Fressen oder gefressen werden – die Games-Branche ist den Kinderschuhen entwachsen. Jetzt wird mit harten Bandagen gekämpft.

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Die Entwicklung neuer Spiele ist teuer geworden, sehr teuer. Vor allem für unabhängige Spielestudios stellt jedes neue Produkt ein Risiko dar: Nach einem kommerziellen Flop können sie oft das "Closed"-Schild an ihre Tür hängen.

Das ist einer der Gründe, warum es in der Games-Industrie immer weniger von diesen Einzelspielern gibt. Sie werden von den Großen aufgekauft – und das gilt selbst für jene Unternehmen, die selbst schon eine stattliche Größe erreicht haben. So etwa Activision Blizzard, Schöpfer von Blockbustern wie World of Warcraft und Call of Duty, das nach einer Milliardenübernahme ab Ende des Jahres unter der Microsoft-Flagge segeln wird. Gerade dieser Deal lässt viele in der Branche die Frage stellen, wie lange die letzten Unabhängigen sich noch gegen die Umwerbung der Riesen wie Microsoft, Sony oder Tencent wehren können – und auch ihre Aktionäre von einem solchen riskanten Kurs überzeugen können.

Investition in Know How

Besonders gilt das für die französische Spieleschmiede Ubisoft, den Erfinder von Rayman. "Wir haben immer Entscheidungen im Interesse unserer Stakeholder getroffen," verkündete Ubisoft-Chef Yves Guillemot laut Protokoll in einem Finanzgespräch mit den Aktionären zu Jahresanfang. "Wir haben das Talent, die finanziellen Möglichkeiten und ein großes Portfolio. Ubisoft kann unabhängig bleiben." Ganz überzeugt hat der 61-Jährige mit seinem Optimismus offenbar nicht. Mehrere Aktionäre ließen im Anschluss wissen, dass sie künftige Kaufangebote sehr wohl prüfen wollen.

Analysten sind sich einig, dass Ubisoft nicht der einzige Spielehersteller ist, der künftig Teil eines größeren Unternehmens sein könnte. Aktuelle Schätzungen sprechen allein im Jahr 2022 von Fusionen und Konsolidierungen in der Branche im Wert von rund 150 Milliarden Dollar. Das wäre fast das Doppelte des letztjährigen Rekordwerts von rund 85 Milliarden. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, dass die Anfang des Jahres verkündeten Übernahmen von Activision Blizzard durch Microsoft (68,7 Milliarden Dollar), von Zynga durch Take Two (12,7 Milliarden Dollar) und von Bungie durch Sony (3,6 Milliarden Dollar) hier schon eingerechnet wurden.

Die Gründe für solche Zusammenschlüsse liegen auf der Hand. Da wäre zunächst einmal die wichtiger werdende Verschmelzung von klassischen PC- und Konsolenspielen mit dem Markt der Mobile Games. Stellvertretend dafür kann der Kauf von Zynga durch Take Two genannt werden. Die Mutter von Marken wie Grand Theft Auto, Mafia oder Red Dead Redemption hat auf den großen Spieleplattformen bereits alle Rekorde gebrochen. Was fehlt, ist der lukrative Mobile-Markt, für den man sich jetzt die Macher von Farmville ins Boot geholt hat, die auf dem Gebiet große Erfolge feiern konnten. Ähnliche Zusammenschlüsse gab es 2018 bereits, als der chinesische Tech- und Games-Gigant Tencent den finnischen Superstar im Mobile-Bereich, Supercell (Brawl Stars, Clash of Clans), für zehn Milliarden Dollar inhalierte. Activision Blizzard sicherte sich 2016 die Candy Crush-Macher King für 5,9 Milliarden.

Laut "Statista" wird der Mobile-Games-Markt von aktuell rund 100 Milliarden Dollar bis zum Jahr 2026 um satte 40 Prozent wachsen, mit Sicherheit auch dank der oben genannten Investitionen. So hat Blizzard erst kürzlich ein neues Warcraft-Spiel angekündigt, das exklusiv für mobile Plattformen erscheinen wird, und auch das nächste Diablo wurde in erster Linie für Smartphones entwickelt. Auch Apple spielt in diesem Segment mit seinem Abo-Dienst Apple Arcade eine große Rolle – Netflix startete kürzlich mit einem laufend wachsenden Spieleangebot, das allen Abo-Kunden automatisch zur Verfügung gestellt wird. Somit spielen hier auch zwei große Firmen mit, die sonst gar nicht im Games-Bereich tätig sind.

Auch auf Social Media werden immer wieder Gerüchte platziert, die sich um den möglichen Kauf eines Studios drehen.

Amazon und Netflix

Auch bei anderen Zusammenschlüssen ging es immer um den Erwerb von Wissen in Bereichen, in denen man selbst nicht so stark ist. Der japanische Konzern Sony etwa, der in den letzten Jahren vor allem einzelne Studios und nicht wie Microsoft ganze Publisher auf die Einkaufsliste setzte, erwarb mit dem Kauf von Bungie (Destiny) Anfang 2022 viel Kompetenz im Bereich Games-as-a-Service. Diese über Jahre potenziell Gewinn bringenden Spiele haben in den letzten Jahren stark an Relevanz gewonnen – man denke nur an Fortnite, The Division oder eben Destiny. Sony spielte in diesem Feld bisher nur eine passive Rolle, indem diese Spiele auf der Playstation zwar abgespielt wurden, aber nicht direkt aus der Feder der Japaner stammten.

Auch in Sachen Metaverse wird – obwohl noch über den Begriff selbst diskutiert wird – fleißig an Kooperationen für die Zukunft gearbeitet. Hier hat etwa Sony zusammen mit Lego in die Games-Firma Epic investiert, um bei künftigen firmenübergreifenden Fantasien ein Wort mitreden zu können. Michael Metzger von der Investmentbank Drake Star rechnet laut Reuters auch deshalb bald mit weiteren Investitionen. "Wir befinden uns gerade mitten in zahlreichen Deals, und deshalb bleibt der Markt heiß umkämpft."

Laut Metzger könnten Amazon und Netflix die Nächsten sein, die sich im Games-Bereich verstärken. Amazon hat ja bereits 2012 seine eigenen Game Studios gegründet, aber sich nie mit externen Entwicklern verstärkt. Der US-Konzern Netflix verfolgte bisher die Strategie, bereits bestehende Spiele in sein Angebot aufzunehmen. Auch hier würde der Zukauf von Expertise oder starken Partnern Sinn machen, sofern man sich auf diesem Gebiet stärker aufstellen will. Die Relevanz der Games-Branche hat man in jedem Fall erkannt, ist doch das Zitat von Netflix-Chef Reed Hastings von 2019 noch immer vielen ein Begriff, als er sagte, Netflix' größter Konkurrent in Sachen Bildschirmzeit sei kein anderer Streamingdienst, sondern das Spiel Fortnite.

In Asien stehen Firmen wie Tencent (Riot Games, Paradox, Supercell, Sumo Digital), Byte Dance (Tiktok), Netease und Krafton (PUBG, Tera) immer wieder in Verdacht, weiter in den Markt zu investieren. In Europa macht die schwedische Embracer Group immer wieder von sich reden. Zuletzt kaufte man Eidos und Crystal Dynamics für rund 300 Millionen Dollar und sicherte sich damit Marken wie Tomb Raider oder Deus Ex.

Für den Spieler ändern sich je nach Deal mehr oder weniger relevante Dinge. So haben manche Käufe Auswirkungen auf die Verfügbarkeit künftiger Produkte, etwa wenn Microsoft einen Publisher oder ein Studio schluckt und dann von Fall zu Fall entscheidet, welches dieser Spiele exklusiv für die eigene Plattform sein soll und welches nicht. Gerade beim Befüllen der wachsenden Abo-Dienste der großen Konsolenhersteller eignen sich große Exklusivtitel gut, um das Geschäft anzukurbeln. Was den Einfluss auf die Kreativität der Schaffenden betrifft, so ist kein eindeutiges Bild zu zeichnen. Die meisten Studios bedanken sich beim Abschluss eines solchen Deals meist für das Vertrauen und das zusätzliche Budget, das gleichzeitig Sicherheit für die Produktion bietet. Allerdings hat man speziell bei Microsoft bei First-Party-Studios schon oft erlebt, dass nach einem erfolgreichen Spiel vom neuen Besitzer so lange Fortsetzungen gewünscht werden, bis das Studio letztlich zerbricht oder zumindest die Verantwortlichen das Schiff verlassen.

Der Chef des heimischen Entwicklers Moon Studios, Thomas Mahler, wundert sich über die Euphorie der Fans, wenn ein Studio gekauft wird.

Abgesichert

Assassin's Creed-Vater Ubisoft scheint die drohende Übernahme durch Externe übrigens abwehren zu können. Bloomberg berichtete zu Jahresbeginn über Angebote in Richtung Ubisoft, allerdings nicht von großen Tech-Unternehmen, sondern von Private-Equity-Gesellschaften, also Beteiligungskapitalgesellschaften, die in Unternehmen investieren, der Firmenleitung aber meist weiterhin freie Hand lassen. Und tatsächlich scheint sich diese Entwicklung zu bestätigen. Laut "Seeking Alpha" soll Guillemot mit zwei solchen Firmen bereits in Verhandlungen stehen. Laut Gerüchten würde der Firmenchef auf diese Weise weiterhin die Kontrolle über die strategische Ausrichtung von Ubisoft behalten und sich durch die Investition gegen drohende Übernahmen schützen. Ob das Ubisoft zurück in die Erfolgsspur führt? Man kann es zumindest hoffen. (Alexander Amon, 11.5.2022)