Dass einem ein Weltmeister die Reifen aufpumpt, ist vielleicht nicht das, was man sich als "Briefing" vor der ersten Ausfahrt erwartet. Aber so rasch konnte ich gar nicht schauen – schon hatte sich Roland Königshofer über die Reifen meines Rades hergemacht: "7,5 bar, passt das?" Äh, ja, danke.

"Okay, und über deine Bremsen reden wir jetzt nicht: Das ist ein Zeitfahrrad. Die sind halt ein bisserl anders."

Aber darüber, wie anders, referierte Österreichs erster Radweltmeister dann, als wir unterwegs waren: in voller Bergabfahrt in engen Kurven. Und bei Geschwindigkeiten zwischen 35 km/h und der Schallmauer: "Des war jetzt eh ned sooo schlecht, aber …" Man weiß, wie es nach so einer Einleitung weitergeht: vernichtend. "Moch da nix draus: Des wird schon."

Foto: Tom Rottenberg

Klar ist Königshofer auch heute am Rad noch eine Macht. Zumindest im Vergleich mit Normalos. Sogar dann, wenn diese "Normalos" im Vergleich zu vielen anderen, die sich aufs Rennrad setzen, vermutlich eher zum stärkeren Drittel gehören.

"Ich bin eh nicht so fit" mag aus der subjektiven Sicht eines Vielfach-Welt- und -Staatsmeisters und Olympiateilnehmers schlüssig klingen.

Wenn er aber während einer 17-Prozent-Steigung immer noch locker über Fahrtechnik und Sicherheit am Rennrad plaudert, während die Normalos nur noch "Laktatparty" denken können, hat das fast etwas Parodiehaftes – obwohl sich der gebürtige St. Pöltener keineswegs über die, die er da betextet, auch nur eine Sekunde lustig macht: Königshofer hat sich heute beruflich der Sicherheit und Technik am Rad verschrieben – nicht nur, aber auch am Rennrad.

Foto: Tom Rottenberg

Erstaunlicherweise bleibt sogar dann etwas von dem, was Königshofer da erzählt und vorzeigt, hängen, wenn man glaubt, im nächsten Moment tot oder ohnmächtig vom Bock zu fallen.

Oder aber mit hängender Zunge versucht, den Windschatten des locker und freihändig "einrollenden" Mannes zu halten, dem entgegenkommende Radfahrer ehrfürchtig und begeistert ein "Wow, il Campione del Mondo" entgegenrufen. Italienische Rennradfahrer – und davon gibt es in Italien sehr viele – kennen die Codes. Wenn einer an Ärmeln und Beinen Regenbogenstreifen trägt, wissen sie, was es geschlagen hat: Hier fährt ein Weltmeister. (Aber mir hat er die Reifen aufgepumpt, ha!)

Foto: Tom Rottenberg

Aber vermutlich sollte diese Geschichte anderswo beginnen: am Anfang nämlich. Und der ist in einem Hotel in Cesenatico zu suchen. Cesenatico ist ein Ort nahe Rimini. Ein klassischer Urlaubsort an der Adria, in den mich in der Hochsaison vermutlich keine zehn Pferde brächten: Hotel neben Hotel, überall dröhnen "Felicita" und "Azzurro" – und am Strand sind die Bereiche, in denen dann die Liegen in strenger Geometrie und Hierarchie aufgestellt werden, schon jetzt klar markiert.

In Rimini reiht sich ein Restaurant ans andere, dazwischen gibt es Baderamsch und Souvenirs – und alles schaut gleich aus.

In der Hochsaison. Aber jetzt, in der Nebensaison, ist das anders: Mindestens die Hälfte der Häuser ist noch zu – und die anderen suchen sich Nischen. Sportler und Sportlerinnen zum Beispiel.

Foto: Tom Rottenberg

So wie das Beau Soleil. Auf den ersten Blick ein freundliches, sauberes, aber im Grunde unauffälliges Dreisternehaus, ist es in meiner Welt aber mittlerweile ein echter Standard: Wer da sagt, dass er oder sie nach Cesenatico fährt, bekommt mit ziemlicher Sicherheit den Hotelnamen zu hören. Als Frage. Oder mit einem wissenden "Ah, Trainingslager, gell?".

Das Hotel wird da oft im gleichen Atemzug mit dem Playitas auf Fuerteventura und Barbara Tesars Istriabike genannt. Anders aufgestellt, aber mit ähnlichen Zielgruppen: Menschen, denen Kolleginnen und Kollegen daheim angesichts einer Urlaubswoche, in der vor dem Frühstück täglich eine Stunde geschwommen wird, einen "Erwachsenenbetreuer" (früher: Sachwalter) empfehlen.

Menschen wie ich also.

Foto: Tom Rottenberg

Wenn Sie diesen Text lesen, bin ich gerade den dritten Tag hier. Ja, freiwillig. Ja, als ganz normal zahlender Gast. Und, nein, nicht zum ersten Mal: Harald Fritz, mein Coach, und mein Verein sind hier "Regulars". Vor Corona war Fritz schon mehrfach hier. Ich war zweimal dabei. Doch dann fielen Trainingscamps pandemiebedingt ins Wasser. Oder eben nicht ins Wasser – sondern aus. Weil: Im Wasser hätten wir ja genau den Spaß gehabt, den uns Reise-, Tourismus- und sonstige Beschränkungen dann nicht erlaubten.

Ganz abgesehen davon, dass es auch keine Wettkämpfe gab, für die wir hätten trainieren können.

Foto: Tom Rottenberg

Wobei das mit den Wettkämpfen so ein Thema ist. Für mich zumindest: Ich habe heuer eigentlich – außer Podersdorf – gar keine am Plan. Aber darum geht es nicht: Ich mag dieses gemeinsame "Dings"-Sein. Das gemeinsame Lachen, Leiden und Leben – und das Gefühl, dass genau das nun endlich wieder möglich ist.

Und ganz alleine bin ich, sind wir damit ganz offensichtlich nicht: Das Haus ist voll. Voll mit Triathlon-Trainingsgruppen aus ziemlich überall im deutschsprachigen Raum. Nicht nur diese Woche, sondern durchgehend.

Vor zwei Wochen waren die Wiener "Sports Monkeys" hier: Die Bilder in den sozialen Netzen machten mir da ebenso lange Zähne, wie unsere es bei den Kolleginnen und Kollegen mit ähnlichen "Krankheiten" jetzt tun.

Aber: Nein, wer von diesem Virus nicht befallen ist, muss das nicht verstehen können.

Foto: Tom Rottenberg

Ich habe auch vollstes Verständnis für jeden und jede, der oder die sich im Urlaub um sieben nicht aus dem Bett schälen will. Schon gar nicht, um dann ins kalte Wasser zu springen. Dass das Wasser – zumindest das im Pool – in der Früh deutlich wärmer als die Luft ist, tut da wenig zur Sache. Auch dass wir da selten mehr als zwei Kilometer schwimmen und auf Beintechnik (und Flossen) weitestgehend verzichten: Nach dem Frühstück wird schließlich Rad gefahren.

Da sollten die Beine noch halbwegs funktionieren – und zwar jeden Tag.

Der blöde Triathlonsatz "Beim Schwimmen machen wir die Arme kaputt, am Rad dann die Beine – und gelaufen wird mit dem Kopf" hat nämlich was.

Foto: Kristina Hofer

Ja, eh: All das könnte man auch daheim machen. Eventuell sogar eine Woche ohne Unterbrechung: Es gibt – etwa am Fuschlsee – mittlerweile auch in Österreich Hotels, die sich auf diese Klientel spezialisiert haben.

Rad- und Rennradcamps existieren ja zum Glück auch schon zuhauf. Laufangebote auch.

Aber was da halt in Österreich immer ein bisserl riskant ist, ist das Wetter. Und was gar nicht geht, ist Schwimmen im Meer. Also: Schwimmen – nicht Baden. Das ist nämlich was anderes als in den Seen daheim. Auch wenn die wunderschön sind. Und hier die Adria in der Früh meist weniger Wellen als die Neue Donau hat: Meer ist Meer – und da will ich rein. Auch wenn das Wasser (wie mir ein staunender Local warnend zurief) angeblich "not even 15 degrees yet" hat.

Foto: Tom Rottenberg

Ich bin kein "harter Hund". Ganz im Gegenteil. Eine volle 2k-Session hätte ich vermutlich auch nicht durchgezogen. Schon gar nicht alleine. Aber der Rest meiner Partie winkte ab. Und auch die anderen Trainingsgruppen blieben lieber im Pool. Noch: Morgen, wenn dieser Text in der Redaktion darauf wartet, zu einem Artikel gemacht zu werden, werde ich ziemlich sicher nicht der Einzige sein, der da mit Neo und Safety-Buoy um sieben in der Früh ins Meer rausschwimmt.

Und dann, wenn es doch ein wenig frisch wird, noch ein bisserl "Kacheln zählt", also im Pool herumplanscht.

Foto: Tom Rottenberg

Und danach eben Rad fahren geht. Das geht hier nämlich richtig gut – egal wie gut man ist. Ein bisserl zach – so ehrlich muss man schon sein – ist es halt, dass man bis ins Landesinnere immer ein paar Kilometer Schnellstraße fahren muss. Und auch wenn italienische Autofahrerinnen und Autofahrer Menschen am Rennrad meist schätzen oder zumindest respektieren, weichen sie halt auch nicht extra aus. Angst vor relativ knapp vorbeiziehenden Lkws, Lieferwagen oder sonst was darf man also keine haben – aber der Unterschied zum Radfahren in Österreich ist, dass hier keiner versucht, die Menschen am Rad umzubringen, abzudrängen oder sonst wie bewusst zu gefährden: Man fährt zügig vorbei – und das war's. Klar wären mir 1,50 Meter Seitenabstand lieber.

Aber in Italien kann ich mich darauf verlassen, dass aus 40 Zentimetern nicht regelmäßig ein Zehn-Zentimter-Nahtoderlebnis mit Scheibenwaschanlage im Vorbeifahren plus Vollbremsung genau vor mir wird: Das ist etwas wert.

Foto: Tom Rottenberg

Ganz abgesehen von Wetter, Blicken und Panoramen. Und der Qualität des Kaffees zwischendurch. Und im Hinterland, in den Bergen und Hügeln, ist dann sowieso kaum Verkehr – abgesehen von Rennradgruppen aus halb Europa.

Die kommen nicht zufällig in diese Region: Die Strecken hier sind durchwegs Klassiker. Viele davon – etwa die Nove Colli – sind teils eigene Rennen (heuer am 22. Mai) oder teils Etappen des Giro (wer da "d'Italia" dazu sagt, kann gleich wieder heimfahren).

Wie entspannt oder knackig man da einen, mehrere oder vielleicht ja gar keinen Hügel in eine Tagesetappe einbaut, bleibt jedem und jeder überlassen – und ob man sich vom "Barbotto" abwerfen lässt, weiß man eben erst, wenn man es zumindest versucht hat.

Foto: Tom Rottenberg

Bei uns steht dieser – angebliche – Hausberg des vermutlich berühmtesten Radrennfahrers der Region, Marco Pantani, erst gegen Ende der Woche auf dem Programm. Ebenso wie der Ausflug nach San Marino – am Rad, versteht sich.

Und auch wenn ich das alles schon kenne, ist es doch jedes Mal wieder schön. Wunderschön.

Wobei es da eines gibt, das wir den "Rookies", also denen, die zum ersten Mal hier sind, dringend empfehlen: Die Frage, woran Pantani 2004 in Rimini gestorben ist, sollte man tunlichst vermeiden. Ebenso Sätze, in denen sein Name und Wörter wie "Doping" vorkommen: Das geht hier gar nicht.

Auch bei uns im Hotel: Das übergroße Pantani-am-Berg-Wandgemälde im Speisesaal ist einer Renovierung zum Opfer gefallen – gehuldigt wird dem "Elefantino" hier aber immer noch.

Foto: Tom Rottenberg

Und Laufen? Ja, klar. Eh. Aber ein bisserl homöopathischer als sonst. Im Pinienwäldchen zwischen den Hotels und dem Strand etwa. Und runter – also in die "echte" Stadt Cesenatico mit ihren zwei Kanälen und dem hässlichen Hochhausturm (der aber eine super Landmark ist, um beim Radfahren auch ohne Navi immer heimzufinden) – werden wir sicher auch noch laufen. Laufen müssen.

Dieses Zwang-Wording gehört irgendwie dazu – obwohl wir, alle hier, es in Wirklichkeit lieben: Dass eine bayerische Trainingsgruppe heute einen Sonnenaufgangsstrandlauf hinlegte und wir nicht, wurmt mich. Ganz gewaltig.

Foto: Tom Rottenberg

Obwohl ich das nur aus einem einzigen Grund mitbekam: Weil ich den Tag im Meer begrüßte.

Dass das Beklagen eines Nichtstrandlaufs in diesem Kontext unvernünftig und unlogisch, da beides zugleich ja unmöglich ist, ist, müssen Sie mir nicht sagen. Das weiß ich selbst.

Aber: Man wird ja noch träumen dürfen. Auch wenn man sich gerade endlich wieder einen Traum erfüllt. (Tom Rottenberg, 3.5.2022)

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