Russland ist mit gut elf Millionen Fass (je 159 Liter) Tagesförderung der drittgrößte Erdölproduzent der Welt. Europa hat bisher einen Gutteil des Öls gekauft.

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Es gab großen Abstimmungsbedarf, zum Schluss ging aber doch alles schnell: In der Nacht auf Mittwoch hat die EU-Kommission den 27 Mitgliedsländern der Union die Eckpunkte für einen schon länger diskutierten Boykott von russischem Rohöl übermittelt. Kernbotschaft ist, dass mit einer Übergangsfrist von sechs Monaten sämtliche Importe von russischem Öl nach Europa eingestellt werden sollen.

Das Embargo als Teil des mittlerweile sechsten Sanktionspakets geht noch weiter. Bis Ende 2022, Anfang 2023 soll der Importstopp auch sämtliche raffinierte Ölprodukte wie Benzin oder Diesel umfassen. Die 27 Mitgliedsländer müssen dem Kommissionsvorschlag noch zustimmen. Um ein Veto aus Budapest oder Bratislava zu verhindern, sollen Ungarn und die Slowakei mittels Ausnahmegenehmigung Öl bis Ende 2023 beziehen dürfen. Beide hängen stärker als viele andere am russischen Öltropf.

Weitere Sanktionen

Vertreter beider Länder äußerten sich nach Bekanntwerden der Pläne dennoch skeptisch. Beobachter rechnen trotzdem mit einem einhelligen Ja, zumal es im Vorfeld intensive Konsultationen auf diplomatischer sowie Beamtenebene gegeben hat und die Kommission Details erst bekanntgeben wollte, wenn die Zustimmung der EU-27 gesichert ist. Die Strafmaßnahmen treffen diesmal auch die russische Sberbank. Mit Sanktionen belegt werden zudem mutmaßliche Verantwortliche für Morde an Zivilisten in der Ukraine.

Um ein Ölembargo ist seit Wochen intensiv gerungen worden. Expertenschätzungen zufolge haben die EU-Länder seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine am 24. Februar etwa 20 Milliarden Euro allein für Öl nach Moskau überwiesen.

Deutschland nun als Treiber

Deutschland hat nach anfänglicher Skepsis seinen Widerstand aufgegeben, die Idee eines Ölboykotts unterstützt und für entsprechende Dynamik in den Verhandlungen gesorgt. Hintergrund ist, dass die Abhängigkeit von russischen Importen schneller als vermutet von einst 35 Prozent gesunken ist. Laut dem deutschen Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) sind es derzeit noch etwa zwölf Prozent, die im Wesentlichen auf die Raffinerie Schwedt an der Oder entfallen. Diese wird vom russischen Rosneft-Konzern kontrolliert und funktioniert auf Basis von russischem Schweröl.

Auch Österreich steht hinter den Plänen, die OMV hat laut eigenen Angaben den Bezug von russischem Öl bereits auf null reduziert.

Drittwichtigster Ölproduzent

Die bevorstehende Einigung auf einen Boykott von russischem Öl in Europa, der auf ein entsprechendes Embargo der USA und Großbritanniens folgt, hat die Preise an den Rohölmärkten zur Wochenmitte nach oben getrieben. Die für Europa preisbestimmende Nordseesorte Brent notierte zeitweise bei 109 Dollar je Fass (159 Liter), um knapp vier Prozent höher als am Vortag. Das spiegelt die Bedeutung Russlands für die internationalen Ölmärkte und wohl auch die Befürchtung wider, dass es zumindest kurzfristig zu Engpässen in der Rohölversorgung kommen könnte.

Mit einem Fördervolumen von gut elf Millionen Fass am Tag ist Russland der drittgrößte Erdölproduzent weltweit, nur USA und Saudi-Arabien fördern noch mehr. Der Staatshaushalt wird nach Schätzungen von Ökonomen zu einem Drittel durch Einnahmen aus dem Ölgeschäft finanziert. Damit ist der Ölexport für Russland noch wichtiger als der Verkauf von Gas. Der Großteil der russischen Ölexporte ging bisher nach Europa.

Angst vor trockenen Bohrlöchern

Wenn aber Europa kein Öl mehr in Russland kauft und sich stattdessen woanders eindeckt, könnte es zu gröberen Verwerfungen kommen. Einzig Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate verfügen über ausreichend Reservekapazitäten, um die Ölproduktion substanziell zu steigern. Auch US-Produzenten könnten mit mehr Schieferöl einspringen. Unklar ist, wie rasch das gehen könnte und ob insbesondere Saudi-Arabien und die Emirate, die mit Russland gemeinsam das erweiterte Ölkartell Opec+ bilden, dazu gewillt sind. Schließlich steigen ihre Einnahmen mit jedem Dollar mehr beim Preis.

Russland intensiviert unterdessen Bemühungen, neue, teilweise zusätzliche Abnehmer für sein Rohöl zu gewinnen. Während sich staatliche chinesische Rohstoffhändler aus Angst vor möglichen Sekundärsanktionen scheuen, auf vergleichsweise günstiges russischen Rohöl zuzugreifen, haben einige unabhängige chinesische Raffineriebetreiber nach Recherchen der Financial Times dies bereits getan. Die Rede ist von bis zu 35 Dollar Preisabschlag je gekauftes Fass Rohöl. Auch Indien dürfte wenig Skrupel haben, wenn sich die Möglichkeit bietet, zu günstigem Öl zu kommen. Das Land mit mehr als einer Milliarde Einwohner und himmelschreiender Armut in weiten Teilen des Landes ist auf billiges Öl zur Ankurbelung der Wirtschaft angewiesen.

Dass Russland neue Abnehmer sucht, hat auch einen anderen Grund. Anders als bei Gas lässt sich die Ölproduktion schwer abdrehen beziehungsweise nur mit der Gefahr, dass wegen fehlenden Drucks die Bohrlöcher dann für immer trocken bleiben.

(Günther Strobl, 5.5.2022)