In der Zeitkapsel und am Rad mit "Der Preis ist heiß" mit Harry Wijnvoord (rechts) und Thorsten Schorn.

Foto: RTL, Stefan Gregorowius

Da lernen wir seit Jahren, nicht nur dank Marie Kondo, aufräumen, ausmisten, Achtsamkeit und Minimalismus. Dass Stille, Leere, Entrümpelung und der Rauswurf von Ramsch gut für die Seele sind. Und dann das! Das Publikum tobt und brüllt, die Kandidatinnen und Kandidaten gieren nach dem monströsen Plastikflamingo, jeder will das Vieh für den Badeausflug gewinnen.

Aber zuerst, so will es das Der Preis ist heiß-Gesetz seit Jahrzehnten, muss eben der Preis erraten werden. "60", ruft Marvin. Also wirklich, das ist eine Beleidigung für den schönen Flamingo. Der hat nämlich – bitte festhalten – auch noch einen Getränkekühler und vier Glashalter.

Darum kostet er nicht 60, sondern 229 Euro. Der Zuschlag geht an Nadine, die am nächsten lag, aber nicht überboten hat. Das darf niemals geschehen! So lief das immer schon, es war vermutlich die einzige Regel, die jeder verstand.

Nadine strahlt, läuft auf die Bühne und begrüßt Moderator Harry Wijnvoord schmachtend: "Du bist der Held meiner Kindheit. Ich hab das geliebt, das früher mit meiner Mama zu gucken." Es sind Sätze wie von RTL bestellt. Aber sie fassen die Lage auch gut zusammen.

"Nigelnagelneues" Auto

Wer erinnert sich nicht an den niederländischen Kultmoderator und seine Sendung, die von 1989 bis 1997 bei RTL lief? In insgesamt 1.873 Folgen mussten – oder durften – Gäste aus dem Publikum unter regen Zurufen desselbigen den Preis von allerlei Produkten schätzen. Wer am nächsten kam, sahnte ab. Es gab auch mal eine Reise oder ein Auto. Allerdings nicht irgendeines, sondern stets ein "nigelnagelneues" Auto.

Wenn dieses anno 2022 angesagt wird, dann ist alles wie damals: die Musik, die Tonlage, die Stimme, obwohl Wijnvoords Kompagnon Walter Freiwald nicht mehr dabei ist. Er war nach Der Preis ist heiß mal im Dschungelcamp und verstarb 2019. An seiner Stelle sorgt jetzt Thorsten Schorn in Freiwald'scher Manier für den Sidekick.

Ansonsten gibt es nicht viel Neues, außer natürlich den Preis. Vor Jahrzehnten war noch alles in D-Mark angeschrieben, jetzt sind es Euro. "Ich darf Ihnen wieder herrliche Preise anbieten", sagt Wijnvoord mit der schmeichlerischen Stimme eines Versicherungsvertreters, der kurz davor steht, an der Haustür das Geschäft seines Lebens abzuschließen. Wobei "herrlich" vielleicht ein kleiner Euphemismus ist. Es warten unter anderem eine Holzmühle, ein Fitnessgerät, das aussieht wie ein Laserschwert, eine Audio-Sonnenbrille, ein Tischventilator, ein Tageslichtwecker und ein Schuhauslüfter. Was wird alles dazukommen, wenn Folge zwei und drei ausgestrahlt werden – wann, ist noch offen. Man möchte es sich nicht ausdenken.

Es blinkt, glitzert, funkelt

"Sie fühlen sich erholt und wie neugeboren", heißt es beim Tischventilator, "nur die Harten kommen in den Garten" beim Gartenset. Das ist nicht mal mehr 90er-, sondern 60er-Jahre. Es blinken die Lichter, es glitzert und funkelt die Deko, das Glücksrad von damals dreht sich so bunt, dass man – apropos Preis – Rekordinflation und Russenkrieg vergisst. Der Preis dafür ist manchmal wirklich hoch: Eine Kandidatin muss den Preis von WC-Reiniger erraten.

Aber das gehört eben dazu, wenn man sich mit einer Zeitkapsel in die 90er zurückbeamen will, dorthin, wo die Sorgen noch kleiner waren. Man gönnt den Gewinnerinnen und Gewinnern all das Zeug, das sie als Beute heimschleppen, ist sich aber ziemlich sicher, dass man es selbst nicht hätte haben wollen – außer vielleicht das "nigelnagelneue" Auto, das Kevin ergattert. Und das Lastenfahrrad. So einen Preis hätte es damals, als wir alle noch jung waren, nicht gegeben. (Birgit Baumann, 5.5.2022)