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Containerschiffe bleiben wegen Chinas Null-Covid-Strategie leer. Das spürt Europas Industrie schmerzlich.

Foto: Reuters / Martin Pollard

Wien – Die Gefahr eines Lockdowns in Peking ist noch nicht ausgestanden. Weitere Wohnblöcke wurden am Wochenende abgeriegelt, einige Fitnessstudios, Kinos, Büchereien und mindestens zwei Shoppingcenter geschlossen.

Die Maßnahmen in der chinesischen Hauptstadt sind drastisch, gemessen an den zuletzt gemeldeten 50 Infektionen pro Tag – und es sind sehr wenige im Vergleich zur Millionenmetropole Schanghai, das vor einem Monat abgeriegelt wurde. "China ist besessen vom Ziel, Corona auszumerzen", sagt Ökonom Klaus Weyerstraß vom Institut für Höhere Studien (IHS).

Omikron mit Verzögerung

Die ansteckendere Omikron-Variante erreichte China deshalb offenbar später als den Rest der Welt, umso dramatischer dürften jetzt die Auswirkungen sein. Fabriken sind geschlossen, Transport und Logistik kamen zum Erliegen – auch aus Furcht vor Quarantäne und Kasernierung, Container und Schiffe werden nicht befüllt werden, Häfen nicht mehr angefahren, skizziert der IHS-Experte den Teufelskreis. Der Stau an Transportschiffen im chinesischen Meer ist dramatisch.

Das schadet nicht nur dem für Europas Wirtschaft so wichtigen Export aus China, weil essenzielle Vorprodukte für so gut wie alle Branchen von Pharma bis Stahl fehlen, Lieferketten reißen und kein Nachschub kommt. Der Stau wird nun auch in China zum Problem, die Versorgungslage verschlechtert sich, die 5,5 Prozent Wirtschaftswachstum sind längst unerreichbar, attestiert Weyerstraß. "Sieben der zehn größten Containerhäfen liegen China, darunter der umschlagstärkste in Ningbo, der im August 2021 nach einem einzigen Corona-Fall geschlossen wurde. Diese Entwicklung schadet beiden Seiten."

Versorgung stockt

Das scheint auch der Führung in Peking zu dämmern, sie stellte nun Hilfspakete für die Wirtschaft in Aussicht. Die Null-Covid-Strategie gefährde Jobs, zitierte die Nachrichtenagentur Xinhua das Politbüro.

Nicht nur in der Autoindustrie sind die Folgen unübersehbar: Die Teile-Versorgung stockt, allein heuer dürften deutsche Hersteller um 700.000 Fahrzeuge weniger produzieren als geplant. Am meisten trifft dies VW, während Premium-Fahrzeuge von Audi und Porsche boomen. VW wird geschätzt eine halbe Million Einheiten nicht verkaufen können, weil Teile und Vorprodukte fehlten, meldete die Automobilwoche unter Berufung auf Daten des Dienstleisters IHS Markit.

Just in time außer Tritt

Die Autoindustrie sei am stärksten diversifiziert, sagt Weyerstraß, und mit ihrer "Just in time"-Produktion verwundbar. Der Nachfrageüberschuss führe – wie in allen Branchen – zu steigenden Preisen, was wiederum die Inflation anheizt.

Eine Folge davon: Die Globalisierung wird neu bewertet, Rückverlagerung von Produktion angedacht. Letztere sollte keinesfalls mittels staatlicher Förderungen, billigen Grundstücken oder Steuervorteilen angeregt werden. "Die Initiative, die Abhängigkeit von einem Land zu reduzieren, muss von den Unternehmen selbst kommen."

Kumulation von Störungen

Wifo-Chef Gabriel Felbermayr stößt ins selbe Horn. Chinas Covid-Politik und die Ukraine-Krise seien "eine ungünstige Kumulation von Störungen". China sei aber das weit größere Problem, weil die Auswirkungen viel breiter sind. Vorprodukte gehören zu den größten Kostenbrocken der Industrie. Deshalb – und aufgrund dramatisch gestiegener Energiekosten – sei die Diversifizierung der Bezugsquellen und Herkunftsmärkte notwendig. Denn energieintensive Industrien verlieren aufgrund höherer Kosten für Transport und Energie an Rentabilität und Wettbewerbsfähigkeit. All das führe uns die Abhängigkeit von Gas aus Russland gerade schmerzhaft vor Augen.

Pönale gegen Ausfälle?

"Wir brauchen neue Bedingungen für die Marktordnung, auch um die Zuverlässigkeit in den Lieferketten zu erhöhen", sagt Felbermayr. Beschaffungsverträge sollten deshalb hohe Pönalezahlungen im Fall fehlender Lieferfähigkeit enthalten, allen voran im Gesundheitswesen, also mit der Pharmabranche. "Wer nicht liefern kann, zahlt hohe Strafen." Dann würden es sich Hersteller dreimal überlegen, die Produktion lebenswichtiger Medikamente ins Ausland zu verlagern.

Gefahr Abwanderung

Dieses Umsteuern "ist nicht zum Nulltarif zu haben für Gesundheitskassen und öffentliche Hand", räumt der Welthandelsexperte ein. "Die Preise werden steigen." Die der Pharmabranche in der Vergangenheit abgepressten Zwangsrabatte seien diesbezüglich das falsche Signal gewesen, der Preis war das einzige Kriterium. Das befeuerte die Auslagerung der Produktionen in Billigländer geradezu. Das Outsourcing von Vorprodukten hingegen sei weit weniger bedrohlich für den Wirtschaftsstandort. Die Industrie passe sich ja an Bedingungen an. Ob das von der EU-Kommission geplante Lieferkettengesetz dabei hilfreich sein wird, muss sich erst weisen. Noch liegt erst ein Entwurf vor, Ziel ist die Stärkung der sozialen Verantwortung der global agierenden Konzerne. (Luise Ungerboeck, 2.5.2022)