Amber Heard soll emotional instabil sein und an einer Borderline-Störung leiden, hat ihr eine beauftragte Gerichtspsychologin attestiert.

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Starke, unkontrollierte Impulsivität, aggressives Verhalten gegenüber anderen, Selbstverletzung, Drogenmissbrauch, Suizidandrohungen, aber auch Essstörungen – all diese Symptome können Hinweise auf eine Borderline-Störung geben. An der soll Amber Heard, die Ex-Frau von Johnny Depp, leiden, wie eine von seinen Anwälten beauftragte Gerichtspsychologin attestierte. Tatsächlich ist diese Störung nicht so selten, man geht von 1,5 bis drei Prozent Betroffenen in der Bevölkerung aus – mit einer deutlich höheren Quote unter straffälligen Personen.

Die Störung entsteht durch ein Zusammenwirken verschiedener Ursachen, wie Susanne Margreiter, Leiterin des Instituts für Psychotherapie mit Tageszentrum für Borderline-Störung der Psychosozialen Dienste in Wien, erklärt: "Hier paaren sich neurobiologische Voraussetzungen mit psychosozialen Faktoren. Die Betroffenen sind oft sehr feinfühlige, sensible Menschen, die in der Kindheit sehr instabile Beziehungserfahrungen gemacht haben und deshalb nie gelernt haben, vertrauensbasierte Bindungen aufzubauen. Sie sind oft auch durch Missbrauch oder Gewalterfahrungen traumatisiert."

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Ein typisches Verhaltensmuster ist Aggressivität anderen, aber auch sich selbst gegenüber, etwa durch Ritzen und andere Formen der Selbstverletzung. Betroffene tun sich meist schwer, stabile Beziehungen aufzubauen, sowohl im privaten wie auch im beruflichen Umfeld. Sie denken oft in Schwarz-Weiß-Kategorien, sind dabei aber auch sehr selbstkritisch bis hin zur Selbstablehnung.

Schwierigkeiten, alleine zu sein

Ein weiterer wesentlicher Aspekt: Vielen fällt es sehr schwer, alleine zu sein. Margreiter weiß: "Das führt zu Klammern in der Beziehung, in extremen Fällen sogar zu der Drohung, sich etwas anzutun, wenn man verlassen wird." Das liegt auch daran, dass Betroffene oft Emotionen nicht gut differenzieren können und diese als Gefühlsüberflutung wahrnehmen. Das ist auf Dauer enorm anstrengend, vergleichbar mit einer permanenten Hochstresssituation.

Betroffen sind übrigens etwa gleich viele Männer wie Frauen, die Symptomatik ist nur unterschiedlich. Männer agieren tendenziell eher nach außen, gehen in die Aggression, den Drogen- oder Alkoholmissbrauch. Frauen richten die Aggression stärker nach innen, betreiben Selbstverletzung oder entwickeln Essstörungen. Erste Anzeichen treten meist schon in früher Jugend auf, Depressionen oder Selbstverletzungen etwa schon ab zwölf oder 13 Jahren.

Zu betonen ist dabei, dass es unterschiedliche Schweregrade in der Ausprägung der Störung gibt. Doch egal in welcher Intensität ist die Krankheit mit hohem individuellem Leid verbunden – und auch die Angehörigen, Partner und andere Bezugspersonen sind davon betroffen. Trotzdem gibt es Hoffnung. Margreiter betont: "Viele schaffen beeindruckende Leistungen trotz ihrer Krankheit, gerade in kreativen und sozialen Berufen, aufgrund ihrer feinfühligen und sensiblen Fähigkeiten."

Gute Erfolge in der Therapie

Betroffene sind der Diagnose aber nicht ausgeliefert, es gibt gute Behandlungsmöglichkeiten. "Psychotherapie ist das Mittel der Wahl, es gibt insgesamt vier verschiedene Therapiemethoden mit klarer Evidenz, dass sie bei dieser Störung helfen." Unterstützend könne man auch Psychopharmaka verschreiben, diese wirken aber eher stabilisierend, um Begleiterscheinungen wie etwa Schlafstörungen zu mildern.

Margreiter weiß aus ihrer Behandlungspraxis: "Betroffene brauchen viel Rückmeldung, der Beziehungsaspekt ist für sie enorm wichtig – weil ja genau die fehlende Vertrauensbeziehung Ursache der Störung ist. Es ist daher essenziell, dass man als Therapeutin in der Therapie authentisch ist und auf Augenhöhe miteinander arbeitet."

Zwingen kann man Betroffene natürlich nicht zu einer Therapie, aber man sollte aufklären und darüber informieren, dass es Behandlungswege gibt. Margreiter betont auch, dass man die Symptome ernst nehmen muss, immerhin begeht etwa jede zehnte schwer betroffene Person Selbstmord. Sie nimmt da auch Institutionen in die Pflicht: "Manchmal müssen Betroffene wegen Selbstverletzungen stationär aufgenommen werden, da wäre es wichtig, Therapiemöglichkeiten aufzuzeigen und nicht nur die Wunden zu versorgen."

Wichtig ist der Expertin, die Vorurteile und Stigmatisierungen, denen viele Betroffene begegnen, aufzubrechen. Sie selbst empfindet die Therapiearbeit mit ihnen als sehr befruchtend: "Die Arbeit mit Borderline-Betroffenen ist sehr herausfordernd und spannend, die Patientinnen und Patienten brauchen oft viel Mut und Motivation, sich mit ihren schmerzhaften Themen auseinanderzusetzen. Psychotherapie zeigt hier jedoch wirklich gute Erfolge, es kann sich viel Positives entwickeln." (Pia Kruckenhauser, 4.5.2022)