Wien – Einen wahren Meilenstein nennen es seine Macher. Ein Totalversagen seine Kritiker. Tierschutz ist ein heißes Eisen. Vor allem in einer Fleischnation wie Österreich. Fünf Millionen Schweine werden hierzulande jährlich gemästet und fast zwei Millionen Rinder gehalten. Mehr als zwei Jahre lang rang die Regierung mit sich, mächtigen Vertretern der Landwirtschaft und Tierschützern um höhere Standards für Nutztiere. Am Mittwoch legte sie im Ministerrat ein neues Maßnahmenpaket vor. Läuft alles nach Plan, soll dieses nach seiner Begutachtung vor dem Sommer als Gesetz beschlossen werden.

Die Tierschutz-Reform ist ein kleiner Schritt für Schweine, ein großer für viele Bauern. Vollspaltenböden sind weiterhin erlaubt.
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Der Debatte um weniger Tierleid ging ein Volksbegehren voran, das Bewegung in festgefahrene Muster der Landwirtschaft, die um jeden Euro Ertrag kämpft, bringen sollte. Die Verhandlungen spitzten sich zu, als sich Nahrungsmittel infolge der Pandemie und des Ukraine-Kriegs empfindlich verteuerten. Begleitet wurde der Diskurs von Klagerufen der Agrarbranche, die sich in einer Kostenspirale sieht, aus der es aufgrund starken internationalen Wettbewerbs keinen Ausweg gebe.

Was genau ist geplant?

- Lebensfähige Küken dürfen nicht mehr getötet werden. Einzige Ausnahme ist, wenn diese nachweislich als Futter für Tiergärten und Greifvögelstationen dienen.

Jährlich werden in Österreich rund neun Millionen männliche Eintagesküken vergast, da ihre Aufzucht unrentabel ist. Ihr Nährwert ist allerdings doppelt so hoch wie jener einer Maus. Sie werden daher verfüttert. Anders als Deutschland will Österreich kein völliges Verbot ihrer Tötung. Denn dieses führte zur bizarren Situation, dass deutsche Zoos Küken im großen Stil tiefgefroren aus Ländern wie Spanien und Italien importierten.

- Die permanente Anbindehaltung von Rindern wird verboten.

Sie ist bereits untersagt, allerdings mit Ausnahmen, die bislang gut 4.700 Betriebe in Anspruch nahmen. Ab 2030 müssen alle Rinder die Möglichkeit zur Bewegung haben. Was aus Sicht der Konsumenten zeitgemäß ist, trieb vor allem Bergbauern auf die Barrikaden. Viele führen ihre Höfe im Nebenerwerb. Der Umbau auf größere Laufställe scheitert oft an steilen Hanglagen oder fehlendem Platz in kleinen Dörfern. Immer mehr Landwirte stiegen daher aus der Produktion aus. Almen sind in der Folge zusehends unbewirtschaftet.

Den Landwirten soll die Möglichkeit erhalten bleiben, Auslauf mit Anbindung zu kombinieren. Wer Tiere dauerhaft auf mitunter 40 Zentimeter langen Ketten hält, hat nun weitere acht Jahre Zeit für die Umrüstung, die über die GAP, das Programm für ländliche Entwicklung, gefördert wird. Wer das Siegel der AMA tragen will, muss dies bis 2024 bewerkstelligen. Der Auslöser für diese Eile: Deutschland kauft keine Milch mehr aus Anbindehaltung. Österreich droht Exporte zu verlieren.

- Wer Schweineställe ab 2023 um- oder neu baut, muss den Tieren bis zu 20 Prozent mehr Platz einräumen.

Umstrittene Vollspaltböden sind weiter erlaubt. Was sich die Regierung zugutehält, ist, dass die öffentliche Beschaffung für täglich zwei Millionen Menschen schrittweise mehr Fleisch aus Produktion ohne Vollspalten kaufen muss. Aber auch sie hat acht Jahre Zeit für die völlige Umstellung. Die AMA will bis dahin die Haltungsbedingungen für eine Million Schweine verbessern. Vorausgesetzt, der Konsument zahlt dafür höhere Preise. Denn doppelter Platz verteuert ein Schwein um rund 50 Euro, rechnen Bauern vor. Mehr als die Hälfte der österreichischen Schweine wächst im Übrigen nicht unter dem AMA-Siegel heran.

Das Kupieren von Ringelschwänzen bleibt im Wesentlichen ebenso erlaubt wie das Kastrieren der Ferkel ohne Betäubung. Auch Gentechniksoja aus Südamerika, dem die Zerstörung von Regenwäldern und Savannen angelastet wird, darf in Österreich weiter an AMA-Schweine verfüttert werden.

- Kälber dürfen erst ab dem Alter von drei bzw. vier Wochen transportiert werden.

Maximale Transportdauer sind 19 Stunden. Exporte in Drittstaaten im Nahen Osten und Nordafrika werden verboten – Zuchttiere davon ausgenommen. Ihr Transport soll strenger reguliert werden, Schlupflöcher bleiben.

Auch viele drei Wochen alte Kälber überleben die Tortur dieser Reisen freilich nicht. Sie in Österreich bis zur Schlachtung im Alter von vier Monaten großzuziehen zahlt sich für die wenigsten Betriebe aus. Ein Kalb trinkt in dieser Zeit Milch im Wert von 600 Euro, die sich nur bei Erlösen von 1.000 Euro für das Tier zurückverdienen lassen. Das Gros der Österreicher zieht importierte Kälber aus nicht artgerechter Haltung aus Kostengründen vor.

Hartes Spannungsfeld

Das Tierschutzpaket sähe anders aus, wären die Grünen allein in der Regierung, resümiert Olga Voglauer, Landwirtschaftssprecherin der Grünen. Es sei nicht das beste entsprechende Gesetz in Europa, aber eine Weichenstellung und in jedem Fall die größte Reform des Tierschutzes seit 15 Jahren. Lebensmittel verteuern werde es nicht, dafür sorgten allein schon die Investitionsförderungen.

Bauernbund-Präsident Georg Strasser sieht darin eine gute Mischung aus Planungssicherheit und Weiterentwicklung, betont er im STANDARD-Gespräch. Die Landwirtschaft bewege sich im Spannungsfeld zwischen dem Wunsch nach mehr Bio wie Tierwohl und dem Druck, Lebensmittel nicht zu verteuern. Andernfalls wichen viele Konsumenten auf Importe aus Polen oder Brasilien zurück.

Für "sündteuer" hält Hans Schlederer, Chef der Schweinebörse, die geplanten Auflagen. Wem Tierschutzstandards "wurscht" seien, der greife künftig zu günstigerer internationaler Ware. Ob die Tiere die Gewinner sind? "Die neuen Regeln sind sicherlich nicht der Weisheit letzter Schluss. Der Verlierer ist in jedem Fall die österreichische Volkswirtschaft."

Martin Balluch, Obmann des Vereins gegen Tierfabriken, ortet nur kleine Fortschritte im Tierschutz, was Tiertransporte betrifft, seien sie geradezu lächerlich. Blamabel und enttäuschend nennt Vier-Pfoten-Direktorin Eva Rosenberg das Paket. Sie erkenne darin kaum grüne Handschrift. Sebastian Bohrn Mena, Initiator des Tierschutzvolksbegehrens, sieht seine zentralen Forderungen erfüllt – Schweinemast mit ihren Vollspaltenböden bleibe jedoch die größte Baustelle. (Verena Kainrath, 5.5.2022)