Sebastian Loudon will die RTR als medienpolitischen Thinktank etablieren.

Foto: Datum/Gianmaria Gava

Wien – Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) hat einen Schlüsseljob für die österreichische Medienbranche zu besetzen: Der Geschäftsführer für den Fachbereich Medien der RTR vergibt rund 57 Millionen Euro an Medienförderungen, zum Start der Digitaltransformationsförderung 2022 könnten es rund 90 Millionen werden.

Sebastian Loudon hat sich für die Funktion beworben – wie schon 2017, als er nach dem Hearing erstgereiht war, aber nicht bestellt wurde. Loudon ist Verleger und Herausgeber des Magazins "Datum" – wo er im Falle einer Bestellung keine operative Funktion ausüben und über die Eigentümerrechte mit seinem Dienstgeber Bund eine "saubere Lösung" finden will.

Loudon hat als Herausgeber schon das Branchenmagazin "Horizont" geführt und war Repräsentant der "Zeit" in Österreich. Loudon kennt die RTR als Assistent der Geschäftsführung von 2002 bis 2007.

Wie geht er mit der Verantwortung für die vielmillionenschweren Vergaben von Privatrundfunkförderung, Fernsehfonds und Digitaltransformationsförderung um? Für alle Förderungen der RTR gebe es Fachbeiräte. Er wolle den Beiratsempfehlungen grundsätzlich folgen, erklärt Loudon im Gespräch mit dem STANDARD. Und wenn er von der Empfehlung abweiche, dann wolle er diese Entscheidung begründen. Auch öffentlich? Loudon erklärt sich grundsätzlich bereit dazu, er müsse aber mit den Beiräten abklären, ob diese damit einverstanden seien – weil die Erklärung auch Rückschlüsse auf ihre Empfehlungen zulasse.

"Lebensthema Medienpolitik"

STANDARD: Es ist nur ein Jahr her, dass wir uns darüber unterhalten haben, wie Sie plötzlich Magazinverleger – Mehrheitseigentümer des Magazins "Datum" – geworden seien und was Sie da nicht alles vorhätten. Warum dann jetzt die Bewerbung für die Geschäftsführung der RTR GmbH?

Loudon: Medienpolitik ist offenbar mein Lebensthema – das hat wahrscheinlich mit einem Trauma zu tun, das ich aus meinen ersten Wochen in der Berufswelt davongetragen habe.

STANDARD: Wollen Sie über das Trauma sprechen?

Loudon: Im Frühling 1995 war ich – neben dem Geschäftsführer und dem Programmchef – der erste Mitarbeiter eines in Gründung befindlichen Wiener Privatradios*. Wir bereiteten das Unternehmen für den Sendestart im Herbst vor, es waren die glücklichsten Wochen meines Lebens. Bis eines Tages das Faxgerät einen Bescheid des Verfassungsgerichtshofes ausspuckte, mit dem unsere Sendelizenz für null und nichtig erklärt wurde, weil das Zustandekommen der Zulassungen als nicht verfassungskonform erkannt wurde. Wir mussten zusperren, ich wurde nach Hause geschickt, und es sollte noch drei Jahre dauern, bis in Wien Privatradios starten konnten. Schlechte Medienpolitik hatte also meinen Traumjob ruiniert. Seither lässt mich dieses Thema nicht mehr los.

STANDARD: Und das nächste medienpolitische Trauma war dann Ihre Bewerbung für die RTR-Geschäftsführung 2017? Erstgereiht nach dem Hearing, und doch bestellte der damalige Medienminister Thomas Drozda (SPÖ) den langjährigen PID-Chef Oliver Stribl.

Loudon: Das war enttäuschend, aber kein Trauma. Das Kapitel RTR-Geschäftsführung war für mich danach abgeschlossen. Der Medienpolitik blieb ich aber verbunden ...

STANDARD: ... und Sie haben für den nächsten, nun türkisen Medienminister Gernot Blümel (ÖVP) eine Medienenquete konzipiert und moderiert. Da ging es um die Zukunft der österreichischen Medienbranche, vor allem aber des Marktbeherrschers ORF und seiner Finanzierung. Hat sich Blümel dann eigentlich beim Konferenzdesigner Loudon beschwert, dass die Konferenz nicht das mit Koalitionspartner FPÖ vereinbarte Ergebnis – Budgetfinanzierung für den ORF statt GIS – erbrachte, ganz im Gegenteil?

Loudon: Nein, das hat er nicht – was aus meiner Sicht rückblickend dafürspricht, dass Blümel tatsächlich an einem ergebnisoffenen Diskurs interessiert war. Diesen Eindruck hatte ich davor auch schon, sonst hätte ich den Auftrag nicht angenommen.

STANDARD: Jetzt müssten wir nur noch die Frage klären, warum Sie sich nun für die RTR beworben haben, wo sie sich gerade als Magazinverleger eingelebt haben.

Loudon: Der Herbst 2021 hat Österreich überdeutlich vor Augen geführt, wie sehr das Verhältnis zwischen Medien und Politik in Schieflage geraten ist – mit den Ermittlungen der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft in der Umfrage- und Inseratenaffäre, Hausdurchsuchungen im Bundeskanzleramt, dem Rücktritt eines Bundeskanzlers. Auch wenn nur ein Massenmedium in diese spezielle Affäre um geschönte Umfragen involviert war, muss man erkennen, dass in der Gemengelage aus Politik und Medien seit vielen Jahren ein systemisches Problem brodelt, das langfristig allen schadet – den Medien, der Politik aber auch der demokratischen Öffentlichkeit.

STANDARD: Und was kann da eine RTR-Geschäftsführerin oder ein RTR-Geschäftsführer tun? Er oder sie entscheidet über 57 Millionen Euro Medienförderung – in diesem Jahr zum Start der Digitalförderung sogar über gut 90 Millionen Euro. Aber die bisher sogar höhere inoffizielle Medienförderung – Werbebuchungen öffentlicher Stellen – darf die RTR nur mit der rituellen Veröffentlichung von Meldungen der buchenden Stellen begleiten.

Loudon: Die neue Medienministerin, Susanne Raab, hat erkannt und ausgesprochen, dass im Verhältnis zwischen Politik und Medien einiges im Argen liegt. Sie hat eine Neuordnung des Medienförderwesens und der Vergabe öffentlicher Inserate angekündigt und einen entsprechenden Diskurs, die vielzitierten Medienkonferenzen, initiiert. Ich bin davon überzeugt, dass die RTR GmbH der Politik hier fachkundig und effektiv zur Seite stehen kann, denn aus der Tagespolitik heraus – das hat sich in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder gezeigt – ist eine weit in die Zukunft reichende Medienpolitik sehr schwierig.

STANDARD: Sie haben die – im internationalen Vergleich sehr hohen – öffentlichen Werbebuchungen in Österreich einmal in einem Kommentar für die "Zeit" mit dem Bild einer Suchtmittelabhängigkeit beschrieben. Die RTR als Suchttherapiezentrum?

Loudon: Der Kommentar war eine Reaktion auf die Corona-Sonderhilfen für Medien, bei denen solche mit einer hohen Druckauflage besonders bevorzugt wurden. Mir ging es darum, die wechselseitige Abhängigkeit von Politik und Boulevard zu thematisieren. Die RTR könnte im Auftrag der Medienpolitik und in Fortsetzung der laufenden Medienkonferenzen im Bundeskanzleramt mit der Branche und der Wissenschaft eine langfristige Strategie entwickeln, um aus dieser Abhängigkeit von öffentlichen Werbebuchungen loszukommen. Wenn sich so deutlich gezeigt hat, wie korruptionsanfällig das bestehende System sein kann, dann sollte man doch sagen: Schluss damit! Und einen Weg aus diesem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis suchen – schrittweise, mit Rücksicht auf die wirtschaftliche Lage der Medienbranche und mit Planungssicherheit.

STANDARD: Wie könnte das funktionieren?

Loudon: Wenn einmal ein adäquates – damit meine ich ein transparentes und nach deklarierten medienpolitischen Zielsetzungen ausgerichtetes – Förderregime aufgezogen ist, könnte man das Buchungsvolumen über einen klar definierten Zeitraum Jahr für Jahr abschichten, bis eine zuvor vereinbarte Zielgröße erreicht wird, die sich an der europäischen Normalität orientiert.

STANDARD: Damit machen Sie sich vermutlich keine Freunde auf dem Boulevard – auf den Kanzlerparteien erfahrungsgemäß Rücksicht nehmen.

Loudon: Es geht nicht um Freund oder Feind. Für mich zählt, dass die Medienministerin in ihrem Ministerratsvortrag vom Jänner dieses Jahres angekündigt hat, einen grundlegenden Neustart für die Medienförderung und die Praxis der Inseratenvergabe einzuleiten. Bei diesem Unterfangen biete ich ihr meine Hilfe an. Die RTR GmbH ist die ideale Begleiterin für einen solchen medienpolitischen Reformprozess. Sie hat im Auftrag der Medienbehörde Komm Austria und unter Einbindung aller Stakeholder schon einmal ein Konzept für ein medienpolitisches Großprojekt erarbeitet, nämlich für die Digitalisierung des Antennenfernsehens in den 2000er-Jahren.

STANDARD: Daran waren Sie als Assistent des ersten und sehr eigenständig vor allem im Sinne der Branche Politik machenden Alfred Grinschgl maßgeblich beteiligt. Ihr Vorbild für den Job?

Loudon: In einigen Aspekten ja, etwa was die Nähe zum Medienmarkt bei gleichzeitiger Äquidistanz zu den einzelnen Marktteilnehmern betrifft. Und was das wohldosierte Selbstbewusstsein gegenüber der Politik anbelangt. Die RTR ist mit ihrer gesetzlich ausformulierten Funktion als Kompetenzzentrum dafür prädestiniert, den Diskurs mit fachlichen Impulsen zu bereichern – konstruktiv und proaktiv.

STANDARD: Aktiv würde vielleicht schon reichen. Und was wäre das übergeordnete Ziel?

Loudon: Man hört und liest ja derzeit viel davon, dass die liberale Demokratie angesichts der Kräfte, die gegen sie arbeiten, wehrhaft sein muss. Zu dieser Wehrhaftigkeit gehört meines Erachtens ganz essenziell ein intaktes Mediensystem, das möglichst wenig korruptionsanfällig ist. Unabhängiger Journalismus und eine mediale Infrastruktur, die diesen Journalismus trägt, sind Teil des Fundaments eines demokratischen Zusammenlebens. Wie wichtig die Glaubwürdigkeit von Medien ist, hat sich gerade in den vergangenen zwei Jahren der Pandemie gezeigt. Auch die enorme Bedeutung von Wissenschaftsjournalismus wurde ganz klar sichtbar. Und der Bedarf an ernsthaftem, glaubwürdigem Journalismus wird angesichts der Klimakrise, die das bestimmende Thema der kommenden Jahre sein wird, noch eine ganz neue Dimension erreichen.

STANDARD: Als recht fundamental für funktionierende Demokratien gilt Medienkompetenz der Userinnen und User. Seit 2021 hat die RTR laut Gesetz für ein "vielfältiges Informationsangebot zum Thema Medienkompetenz im digitalen Zeitalter zu sorgen und als Servicestelle für Initiativen in diesem Bereich zu fungieren". Das Gesetz nennt da etwa auch "Medienkompetenztools, damit insbesondere auch Video-Sharing-Plattform- und Mediendiensteanbieter Maßnahmen zum Erwerb von Medienkompetenz anbieten und zur Sensibilisierung der Medienkonsumenten beitragen".

Loudon: Das ist tatsächlich ein höchst relevantes Thema. Und dabei geht es keineswegs nur um die Jugend. Medienkompetenz beinhaltet auch Quellenkritik, ein ganz wesentlicher Baustein im Kampf gegen Fake-News, Hass im Netz oder Verschwörungsideologien. Staatliche Angebote dazu sind in Österreich in nur geringem Ausmaß vorhanden, kaum bekannt und stark fragmentiert. Da sehe ich eine zentrale Rolle für die RTR – diesem gesetzlichen Auftrag aus dem Jahr 2021 erkennbar Leben einzuhauchen und einen Beitrag dazu zu leisten, eine funktionierende mediale Öffentlichkeit aufrechtzuerhalten. (Harald Fidler, 6.5.2022)