Was geschieht, wenn kein Öl mehr kommt?

Fünf Pakete an Sanktionen gegen Russland haben die EU-Länder beschlossen. Sie haben Einfuhren von Stahl, Zement und Kohle verboten, russischen Flugzeugen und Schiffen den Zugang zum europäischen Luftraum und europäischen Häfen verwehrt. Die Ausfuhr technologisch wichtiger Güter wurde untersagt. Russlands Finanzsystem wird sanktioniert.

Und doch gibt es da diese eine Zahl, die Zweifel daran aufkommen lässt, ob diese Maßnahmen Russland wirklich treffen: 48. Die EU-Staaten haben seit Kriegsbeginn 48 Milliarden Euro nach Russland im Gegenzug für Energielieferungen, allen voran Öl und Gas, überwiesen. Zu diesem Ergebnis kommt das Centre for Research on Energy and Clean Air (CREA), ein in Helsinki angesiedelter Thinktank. CREA hat einen Tracker gebaut, bei dem die Zahlungen für Energieimporte in Echtzeit abgebildet werden sollen.

Die EU unternimmt einen Anlauf, um diese Zählmaschine wenn nicht zu stoppen, so doch zu verlangsamen. Die EU-Kommission arbeitet an einem Vorschlag für ein Ölembargo gegen Russland. Bis spätestens Ende des Jahres soll in die Union kein Öl mehr aus Russland importiert werden. Über die Details wird noch verhandelt, unklar bleibt etwa, ob nur Öl oder auch raffinierte Produkte wie Diesel und Benzin betroffen sein werden. Klar ist aber, dass ein Embargo zu einer Zeitenwende führen wird: Fast 30 Prozent der Ölimporte in die EU kamen vor dem Krieg aus Russland. Wie genau würde sich ein Embargo auswirken? Was erwarten Ökonominnen und Ökonomen?

Frieren wir alle, wenn kein Gas mehr aus Russland kommt, und wer entscheidet, welcher Industriezweig dann noch beliefert wird? Ein Erklärvideo
DER STANDARD

Für Wirtschaft und Betriebe

Das Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) hat für die Regierung eine ganz aktuelle Abschätzung ausgearbeitet. Dieser zufolge würde ein Embargo Österreich kurzfristig etwa 0,3 Prozentpunkte an Wachstum kosten und zu einem Anstieg der Inflation um 0,5 bis 0,75 Prozentpunkte führen. Ein moderater Einbruch also.

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommt die Industriellenvereinigung, dort erwartet Ökonom Christian Helmenstein bei einem Embargo einen Rückgang der Wirtschaftsleistung von 0,25 Prozentpunkten.

Warum kommt es nicht dramatischer? Für Öl gibt es einen Weltmarkt und viele Lieferländer – im Gegensatz zu Gas. Wenn also kein Öl mehr aus Russland kommt, wird es von anderen Staaten nach Europa angeliefert werden. Sprich: Der Wirkungskanal geht also über die Preise, ein kompletter Stillstand einzelner Branchen wie bei einem Gaslieferstopp ist nicht zu befürchten, erklärt Harald Oberhofer, Ökonom an der Wirtschaftsuni Wien.

Die Frage ist also, wie sehr die Preise steigen werden. Das kann niemand exakt vorhersagen. Daher spricht Wifo-Chef Gabriel Felbermayr davon, dass die Einschätzungen seines Instituts zu den Auswirkungen des Embargos mit Unsicherheiten behaftet sind. Aber ein paar Leitplanken für die Debatte lassen sich ihm zufolge aufstellen: So ist der Preis für Rohöl (Brent) seit Jahresbeginn um 40 Prozent angestiegen, obwohl nicht weniger Öl verfügbar war. Am Markt dürfte ein Embargo also schon teilweise eingepreist sein.

Folgen für die Konsumenten

Etwas anders ist das bei raffinierten Produkten wie Benzin, Diesel und Heizöl. Österreich importiert zwar schon jetzt kein Rohöl mehr aus Russland, wohl aber über den Umweg Deutschland raffinierte Produkte aus russischem Öl. Mangels Kapazitäten lässt sich das nicht sofort durch eigene Raffinierung ersetzen. Für Erdölprodukte dürfte der Preisanstieg laut Wifo stärker sein. Bei Diesel könnte der Einkaufspreis für Unternehmen kurzfristig schon über 15 Prozent höher liegen.

Mit der Zeit dürften die Preise zurückgehen. Die Folgen eines Embargos würden damit langfristig geringer werden. Das Institut für Weltwirtschaft in Kiel schätzt, dass Österreichs Wirtschaftsleistung in zwei bis drei Jahren pro Jahr um 0,1 Prozentpunkte niedriger liegen wird also ohne Embargo (siehe Grafik).

Höhere Energiepreise wirken freilich auch indirekt. Teurer Sprit bedeutet, dass die Produktionskosten von Betrieben steigen, vor allem, weil Transport teurer wird. Damit werden immer mehr Güter teurer: Der Ölpreis frisst sich in die Wirtschaft. Konsumenten müssen mehr für Produkte bezahlen, weshalb sie insgesamt weniger konsumieren.

Die gute Nachricht lautet, dass die Industrie heute weniger von Öl abhängt als in den 70er-Jahren. Im Schnitt wurde damals ein Fass Öl (159 Liter) benötigt, um Güter im Wert von 1000 US-Dollar zu erzeugen. Unter Einrechnung der Inflation sind das heute nur 0,43 Fass, wie eine Studie des Centre on Global Energy Policy, eines Instituts der Columbia University, zeigt. Das dämpft die Folgen eines Ölpreisanstiegs zusätzlich.

Was bedeuten steigende Preise fürs Klima?

Sollte es zu Preissteigerungen kommen, werden diese auch an die Kunden an der Tankstelle weitergegeben. Ob der Pkw damit öfter in der Garage bleibt, sei schwierig zu beantworten, so Wifo-Energieexpertin Angela Köppl. Anzunehmen ist das bei moderaten Preissteigerungen eher nicht: So habe sich das Fahrverhalten der Österreicher seit dem Anstieg der Spritpreise in den vergangenen Monaten kaum verändert. (András Szigetvari, Nora Laufer, 4.5.2022)