Synthiepop-Gipfeltreffen im Pub nebenan: Marc Almond (rechts) und Dave Ball (Zweiter von links) von Soft Cell teilen sich mit den Pet Shop Boys einen Witz. Draußen ist es sehr hell.

Foto: BMG

Ein wenig verstörend ist es schon, Marc Almond in Purple Zone, dem Comeback-Video seines Duos Soft Cell für das Album *Happiness Not Included, als überwuzelten Verkäufer in einem Eiswagen zu sehen. Man erwartet sich ja auch keine Beyoncé als Kundenberaterin bei Hornbach. Während der Pandemie feierte die von keinen Lockdowns gebremste Speiseeiskutsche allerdings ebenso wie Almond ein unverhofftes Comeback.

Die Kundschaft dort abholen, wo sie daheim ist. Marc Almond, die große britische New-Wave-Diva der 1980er-Jahre, gibt dort in einer tristen Plattenbausiedlung den sterbenden Schwan. Dieser bäumt sich ein letztes Mal euphorisch gegen den grauen Alltag und auch gegen das Altwerden auf: "One day you will wake / From your sleep of the dead / Kick out the strangers / Asleep in your bed / And you’ll cry out / Let’s get out of this life / I’m afraid and alone / Paralyzed in the purple zone."

Soft Cell

Purple Zone ist ein von Marc Almond und Maschinist Dave Ball im Stil der 1980er-Jahre geschriebener Hi-NRG-Disco-Schlager, wie er damals etwa auch von den Pet Shop Boys groß gemacht wurde. Das heißt, rhythmisch wird zwar mit verhallten Drums und pumpendem Bass Druck gemacht. Darüber aber werden große Melodien gelegt. Deshalb haben sich Soft Cell nun über 40 Jahre nach ihrem ersten Hit Tainted Love für Purple Zone die Pet Shop Boys als Gäste geladen.

Leiden im Fetischclub

Bei den Dreharbeiten zum Video konnte man sich im Pub auch prächtig über die guten alten Zeiten austauschen. Neben Depeche Mode zählen Soft Cell und die Pet Shop Boys ja zu den Großen des Synthie-Pops der goldenen Ära. Soft Cell verkörperten mit tiefentragödischen Songs wie Say Hello, Wave Goodbye und Alben wie Non-Stop Erotic Cabaret oder This Last Night In Sodom das Leiden an der Welt in den Clubs der Londoner Fetischszene. Die dagegen wie Bankbeamte wirkenden Pet Shop Boys waren möglicherweise ebenso versaut, agieren bis heute allerdings massenverträglicher. Soft Cell lösten sich schon 1984 erstmals auf – und Marc Almond gab solo auf Alben wie Torment and Toreros von Marc and The Mambas die Drama-Queen im Stile Jacques Brels.

Soft Cell

Das Cover von *Happiness Not Included ziert der Vergnügungspark von Tschernobyl. Der Song Heart Like Chernobyl oder I’m Not a Friend of God und Bruises on All My Illusions zeugen von einer unverminderten Fähigkeit des Leidens am Dasein und an sich selbst. Almonds Stimme wirkt in ihrer wackeligen Grandezza nach wie vor einnehmend. Den handelsüblich-austauschbaren heutigen Laptop-Sounds fehlt leider der Charme der hoppertatschigen Klänge der Gründerzeit. (Christian Schachinger, 4.5.2022)