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Die Britinnen und Briten bestimmen am Donnerstag neue Kommunalvertretungen. Premier Boris Johnson setzt auch diesmal auf politisches Glück.

Foto: REUTERS/Peter Nicholls

Sehen Sie im Premierminister eher einen Kriegshelden oder den Partylöwen? Natürlich steht diese Frage nicht auf den Stimmzetteln, mit denen die Britinnen und Briten am Donnerstag vielerorts neue Kommunalvertretungen bestimmen. Von ihrer Beantwortung dürfte aber vieles abhängen: Wer Boris Johnsons lautstarke und tatkräftige Unterstützung der Ukraine, zuletzt am Dienstag dokumentiert durch eine gefeierte Rede per Live-Schaltung ins Kiewer Parlament, für wichtiger hält als die zahlreichen Lockdown-Partys in der Downing Street, wird eher dazu neigen, der konservativen Regierungspartei den Rücken zu stärken.

Traditionell gilt der Wahltag Anfang Mai als wichtiger Stimmungstest für die landesweiten Parteien ebenso wie die auf ihre jeweilige Region beschränkten Nationalisten. Brexit-Vormann Johnson setzt auch diesmal wieder auf sein bemerkenswertes politisches Glück. Vor Jahresfrist bescherte die erfolgreiche Corona-Impfkampagne den Tories ein unerwartet starkes Ergebnis; diesmal überdeckt Russlands Überfall auf die Ukraine die jüngsten Enthüllungen über Lockdown-Verstöße, die in einer polizeilichen Verwarnung samt Geldstrafe für den Premier sowie Finanzminister Rishi Sunak gipfelten.

Starmer vor Johnson

Kein Zweifel bestand schon vorab daran, dass die Tories diesmal Kommunalmandate einbüßen würden. Das liegt einerseits an ihrem vergleichsweise starken Abschneiden 2018, andererseits am landesweiten Trend. Der sieht, wie Professorin Sara Hobolt von der London School of Economics (LSE) analysiert, die Labour-Opposition bei 40, die Konservativen hingegen nur bei 34 Prozent. Lediglich 23 Prozent gaben sich in der jüngsten Yougov-Umfrage zufrieden mit Johnsons Regierungsarbeit. Bei der Frage nach dem besten Premierminister liegt der Amtsinhaber mit 27:34 Prozent hinter Labour-Chef Keir Starmer.

Große Freude kam deshalb aber bei Labour nicht auf, dazu entfacht der 59-Jährige zu wenig Enthusiasmus im eigenen Lager und darüber hinaus. Zu Monatsbeginn jährte sich der triumphale Wahlsieg von Tony Blair, Premier von 1997 bis 2007, zum 25. Mal. Für einen Wahlspot zählte der mittlerweile 68-Jährige die Erfolge seiner eigenen Amtszeit sowie der anschließenden Jahre unter Gordon Brown (2007–2010) auf und hämmerte den Zusehern ein: Nur im Amt kann die alte Arbeiterpartei für die Menschen aktiv werden, in der Opposition lässt sich wenig ausrichten. "Keir Starmer steht als Premierminister bereit", beteuerte der einzige Labour-Mann, der drei Wahlen in Folge gewinnen konnte.

Die Binsenweisheit, wonach positive Veränderung zunächst Wählbarkeit voraussetzt, richtete sich an all jene, die Starmer nach den sozialistischen Utopien seines Vorgängers Jeremy Corbyn allzu großen Pragmatismus vorwerfen. Für neutrale Beobachter spannender war die brillante Kommunikation des alten Schlachtrosses Blair – und der Kontrast zum vorsichtigen, oft gehemmt wirkenden derzeitigen Parteichef.

Lächerliche Vorwürfe

Geschürt von der fanatisch prokonservativen "Daily Mail" musste sich Starmer in den vergangenen Tagen lächerlicher Vorwürfe erwehren, wonach er bei einem Wahltermin vor Jahresfrist ebenfalls gegen Covid-Vorschriften verstoßen habe. Anstatt geringfügiges Fehlverhalten einzuräumen und gleichzeitig auf die völlig hemmungslose Saufkultur in Johnsons Downing Street hinzuweisen, druckste der langjährige Kronanwalt auf Anweisung seiner PR-Leute herum und machte die Sache dadurch schlimmer. "Die halten sich für besonders schlau", stöhnen selbst loyale Labour-Leute.

In der Hauptstadt richtet sich die Aufmerksamkeit in der Wahlnacht vor allem auf Wandsworth, weil der dortige Bezirk seit 1979 in konservativer Hand ist. Ein Verlust wäre also schmerzhaft, läge aber im Trend: Anders als noch zu Johnsons Zeit als Bürgermeister (2008–2016) gibt es für die Tories in London immer weniger zu gewinnen. Rückschlüsse auf zukünftiges Abschneiden bei der spätestens 2024 anstehenden Unterhauswahl bieten schon eher südenglische Grafschaften wie Somerset und Hampshire oder Yorkshire im Norden.

Nationalistischer Vorsprung in Schottland

In Schottland muss der örtliche Tory-Chef Douglas Ross mit Verlusten rechnen, Platz zwei dürfte nach langer Schwäche wieder einmal an die Labour-Party unter ihrem jugendlichen Boss Anas Sarwar gehen. Unangefochten die Nummer eins bleiben aber die Nationalisten unter Ministerpräsidentin Nicola Sturgeon. Vom Amtsbonus profitieren wird in Wales hingegen Labour, wo Mark Drakeford als Erster Minister hohes Ansehen genießt.

In Nordirland kommt es, wenn die Umfragen korrekt sind, zu einer Premiere: Erstmals soll dort mit Sinn Féin (SF) eine Partei der katholisch-nationalistischen Minderheit die meisten Stimmen erhalten, wenn auch weniger als 2017. Dann hätte die bisherige Vize-Regierungschefin Michelle O’Neill Anspruch auf den Chefposten. Die Rochade ist hochsymbolisch, aber inhaltlich kaum relevant: Schon bisher funktioniert die Belfaster Konkordanzregierung nur dann, wenn das Duo der Spitzenleute an einem Strang zieht. In Trümmern liegt die Politik der größten Unionistenpartei DUP, die mit Fundamentalopposition gegen Nordirlands EU-Sonderstatus punkten wollte. (Sebastian Borger aus London, 5.5.2022)