Paris kämpft seit Jahren mit seiner Luftverschmutzung.

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Ganze 21 Millionen Euro: So viel Geld verlangt ein Pariser von seinem Heimatland Frankreich. Die zunehmende Luftverschmutzung im Ballungsraum der Hauptstadt habe seine Gesundheit nachhaltig geschädigt. Verantwortlich sei der Staat, der die EU-weiten Grenzwerte für Schadstoffe nicht eingehalten habe. Aber darf Frankreich tatsächlich dafür verantwortlich gemacht werden?

Aus Sicht von Juliane Kokott, Generalanwältin des Europäischen Gerichtshofs, könnte der Anspruch des Mannes zu Recht bestehen – zumindest theoretisch. Denn EU-Staaten sind an die Grenzwerte gebunden. Halten sie sich nicht daran und verursachen dadurch einen Schaden, dürfen Geschädigte sie zur Verantwortung ziehen.

Ob im aktuellen Fall tatsächlich ein Anspruch besteht, muss aber genauer untersucht werden, betont Kokott in einem am Donnerstag veröffentlichten Gutachten. Der Nachweis, dass eine Krankheit tatsächlich auf die Luftverschmutzung zurückzuführen sei, sei nämlich schwierig. Ein endgültiges Urteil des Europäischen Gerichtshofs ist in den kommenden Monaten zu erwarten (Rechtssache C-61/21).

Jahrelange Überschreitung

Frankreich steht seit Jahren in der Kritik, nicht genug gegen die Luftverschmutzung zu tun. Betroffen ist vor allem der Ballungsraum Paris. Bereits 2019 hatte der Europäische Gerichtshof festgestellt, dass die Stadt die Grenzwerte für Stickstoffdioxid laufend überschreitet. Auch für Feinstaub bestätigte der Staatsrat – das oberste Verwaltungsgericht Frankreichs – für 2018 und 2019 eine Missachtung der Grenzwerte.

Die Frage, ob einzelne Personen aufgrund der Umweltverstöße Schadenersatz verlangen können, ist aber nach wie vor ungeklärt. Das Verwaltungsberufungsgericht von Versailles, das mit dem aktuellen Fall befasst war, richtete sich daher mit einem Ansuchen an den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg. Dort ist es üblich, dass zunächst der Generalanwalt oder die Generalanwältin eine Rechtsmeinung veröffentlicht.

Schwieriger Nachweis

Auch wenn ein Anspruch theoretisch besteht, ist der Nachweis eines "Kausalzusammenhangs" in der Praxis aber schwierig, schreibt Kokott in ihrem aktuellen Gutachten. Der Kläger oder die Klägerin muss nämlich beweisen, dass eine bestimmte Krankheit tatsächlich auf die Luftverschmutzung zurückzuführen ist und nicht auf andere Ursachen. Dafür werde es medizinische Gutachten brauchen.

Selbst wenn dieser Nachweis gelingt, hätten Staaten laut Kokott aber noch einen weiteren möglichen Ausweg: Sie könnten sich von der Haftung befreien, indem sie nachweisen, dass die Grenzwerte auch dann überschritten worden wären, wenn sie rechtzeitig EU-konforme Pläne für eine bessere Luftqualität erlassen hätten.

Bestätigt der Europäische Gerichtshof mit seinem endgültigen Urteil die Rechtsmeinung der Generalanwältin, liegt die endgültige Entscheidung über den Schadenersatz beim französischen Gericht. (japf, 5.5.2022)