Es könnte eine Zäsur sein. Als Sebastian Kurz über die Umfrageaffäre stolperte und als Kanzler abtrat, verschwand der "politische Islam" aus dem türkisen Diskurs. Zwar wird das Thema von der Corona-Krise und dem russischen Angriffskrieg in der Ukraine überdeckt. Aber Kurz hinterlässt eine Lücke, und zumindest derzeit sieht es so aus, als würde sie bleiben.

Der Altkanzler gewann zwei Wahlen, auch indem er die harte rechte Linie der Freiheitlichen gegen Muslime und Migrantinnen kopierte und in die Mitte der Gesellschaft trug. Der populistische Kampf gegen den Islamismus wurde zu seiner Marke. Die ehemaligen Spindoktoren von Kurz sitzen zwar noch in der ÖVP, aber wohl nicht mehr so nah am Kanzler wie früher.

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Ohne Sebastian Kurz an der ÖVP-Spitze könnte eine Abkehr von der populistischen Politik gegen Muslime möglich sein.
Foto: Reuters/ Leonhard Foeger

Sind Karl Nehammer, der am 14. Mai offiziell zum Parteichef gewählt wird, moderatere Töne zuzutrauen? Er gilt im Vergleich zu Kurz als liberaler. Dass er sich nach dem Terroranschlag in Wien mit Cobra-Beamten ablichten ließ und der umstrittenen Operation Luxor voreilig eine kriminelle Note verlieh, ist ein Makel. Das entsprach aber noch ganz der türkisen Marketinglogik.

Kultusministerin Susanne Raab (ÖVP) lud Ende April muslimische Vertreter sogar wieder zum Iftar ein, dem Fastenbrechen während des Ramadans. Das machte die Politik zuletzt vor Türkis-Blau. Danach wurde der Termin gestrichen, später kam Corona. Es ist nicht lange her, da verschärfte Raab das Islamgesetz, um Moscheen leichter schließen zu können – weshalb ihre Einladung auf Skepsis stieß. Damals war Kurz noch Kanzler. Dessen Ära verhärtete die Fronten zwischen Politik und Muslimen. Auf reale Probleme mit reaktionären Strömungen wurde vor allem mit scheinbaren Lösungen reagiert.

  • Die Dokumentationsstelle – Von einem Fettnäpfchen ins andere

    Das türkise Prestigeprojekt hatte von Anfang einen Misstrauensvorschuss. Selbst jene, die sich mehr Informationen über das kaum beackerte Feld des Islamismus in Österreich wünschten, trauten es der ÖVP nicht zu, hier ein unabhängiges Projekt zu ermöglichen. Die Kanzlerpartei tat aber auch viel dafür, dass der Anschein gar nicht erst aufkam. Die Stelle trägt auf türkises Bestreben hin den Begriff politischer Islam im Namen und im wissenschaftlichen Beirat wurden reichlich einschlägige Wissenschafter versammelt.

    So richtig sollte die Dokumentationsstelle über die "Islam-Landkarte" stolpern, eine digitale Übersicht über die Moscheen und islamischen Organisationen Österreichs. Eigentlich wurde nur ein altes Universitätsprojekt des Religionspädagogen Ednan Aslan revitalisiert. Dass die Karte aber von Kultusministerin Susanne Raab präsentiert wurde und unter der Chiffre der Dokumentationsstelle, wirkte wie ein Generalverdacht gegen alle Muslime und kostete weiter Glaubwürdigkeit.

    Entsprechend wenig diskutiert wurden die veröffentlichten Grundlagenpapiere – etwa über die Muslimbruderschaft oder türkische Verbände. Aber auch da gebe es noch Luft nach oben, was die wissenschaftliche Qualität betrifft, sagt der Islamwissenschafter Rüdiger Lohlker. Da schließt auch Thomas Schmidinger an. Aus Sicht des Jihadismus-Experten wird sich weisen, ob die Dokumentationsstelle noch einmal die Kurve kratzt. Dafür müsse sie sich allerdings "völlig neu erfinden".

  • Ein neuer Straftatbestand – Gesetzliche Härte zum Schein

    Nachdem der Jihadist K. F. am Wiener Schwedenplatz im November 2020 vier Mensch erschossen und etliche weitere verletzt hatte, reagierte die türkis-grüne Regierung mit vielen Verschärfungen im Antiterrorbereich. Die türkise Handschrift wurde in einem Punkt deutlich: bei der Schaffung eines Straftatbestands, der als Reaktion auf den Terroranschlag explizit auf den "politischen Islam" abzielen sollte.

    Dem Vernehmen nach wollten die Grünen aber genau das verhindern. Der Fokus auf eine spezielle Religion war dem Juniorpartner schlicht ein Dorn im Auge. Im Laufe der koalitionären Gespräche wurde der neue Straftatbestand des "religiös motivierten Extremismus", den Expertinnen und Experten aufgrund der bestehenden Gesetzeslage (staatsfeindliche Verbindung, staatsfeindliche Bewegung) ohnehin nicht für notwendig hielten, auch inhaltlich immer dünner. Von der türkisen Essenz blieb kaum etwas übrig.

    Richter und Staatsanwälte suchten in ihren Stellungnahmen schließlich vergeblich nach einem Anwendungsbereich für den neuen Straftatbestand. Das hat auch damit zu tun, dass die Gesetzesbegriffe ("ernst zu nehmende gesetzwidrige Handlung" oder "manifestierte extremistische Ausrichtung") letztlich so eng gehalten wurden, dass sich das neue Delikt zwar als politisch streng verkaufen ließ, aber ein wenig nach totem Recht riecht. Etwas mehr als ein halbes Jahr nach seiner Einführung fand der Straftatbestand bisher noch keine Anwendung.

  • Moscheeschließungen – Der konsequente Schlag ins Wasser

    Am Ende hat die Aktion der Tewhid-Moschee im 12. Wiener Bezirk wohl mehr genutzt, als sie ihr geschadet hat. Wenige Tage nach dem Terroranschlag in der Hauptstadt im November 2020 wollte die türkise Regierungsriege um Kultusministerin Susanne Raab Härte zeigen. Sie ließ im Eiltempo zwei Moscheen schließen. Neben einer inoffiziellen Hinterhofmoschee eben auch das Tewhid-Gebetshaus, das unter Szenekundigen seit Jahren als Anlaufpunkt extremer Salafisten beschrieben wurde. Allerdings sperrte die Moschee schon kurz darauf wieder auf.

    Das Problem war, dass das Vorgehen des Kultusamts nie gut begründet wurde. Man gab lediglich an, dass auch Attentäter K. F. dort aufschlug. Die Vereinspolizei bestätigte dann zwar, dass in der Moschee immer wieder Extremisten wie K. F. ein und aus gingen, es erhärtete sich aber nicht, dass zum bewaffneten Jihad aufgerufen worden sei. Zudem hatten weder K. F. noch sein Umfeld dort Funktionen. Die Moschee wurde von der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGÖ) wieder anerkannt. Ausgetauscht wurde nur der einschlägige Imam.

    Raabs Vorgänger als Kultusminister, Gernot Blümel, scheiterte schon 2018 an Schließungen. Blümel wollte die Arabische Kultusgemeinde auflösen, weil sie die vorgeschriebene Moscheenanzahl nicht erfüllte. Da Blümel keine Frist zur Fehlerbehebung einräumte, war die Aktion rechtswidrig. Auch eine den rechtsextremen Grauen Wölfen nahestehende Moschee öffnete wieder.

  • Verbotene Kopftücher und Symbole – Eine Aufhebung als Dämpfer

    Zu türkis-blauen Zeiten war es Altkanzler Sebastian Kurz und Co ein Anliegen, ein möglichst breites Kopftuchverbot im Bildungsbereich umzusetzen. Heute existiert es nur noch in Kindergärten. Da das Verbot bundesweit aber keine Rolle spielen dürfte, werden die Rufe nach einer Streichung lauter. Hinzu kommt, dass der Verfassungsgerichtshof das Verbot in der Schule wegen Ausgrenzung aufhob. Jenes für Lehrerinnen, das in einem türkis-grünen Sideletter paktiert wurde, scheint auch deshalb vom Tisch zu sein.

    Auch auf symbolischer Ebene erhöhte man den Druck. So wurde 2018 die bestehende Gesetzeslage erweitert und Embleme sowie Abzeichen der Muslimbruderschaft und der terroristischen Hamas genauso verboten wie die des militärischen Flügels der Hisbollah und der türkischen Grauen Wölfe. Entsprechend sind Gesten wie der "Wolfsgruß" untersagt und kosteten einen Busfahrer der Wiener Linien vor zwei Jahren den Job. Zu wie vielen Anzeigen es seit der Verschärfung kam, beantwortete das Bundeskriminalamt allerdings nicht.

    Der Politikwissenschafter Schmidinger hat schon damals nichts von dem Gesetz gehalten. "Das Verbieten von Symbolen ändert nichts an der politischen Einstellung", sagt er. "Es führt nur dazu, dass verschleiert und versteckt wird und Ersatzsymbole entstehen." Für ein Verbot gebe es lediglich eine gut begründete Ausnahme, die aus der Geschichte Österreichs resultiert: die Symbole des Nationalsozialismus.

  • Wertekurse und Deutschklassen – Verpflichtung und Isolation

    Das türkise Projekt Ballhausplatz rund um Sebastian Kurz lief damals im Hintergrund zwar schon auf Hochtouren – aber im Frühjahr 2017 wagten SPÖ und ÖVP dennoch einen Neuanfang. Grundlage dafür waren strengere Integrationsregeln, die neben einem Burkaverbot etwa auch verpflichtende Deutsch- und Wertekurse für Geflüchtete enthielten.

    In den Wertekursen sollen Grundregeln des Zusammenlebens ins Österreich vermittelt werden, von der geschlechtlichen Gleichberechtigung über den Einstieg in den Arbeitsmarkt bis hin zur Hausordnung und Mülltrennung. Die Kurse wurden bis zuletzt immer wieder erweitert. Mittlerweile bestehen sie nicht mehr aus einem, sondern aus drei Kurstagen. Heuer wurde ein eigenes Antisemitismusmodul hinzugefügt, um muslimische Jugendliche dafür zu sensibilisieren.

    Deutlich kritischer betrachtet wurden die unter Türkis-Blau eingeführten Deutschförderklassen. In einer Befragung der Universität Wien, vor etwas mehr als einem Jahr präsentiert, empfanden Lehrkräfte den separaten Unterricht als eher negativ. Moniert wurde vor allem die soziale Isolation. Die Kinder würden zwischen Deutschförderklasse und dem Stammklassenverband hin- und hergerissen, hieß es, das sei einem Gemeinschaftsgefühl abträglich. Abgesehen davon sei der Austausch unterschiedlich guter Sprachniveaus so nur eingeschränkt möglich, fehlerhaftes Deutsch werde unter den Förderklassenkollegen sogar eher "kultiviert". (Jan Michael Marchart, 13.5.2022)