in Italien statt, auch Österreichs Frauen wollen dabei sein. Rath-Zobernig hofft auf ein Wiedersehen mit den Ukrainerinnen. "Das würde bedeuten, dass sowohl sie als auch wir bei der EM sind. Und vor allem würde es bedeuten, dass sie in Sicherheit sind." (Florian Vetter, 2.5.2022)