Der Energie- und Ressourcenökonom Johannes Schmidt geht im Gastblog zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Frage nach, warum Kraftwerksinhaber ihre Kraftwerke nicht gegen Ausfälle durch Kälte abgesichert haben.

Im Februar 2021 kam es zu katastrophalen Stromausfällen in Texas – ausgelöst durch eine Kältewelle, die zu hoher Stromnachfrage und gleichzeitigen Kraftwerksausfällen führte. Die Kosten dieser Stromausfälle werden mit bis zu 200 Milliarden Dollar beziffert, und es wird geschätzt, dass etwa 200 Menschen dadurch zu Tode gekommen sind.

In unserer Gruppe haben wir seit vielen Jahren Erfahrung in der Verarbeitung und Analyse von Langzeit-Klimadaten im Zusammenhang mit Stromsystemen gesammelt. Für uns bot sich also die Gelegenheit, in vergleichsweise kurzer Zeit eine klimatisch-ökonomische Analyse dieses Ereignisses durchzuführen. Insbesondere war Katharina Gruber, eine unserer Doktorandinnen und Doktoranden, gerade beim Fertigstellen ihrer Dissertation, in der sie – unter anderem in Texas – die Windkraftproduktion basierend auf Klimadaten simulierte. Das Ereignis bot eine außerordentliche Gelegenheit, ihre Expertise an einem aktuellen Beispiel anzuwenden.

Modellierung und Analyse von Energiesystemen

Vor allem interessierte uns, warum Kraftwerksinhaber ihre Kraftwerke nicht gegen solche Ausfälle abgesichert haben. Während der Stromausfälle waren die Strompreise nämlich sehr hoch, und verfügbare Kraftwerke konnten enorme Profite einfahren – warum haben sich die meisten Kraftwerksbetreiber trotzdem gegen eine Absicherung entschieden? Um dies besser zu verstehen, mussten wir die Häufigkeit solcher Events abschätzen. Zu diesem Zweck verwendeten wir 70 Jahre an Wind- und Temperaturdaten, um zu simulieren, wie viele Stromausfälle es gegeben hätte, wenn das heutige Stromsystem dem Klima der vergangenen 70 Jahre ausgesetzt gewesen wäre, und wie viel Kraftwerksbetreiber hätten verdienen können, wenn ihre Kraftwerke in diesen Perioden einsatzbereit gewesen wären.

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Texas zur Zeit der Stromausfälle im Februar 2021.
Foto: AP/Eli Hartman

Der Schwerpunkt unserer Arbeitsgruppe liegt auf der Modellierung und Analyse von Energiesystemen; mit statistischen Extremwertanalysen, welche für diese Fragestellung aber hochrelevant sind, hatten wir jedoch weniger Erfahrung. Daher holten wir uns für die Analyse der Jährlichkeit solcher Ereignisse Unterstützung von zwei Kollegen aus dem Bereich der Statistik, Tobias Gauster und Gregor Laaha, die mit der Häufigkeitsabschätzung von Dürreereignissen vertraut sind. Gemeinsam wurde daran getüftelt, wie die Methoden aus der Hydrologie für die Anwendung auf Temperaturzeitreihen und Energiesysteme angepasst werden können.

Unser Modell zeigt, dass im heutigen texanischen Stromsystem, wäre es dem Klima der letzten 70 Jahre ausgesetzt, acht ähnliche Ereignisse wie jenes im Februar 2021 eintreten würden. Die Profite, die Kraftwerksbetreiber generieren könnten, wenn ihre Kraftwerke auch bei niedrigen Temperaturen zur Verfügung stünden, sind so hoch, dass sie die Kosten der Investitionen in die Absicherung gegen Kälte bei weitem für fast alle Kraftwerke übersteigen. Dies gilt auch, wenn man annimmt, dass Kälteereignisse in Zukunft aufgrund des Klimawandels abnehmen. Die Profite, die durch Investition in Maßnahmen gegen Kälteausfälle zusätzlich entstehen, werden dann etwas kleiner, aber reichen noch immer aus, um einen guten Teil der Kraftwerke winterfest zu machen. Warum wurde also nicht investiert?

Finanzielles Risiko schreckt Investorinnen und Investoren ab

Wir denken, dass eine Erklärung die Risikoaversion von Kraftwerksbetreibern sein könnte – unsere Ergebnisse gelten nämlich nur im Mittel. Die Kälteereignisse sind aber sehr selten; das Risiko, dass in einer Investitionsperiode von 30 Jahren keine relevanten Kälteereignisse auftreten, ist relativ groß. In 16 Prozent unserer Simulationen würde eine Investition in die Absicherung gegen Kälte geringere Erlöse als Kosten bedeuten, in zwei Prozent der Fälle würde es gar keine Erlöse geben – das gilt für das erste Kraftwerk, welches abgesichert wird. Je mehr Kraftwerke gegen Kälte gesichert werden, umso höher wird das Risiko, nichts zu verdienen. Entscheidet man sich aber gegen diese riskante Investition, so muss man, im Falle eines Ausfalls des eigenen Kraftwerks, die enormen sozialen Kosten der damit verbundenen Stromausfälle nicht tragen. Es ist also weniger riskant, nicht zu investieren.

Diese Tatsachen erklären, wieso das in Texas verwendete Marktdesign alleine nicht ausreicht, um genügend Anreiz zu schaffen, solche Ereignisse durch entsprechende Maßnahmen zu verhindern. Es gibt mehrere Möglichkeiten, das texanische Stromsystem resilienter zu machen: Die Absicherung gegen Kältewellen kann gesetzlich vorgeschrieben werden – ein solches Gesetz wurde im Juni 2021 auch verabschiedet, allerdings mit beachtlichen Ausnahmen für Gaskraftwerke. Texas könnte sich aber auch stärker in das US-amerikanische Stromsystem integrieren, indem zusätzliche Stromleitungen in benachbarte Bundesstaaten gebaut werden. Weil dies aber mit einer stärkeren Regulierung durch Bundesbehörden einhergehen würde, wird dies in Texas politisch abgelehnt. Genauere Informationen sind in einem mittlerweile erschienen Paper zu finden.

Folgen für die Energiewende in Österreich

Texas verfolgt einen sehr marktnahen Ansatz bei der Finanzierung von Stromanbietern: Strom wird auf Spotmärkten gehandelt. Werden die Reservekapazitäten knapp, wenn also nur wenige Kraftwerke bereitstehen, die im Notfall einspringen können, steigt der Preis stark an. Dieser ökonomische Anreiz für Kraftwerksbetreibende soll sicherstellen, dass auch unter extremen Bedingungen genügend Kapazität zur Verfügung steht (durch den Bau neuer oder durch das Verbessern bestehender Kraftwerke), um die Stromversorgung in jedem Fall sicherzustellen. Wie der Fall Texas zeigt, reicht der finanzielle Anreiz aber mitunter nicht aus. Welche Form der Regulierung also für Strommärkte gewählt wird, wird daher auch in Europa einen erheblichen Einfluss darauf haben, wie die Energiewende sicher vorangetrieben werden kann.

In Österreich ist die Gefahr signifikant geringer, dass Kraftwerke durch niedrige Temperaturen ausfallen, weil hier niedrige Temperaturen deutlich häufiger vorkommen und wir deswegen besser darauf vorbereitet sind. Jedoch wird im Rahmen der Energiewende die Stromversorgung stark vom Klima abhängen, etwa durch vermehrten Einsatz von Solar- und Windenergie. Hier kann und wird es zu einzelnen Extremen kommen. Wir sollten uns daher schon jetzt Gedanken darüber machen, welche seltenen Events mit großem Impact auftreten können, welchen Einfluss der Klimawandel auf solche Risiken hat, welche technischen Möglichkeiten es zur Vorbeugung gibt und wie wir damit umgehen – ob marktbasiert oder übergeordnet reguliert. Diesen Fragestellungen werden wir uns in zukünftigen Forschungsarbeiten widmen. (Johannes Schmidt, Katharina Gruber, Peter Regner, Gregor Laaha, Tobias Gauster, 4.5.2022)