Datenschützer befürchten Überwachungsmaßnahmen im ersten Wiener Gemeindebezirk.

Foto: APA / Herbert Neubauer

Die Stadt Wien will den Autoverkehr im ersten Gemeindebezirk reduzieren. Ein Projekt, dessen technische Umsetzung und Machbarkeit derzeit noch geprüft wird. Immerhin soll die Einhaltung der geplanten Regeln mithilfe von Überwachungskameras an den Zufahrten zur Innenstadt kontrolliert werden. Diese sollen die Kennzeichen ein- und ausfahrender Fahrzeuge abfilmen – ein Plan, der für scharfe Kritik von Datenschützern und Menschenrechtsorganisationen sorgt.

Die Einfahrt soll dann noch für Bewohnerinnen und Bewohner mit Erstwohnsitz, für Gewerbetreibende, Nutzer öffentlicher Parkgaragen, Lieferverkehr, Einsatzfahrzeuge und städtische Dienste wie die Müllabfuhr erlaubt sein. Dadurch wolle man mehr Platz für Grünraum schaffen, sowohl den Lärmpegel als auch die CO2-Belastung reduzieren.

Dieses Modell habe allerdings "fast so viele Löcher wie ein Schweizer Käse", heißt es in einem öffentlichen Brief mehrerer NGOs, der sich an die Verkehrsstadträtin Ulrike Sima (SPÖ) und die Verkehrsministerin Leonore Gewessler (Grüne) richtet. Unterzeichnet haben das Schreiben unter anderem die Grundrechtsorganisation Epicenter Works und Amnesty International Österreich. Laut ihnen sei es verkehrspolitisch sowohl zielführender als auch billiger, einen Teil der Parkplätze des betroffenen Stadtteils umzuwidmen, als die Kameraüberwachung auszuweiten.

Gefahr der Überwachung

Zwar sei nur geplant, die Kennzeichen ein- und ausfahrender Autos abzufilmen, in Wirklichkeit würden mit höchster Wahrscheinlichkeit aber auch "Bilder des Fahrzeugs oder der Lenker:innen erfasst werden". Dasselbe gelte für Passantinnen und Radfahrer, die die Straße überqueren. Darüber hinaus, so das Schreiben, "müsste ein solches System zentral vernetzt sein, da nichtberechtigte Autos, die den ersten Bezirk binnen 30 Minuten wieder verlassen oder in ein Parkhaus fahren, nicht gestraft werden sollen".

Dadurch würde ein Datensatz entstehen, der laut den NGOs auch für andere als die genannten Zwecke verwendet werden kann. Rechtlich sei die Ausleitung von Kamerabildern in Echtzeit für Sicherheitsbehörden schon jetzt möglich. Einen konkreten Verdacht oder eine richterliche Genehmigung brauche es dafür nicht. Epicenter Works und Co geben außerdem zu bedenken, dass die meisten Versammlungen, zum Beispiel Demonstrationen, im Bereich des ersten Bezirks abgehalten werden. Eine verstärkte Überwachung könne eine abschreckende Wirkung haben.

Oder doch nicht?

Gegenüber dem STANDARD betont die Stadt Wien hingegen, dass aufgenommene Fotos bei legaler Einfahrt unmittelbar abgeglichen und gelöscht würden. Fußgängerinnen oder Demonstranten würden hingegen nicht erfasst werden, da Aufnahmen nur dann angefertigt werden sollen, wenn Kraftfahrzeuge ein- oder ausfahren. Das System ähnle der bereits im Einsatz befindlichen Section Control, mit der die Autobahnmaut überwacht wird. Auch mit Radarboxen zur Geschwindigkeitsmessung sei dieses vergleichbar.

Eine Rechtsgrundlage, die den Einsatz einer solchen Zonenkontrolle mittels Überwachungskameras erlauben würde, gibt es allerdings noch nicht. Nötig wäre eine Änderung der Straßenverkehrsordnung auf Bundesebene. Ebendiese hat die Stadt Wien bereits zusammen mit dem Städtebund angeregt.

Das Verkehrsministerium bestätigt, in dieser Causa schon länger mit dem Österreichischen Städtebund im Austausch zu stehen. Datenschutz sei dabei von Anfang an ein wichtiges Anliegen gewesen. Deshalb werde ein Rechtsgutachten in Auftrag gegeben, "um die rechtlichen Rahmenbedingungen zu klären und eine Basis für eine mögliche Gesetzesnovelle zu legen".

Für den Klimaschutz

Sowohl die Stadt Wien als auch das Verkehrsministerium betonen dabei, dass es sich um eine Maßnahme im Sinne des Klimaschutzes handle, die gleichzeitig die Verkehrssicherheit steigern und die Lebensqualität verbessern soll. Ähnliche Projekte seien aus europäischen Städten wie Bologna, Turin, Dubrovnik oder Alicante bekannt. Auch dort müsse die EU-Datenschutzgrundverordnung eingehalten werden. "Insofern gehen Wien und viele andere Städte in Österreich davon aus, dass eine derartige Rechtsgrundlage seitens des Ministeriums bald geschaffen wird."

Ebendiese Systeme kritisieren die NGOs hingegen scharf. Zum Beispiel gab es in Rom mehrere Vorfälle, in denen berühmten Menschen ihre Strafe erlassen wurde. Insgesamt soll dadurch ein Schaden in Höhe von 16 Millionen Euro entstanden sein. In Siena gab es zudem einen Prozess wegen Stalkings. Darüber hinaus herrsche ein andauernder Rechtsstreit um den Zugriff der Sicherheitsbehörden auf die italienischen Kontrollsysteme, heißt es im Schreiben.

Die Zufahrtskontrolle für die Wiener Innenstadt dürfte dennoch in geplanter Form und Fassung umgesetzt werden. Auch wenn der genaue Zeitplan für die Maßnahmen noch nicht klar ist. (Mickey Manakas, 5.5.2022)