Stets zwischen Genie und Wahnsinn wandelnd: Elon Musk, Technikvisionär und leidenschaftlicher Twitter-Spaßvogel, sorgt sich um die Meinungsfreiheit.

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Das linke Moment-Magazin hat sich Gedanken gemacht, was Elon Musk mit 44 Milliarden US-Dollar sonst noch hätte anstellen können: 1,6 Millionen Schulen in den ärmsten Ländern der Welt bauen zum Beispiel; zwei Drittel des Regenwaldes in Südamerika retten; die Obdachlosigkeit in den USA zweimal beenden; oder die gesamte Menschheit gegen Covid impfen.

Spätestens an dieser Stelle wäre Musk jetzt skeptisch geworden. "Irgendein extremer Schwindel passiert da", twitterte der 50-Jährige, als von vier Covid-Schnelltests bei ihm zwei positiv und zwei negativ ausfielen. Die Impfung verschmähte der Tesla-Chef, Lockdowns zum Schutz der Bevölkerung vor Ansteckung bezeichnete er als "faschistisch".

Kein Wunder: Elon Musk, mit 260 Milliarden US-Dollar der reichste Mensch des Planeten, ist zum Beispiel grundsätzlich gegen die derzeitige Realität öffentlicher Verkehrsmittel. Seine Lösung? Unterirdische Hyperloop-Röhren, in denen Menschen mit über 1000 km/h durch die Gegend geschossen werden, schön kontaktlos und pandemisch sicher.

Wir sehen schon: Elon Musk ist jemand, der gerne von vornherein das Kind mit dem Bade ausschüttet, selbst wenn es pragmatischere Lösungen für Probleme gäbe. Er sieht sich als Renaissance-Genie des 21. Jahrhunderts und als letzter Pionier im amerikanischen Sinne. Grenzen des Machbaren müssen aus Prinzip verschoben werden. Daher will der in Südafrika als Enkel eines kanadischen Fliegerabenteurers Geborene auch mit seiner Firma Space X den Mars kolonisieren.

Absolutist der Redefreiheit

Aktuell hat Elon Musk aber einmal das soziale Netzwerk Twitter gekauft. Und seither rätselt die On- und Offline-Welt, was er damit wohl vorhat. Als Antrieb nannte Musk sein Bestreben, nichts weniger als die Meinungsfreiheit und die Demokratie retten zu wollen, ja zu müssen. Er sei ein "Absolutist", was die freie Rede angeht. Und diese sei, seitdem soziale Netzwerke wie Twitter nach langem Ringen dazu übergegangen sind, "Fake-News" zu kennzeichnen und Hassinhalte einigermaßen zu bändigen, massiv in Bedrängnis.

Donald Trump, dessen Twitter-Profil nach dem von ihm befeuerten Kapitol-Sturm und einer Präsidentschaft voller Lügen, die man euphemistisch als "alternative Fakten" bezeichnete, gesperrt wurde, könne laut Musk zurückkehren. Er, Musk, ziehe temporäre Abkühlphasen einer dauerhaften Sperre vor. Aber während die Republikaner in den USA über den vermeintlichen Befreiungsschlag jubeln und die Waffenlobby in den Startlöchern scharrt, um u. a. Rechtsextreme (wieder) mit zielgerichteter Werbung bedienen zu können, ist keineswegs ausgemacht, wohin Musk die Plattform führen wird.

Ein soziales Medium mache viel richtig, meinte er, wenn die radikalsten zehn Prozent auf der Linken wie auf der Rechten gleich unglücklich damit sind. Reicht das? Vielleicht, wenn Musk wie angekündigt auch noch das Problem der diskurszersetzenden Bot- und Troll-Armeen in den Griff bekommt, hinter denen nicht selten russische Angriffe stehen.

Es steht dennoch zu befürchten, dass Musk, das Genie, das die gesamte Encyclopædia Britannica gelesen haben will und seine Ideen direkt aus Science-Fiction-Romanen wie Per Anhalter durch die Galaxis bezieht, ein recht archaisches Verständnis von Meinungsfreiheit verfolgt, das eher Umgangsformen eines klischeeamerikanischen Westernsaloons entspricht. In Musks Fall wäre es vielleicht die Kantine auf dem Planeten Tatooine aus Star Wars, in der immer der gewinnt, der am lautesten rülpst und schneller schießt. Wenn die Han Solos dieser Welt dann einen Widersacher erledigt haben, schnippen sie dem Barmann lässig einen Coin zu und gehen zum Abkühlen ein wenig an die frische Luft. Dass Twitter einen Männerüberhang von 66 Prozent aufweist, passt dabei ins Bild.

Meinung und Tatsachen

"Muskismus" nennt die Autorin Jill Lepore die Silicon-Valley-Attitüde, kapitalismuskritische Science-Fiction libertär marktwirtschaftlich umzudeuten und zu vereinfachen. Selbiges tut Musk offenbar auch bei der Redefreiheit. Tatsächlich wird diese in den USA traditionell liberaler ausgelegt als in Europa. Verhetzungs- und NS-Verbotsgesetze gibt es nicht, Hassrede ist erlaubt, erst bei Drohungen und Verleumdungen wird es heikel.

Vom Pathos der Freiheit getriebene Leute wie Musk berufen sich gerne auf die Philosophen der klassischen Nationalökonomie wie Adam Smith oder John Stuart Mill (1806–1843), der schrieb, dass der, der "eine Meinung zum Schweigen bringt" einen "Raub an der Gemeinschaft aller" begehe, selbst wenn sich die Meinung hinterher als falsch herausstellen sollte. Aber schon die große liberale US-Exilantin Hannah Arendt wies in den 1960er-Jahren auf das hin, was Populisten und Verschwörungstheoretiker heute so gefährlich macht: Jede beliebige Meinung kann auch als falsche Tatsache verbreitet werden. Als orchestrierte Aktion (Steve Bannons "Flood the zone with shit") wird dabei gleich der ganze Diskursraum kurz- und kleingeschossen.

Die amerikanische Redefreiheit, aber auch das Recht auf Waffenbesitz zielten historisch außerdem eher darauf ab, das Verhältnis der US-Bundesstaaten zu Washington zu regeln, nicht so sehr das Verhältnis der Menschen zueinander. Staatliche Zensur wie in China, wo Elon Musk gute Geschäfte macht, sollte den Spacecowboy daher vielleicht mehr empören als harmlose Benimmregeln auf Twitter. (Stefan Weiss, 3.5.2022)