Es war für Juristen ein höchst ungewöhnlicher Schritt, den Johannes Winklhofer da setzte. Weil sich drei Beschuldigte und eine muslimische Aktivistin gegen die Aussagen eines Belastungszeugen mit rechtlichen Schritten wehrten oder damit drohten, lässt der Grazer Staatsanwalt nun wegen Nötigung gegen sie ermitteln, wie der "Falter" berichtete.

Winklhofer leitet die Ermittlungen in einem der derzeit größten und wohl umstrittensten Verfahren in Österreich: der Operation Luxor. Im Zuge dieser fanden eine Woche nach dem Terroranschlag in Wien dutzende Razzien gegen angebliche Muslimbrüder und Mitglieder der terroristischen Hamas statt. Geplant war die Aktion aber schon lange vor dem Attentat. Die derzeit knapp 100 Beschuldigten ergeben sich teils aus natürlichen Personen, teils aus Verbänden. Bisher zeichnet sich in den Ermittlungen allerdings noch kein großer Erfolg ab.

"Kann mir nicht vorstellen, dass das strafbar sein kann"

Im Gegenteil, gab es für die Operation doch schon Rückschläge. In einigen Fällen wurden die Razzien vom Oberlandesgericht in Graz für rechtswidrig erklärt. Es wurde auch massiv infrage gestellt, ob jeder Muslimbruder automatisch als Terrorist gelten kann. So lautet jedenfalls eine zentrale These der Ermittlungen. Davon lässt sich Winklhofer, der schon mit einem Verfahren gegen die rechtsextremen Identitäten scheiterte, aber nicht beirren. Indem er gegen Beschuldigte wegen Nötigung ermitteln lässt, erhöhte er zuletzt sogar den Druck in der Sache.

Gerhard Jarosch, der viele Jahre als Staatsanwalt tätig war, hat so etwas noch nie erlebt, erzählt er dem STANDARD. "Dass jemand deshalb verfolgt wird, weil er ein zulässiges Mittel wie eine Zivilrechtsklage einbringt oder androht, ist mir neu. Ich kann mir nicht vorstellen, dass das strafbar sein kann", führt Jarosch aus, der nun bei einer Agentur im Bereich Litigation-PR tätig ist und keine Mandanten in der Causa vertritt. Dafür müsse eindeutig nachweisbar sein, dass die Beschuldigten der Muslimbruderschaft angehören und rechtsmissbräuchlich Klage einbringen. Wie belastbar die Informationen des Belastungszeugen tatsächlich sind, wird sich erst herausstellen.

Johannes Winklhofer ist der federführende Staatsanwalt in der Operation Luxor.
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Derzeit steht es vor allem Aussage gegen Aussage. Einer der erwähnten Beschuldigten gab eine eidesstattliche Erklärung ab, in der er die Angaben des Belastungszeugen bestreitet. Etwa dass er diesem vor 16 Jahren davon erzählt haben soll, den Treueeid der Muslimbruderschaft geleistet oder andere zu sogenannten Brüdern gemacht haben soll. Der Zeuge behauptet das Gegenteil. Ein Interview jenes Informanten im "Exxpress", in dem er seine Vorhalte samt Namen öffentlich machte, wurde jedenfalls wieder offline genommen. Davor setzte es anwaltliche Abmahnungen und Klagen wegen Kreditschädigung. Die Verfahren gegen den Zeugen laufen noch.

Der anonyme Hinweisgeber

Der Belastungszeuge ist allerdings nicht der einzige Einflüsterer in der Operation Luxor. Viele der von ihm genannten Beschuldigten brachte vor ihm schon ein anderer mit ähnlichen Angaben ins Spiel, weshalb die Staatsanwaltschaft die Informationen für glaubwürdig hält.

Auf jenen Mann wurden die Ermittler aufmerksam, als sie im Juni 2020 ein Telefongespräch belauschten. Wenige Tage danach schlug er beim Verfassungsschutz auf, packte aus und stieg zum "anonymen Hinweisgeber" auf. Der Mann beschrieb den Ermittlern nicht weniger als den angeblichen Führungszirkel der Muslimbruderschaft in Österreich. Dazu sollen auch Beschuldigte zählen, die Winklhofer nun wegen möglicher Nötigung im Blick hat. Aber es gibt Zweifel daran, wie stichhaltig die Angaben des Hinweisgebers tatsächlich waren. Der Informant selbst ist bis heute Beschuldigter in der Causa.

Jener Mann bemüht sich seit 2016 um eine österreichische Staatsbürgerschaft. Drei Jahre später wurde sein Antrag abgelehnt. Denn schon damals attestierte ihm der Verfassungsschutz ein mögliches Naheverhältnis zur Muslimbruderschaft. Das stand seinem Antrag damals noch entgegen.

Eine wackelige Angelegenheit

Zwei Monate nachdem der Mann beim Verfassungsschutz in der Causa Luxor ausgesagt hatte, wurde seiner Beschwerde vor dem Verwaltungsgericht stattgegeben. Folglich wurde ihm eine österreichische Staatsbürgerschaft zugesichert. Verbindungen zur Muslimbruderschaft wurden vom Gericht zwar angeführt, diese lagen laut Entscheid aber schon zu lange zurück. Für die Einbürgerung musste der Mann anschließend nur noch seine andere Staatsbürgerschaft zurücklegen – was er auch tat. Am Tag der Luxor-Razzien machte der Hinweisgeber als Beschuldigter gemäß Protokoll den Exekutivbeamten nicht nur selbst die Türe auf, er wies sie auch von sich aus darauf hin, dass er "in Kürze" österreichischer Staatsbürger werde. Für einige wirkt das, als würde er für seine Aussage belohnt werden.

Genau diese angebliche "Belohnung" scheint aber wieder zu wackeln: Wie aus den Ermittlungsakten hervorgeht, erkundigte sich die MA 35 in Wien im vergangenen Oktober bei der Staatsanwaltschaft Graz über das laufende Luxor-Verfahren gegen den Hinweisgeber. Dort wollte man eruieren, ob Gründe vorliegen, die einer Staatsbürgerschaft noch entgegenstehen könnten.

Laut Gesetz darf diese nicht verliehen werden, wenn ein Naheverhältnis zu einer extremistischen oder terroristischen Gruppierung nachgewiesen und Aktivitäten ebendort nicht ausgeschlossen werden können. Die Staatsanwaltschaft zählte der MA 35 folglich allerdings penibel genau das auf. Im Zuge der Operation Luxor wird dem Hinweisgeber terroristische Vereinigung, staatsfeindliche Verbindungen, kriminelle Organisation, Terrorfinanzierung und Geldwäscherei vorgeworfen.

Zuerst anonym, dann enttarnt

Auch der Verfassungsschutz hege aufgrund der Ermittlungen Bedenken, was die Verleihung der Staatsbürgerschaft angeht, teilte die MA 35 mit. Der Verdacht müsse aus Sicht der Staatsanwaltschaft erst letztgültig geklärt werden. Der Mann selbst bestreitet, ein Mitglied der Muslimbruderschaft zu sein. Dessen Anwältin stellte eine Verbindung zwischen dem Gespräch mit dem Verfassungsschutz und der Zusicherung der Staatsbürgerschaft stets in Abrede.

Auffällig im Fall des anonymen Hinweisgebers ist außerdem, dass ihn die Staatsanwaltschaft vor einigen Monaten in den Akten selbst enttarnte. Zuvor wollte sich der Mann in einer erneuten Einvernahme durch die Behörden nicht mehr äußern. Danach befand die Staatsanwaltschaft, dass kein "schutzwürdiges Interesse" mehr für ihn bestehe. Wenig später geriet der Hinweisgeber in eine Schlägerei. Die Polizei hegt den Verdacht, dass diese mit der Operation Luxor zusammenhängen könnte. Die Gegenseite der Prügelei führte andere Gründe an.

Und Winklhofer? Der Grazer Staatsanwalt äußert sich zu alldem nicht. (Jan Michael Marchart, 7.5.2022)