Die deutsche Ökonomin Claudia Kemfert plädiert für einen Boost bei Erneuerbaren.

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Wien – In Europa wird derzeit fieberhaft nach Alternativen für russisches Öl und Gas gesucht. Zumindest den Ölhahn könnte Europa schon bald zudrehen: Frankreichs Umweltministerin Barbara Pompili rechnet damit, dass sich die EU-Staaten noch diese Woche auf Modalitäten eines Einfuhrverbots für russisches Öl einigen könnten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hatte ja angekündigt, dass Importe von russischem Rohöl mit einer Übergangsfrist von sechs Monaten gestoppt werden sollen. Die EU-Mitgliedsstaaten müssen dem Vorschlag allerdings noch zustimmen.

Eine – aus Klimasicht umstrittene – Lösung, wie zumindest das russische Gas ersetzt werden könnte, schlug Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck (ÖVP) in einem Interview mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vor: "Die EU muss auf Fracking setzen", forderte die türkise Ministerin dort. "Es gibt Methoden, um Schiefergas umweltfreundlich zu fördern. Wir dürfen uns nicht verschließen und mit dem technologischen Stand von vor 20 Jahren argumentieren."

Es geht ohne russisches Öl und Gas

Die Ökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hingegen geht einen anderen Weg. Sie sieht die Lösung in den Erneuerbaren, wie sie am Donnerstag in einem Pressegespräch von Scientists for Future erklärte. Insgesamt hält sie eine Abkehr von Russlands Rohstoffen für möglich: "Europa kann die Energieversorgung auch ohne russische Energielieferungen sicherstellen", sagte die Wissenschafterin. Dafür seien aus ihrer Sicht mehrere Faktoren notwendig: Zuallererst müssten die Importe diversifiziert werden. Statt nur auf russische Rohstoffe zuzugreifen, müssten auch Quellen aus Norwegen, den Niederlanden oder Nordafrika stärker angezapft werden. Darüber hinaus müsste auch Flüssiggas nach Europa gebracht werden. Laut Kemfert gebe es ausreichend Flüssiggas- und Anlandekapazitäten, um bei einer entsprechenden Koordination die Versorgung für ganz Europa sicherzustellen.

Auch beim Öl seien auf internationalen Märkten ausreichend Ressourcen vorhanden, meint die Ökonomin. Viel kritischer als Öl sei jedoch Gas – die Speicher müssten über den Sommer gefüllt werden, um die Nachfrage im nächsten Winter zu decken. Das A und O sei, sich auf europäischer Ebene in Energiefragen zu koordinieren.

Boost für Erneuerbare

Damit aber nicht genug. Neben dem Umstieg müsse auch Energie – wo möglich – eingespart werden, die Erneuerbaren einen Booster bekommen. "Die Energiewende ist das beste Friedensprojekt", fasste Kemfert zusammen. Sie plädiert für schnellere Ausstiegsgesetze für Öl- und Gasheizungen – hier könne aus Sicht der Ökonomin auch eine Abwrackprämie für alte Heizungen sinnvoll sein.

Insgesamt sei jedenfalls eine Kombination an Maßnahmen notwendig, ergänzte die Umweltökonomin Sigrid Stagl von der WU Wien. So könne die Energiewende etwa nur mit einer zeitgleichen Ausbildungsoffensive gelingen. "Wer derzeit versucht, eine Wärmepumpe in Auftrag zu geben, wird merken, dass die Kapazitäten am Anschlag sind", sagt die Ökonomin.

In Österreich habe man sich zu lange auf dem hohen Erneuerbaren-Anteil bei Strom ausgeruht, kritisiert Stagl. In anderen Bereichen wie Wärme und Mobilität werde zu oft auf die Bremse getreten, meint die Expertin mit Verweis auf den Erneuerbaren-Ausbau auf Länderebene. Einen Ausstieg Österreichs aus russischem Gas bis 2027, der in einer Studie der Energieagentur vorgeschlagen wird, hält Stagl für möglich – allerdings nur mit einer "nationalen Kraftanstrengung". (lauf, 5.5.2022)